Strategisch heißes Eisen Chance und Risiko für Grüne
24.02.2008, 20:45 UhrEin mögliches Bündnis mit der CDU in Hamburg birgt für die Grünen Risiken und Chancen. Eine schwarz-grüne Premiere auf Landesebene könnte weitere Verluste im rot-grünen Wählermilieu mit sich bringen. Doch eine Öffnung zu neuen Ufern - wenn sie überzeugend gelingt - könnte nach dem Erstarken der Linken im Westen längerfristig auch wie ein Befreiungsschlag wirken. Sich selbst und Hamburgs CDU-Bürgermeister Ole von Beust dürften es die Grünen jetzt nicht leicht machen bei Annäherungsversuchen. Die inhaltliche Messlatte legten die Grünen am Sonntagabend hoch.
Parteichefin Claudia Roth zeigt sich in der Berliner Parteizentrale selbstbewusst: "Wir haben unsere Inhalte." Das Wahlziel Rot-Grün sei nicht erreicht worden. Selbstverständlich wollten die Grünen aber an einem Politikwechsel teilhaben. Die Hamburger Grünen (GAL) hätten vor der Wahl gesagt, sie würden sich Gesprächen unter klaren inhaltlichen Vorgaben nicht verweigern. Der Co-Vorsitzende Reinhard Bütikofer richtet sich auf der GAL-Wahlparty schon mal indirekt an Beust: "Wenn er reden will, reden wir. Aber wir reden über grüne Politik in Hamburg."
Keine Totalverweigerung
In den Tagen vor der Wahl herrschte bei den Grünen noch unisono Funkstille, sobald man sie auf Schwarz-Grün ansprach. Die Fraktionsvizechefin und ehemalige zweite Bürgermeisterin Hamburgs, Krista Sager, sorgte bei einigen Führungsleuten für Kopfschütteln, als sie in Interviews betonte: Sie kämpfe für Rot-Grün - aber eine Totalverweigerung in andere Richtungen dürfe es nicht geben. Jetzt zeigt sich Sager aufgeräumt: Es sei "verantwortlich" gewesen, im Vorfeld nicht alles jenseits der Wunschehe mit der SPD auszuschließen.
Doch was sollen traditionelle linke Grünen-Wähler davon halten? An verantwortlicher Stelle in der Partei heißt es: "Wir sind in einem strategischen Dilemma." Die Chance der Hamburg-Wahl sei nun, dass mehr Wähler schneller begreifen, "dass sich alles geändert hat". Striktes Lagerdenken schmälert im Fünf-Parteien-System demnach die Fähigkeit zu politischem Handeln. "Wir sind zwischen Baum und Borke", heißt es an anderer Stelle bei der Grünen-Prominenz. Rot-grüne Wechselwähler könnten nachhaltig verschreckt werden, ginge es in Hamburg plötzlich doch mit der CDU. Doch was heißt schon plötzlich? In Baden-Württemberg ist ein solches Bündnis seit Jahren im Gespräch. Auf Kommunalebene ist es mehrfach erfolgreich erprobt.
Inhalte vor Macht
Das mögliche Experiment könnte die Grünen auch aus ihrer derzeit wenig komfortablen Lage helfen: Mit der SPD als einzigem möglichen Koalitionspartner schwinden die Hoffnungen von Wahl zu Wahl stärker, grüne Öko- und Sozialinhalte bald wieder mit Regierungsverantwortung zu befördern. Würde die reale Anbahnung und Ausgestaltung eines schwarz-grünen Bündnisses also die Glaubwürdigkeit der Grünen nicht torpedieren - dann könnte es neue Optionen öffnen. Der nach der vergangenen Bundestagswahl eingeschlagene "Inhalte vor Macht"-Kurs könnte sich machtpolitisch auszahlen.
Dafür müsste ein Hamburger Bündnis auch grün leuchten. Kein Kohlekraftwerk, mehr Wattenmeer-Schutz, keine Elbvertiefung, eine deutlich andere Schulpolitik - Ole von Beust müsste sich mehr als nur Zentimeter bewegen. Andrerseits: An Details wie der medizinischen Versorgung für Illegale auch unter Hamburgs CDU-Regierung wird deutlich, was unter dem Motto moderner bürgerlicher Politik so alles zusammengeht. Nicht schaden könnte es nach Ansicht mancher grüner Strategen, wenn nach einem möglichen schwarz-grünen Bündnis in Hamburg andernorts eines unter Einschluss der Linken denkbar wird. So könnte sich Grün möglicherweise als Farbe eines Königsmachers etablieren, der nicht zugleich Umfaller sein muss.
Von Basil Wegener, dpa
Quelle: ntv.de