Politik

Zwischenruf Chile: Links, rechts, zur Seite ran?

Der Wahlsieg ist der Sozialistin Michelle Bachelet so gut wie sicher.

Der Wahlsieg ist der Sozialistin Michelle Bachelet so gut wie sicher.

(Foto: imago stock&people)

Bei den Präsidentenwahlen in Chile muss sich die Kandidatin der Linken Mitte Dezember einer Stichwahl stellen. Der Sieg der Sozialistin Bachelet gilt als gesichert. Ob es tatsächlich zu einer Politikwende kommt, ist noch offen.

Der Ausgang der ersten Runde der Präsidentenwahlen in Chile ist ein unmissverständlicher Ausdruck des Wählerwunsches nach einem Politikwandel. Die Kandidatin der Linken in Chile hat die absolute Mehrheit nur knapp verfehlt. Bei den Stichwahlen am 15. Dezember dürfte es der Sozialistin Michelle Bachelet gelingen, Evelyn Matthei, die Kandidatin der Rechten, auf die Plätze zu verweisen.

Dabei kann die 62-jährige Kinderärztin vor allem auf die Stimmen der Anhänger von Marco Enríquez Ominami zählen, der sich auf das linksgerichtete Bündnis "PRO- Movimiento Progresista" stützt. M-EO, wie ihn seine Anhänger nach den Initialen nennen, kam auf mehr als zehn Prozent. Auch bei den Teilwahlen zum Senat und bei der Abstimmung für die erste Parlamentskammer konnten die in der Nueva Mayoría, der Neuen Mehrheit, zusammengeschlossenen Parteien die Anzahl ihrer Sitze vergrößern. Die Neue Mehrheit besteht neben der gemäßigt sozialistischen PS von Bachelet aus Sozialdemokraten, kleineren Linksgruppen und der Kommunistischen Partei.

Die Kommunisten kehrten nach langer Abwesenheit wieder ins Parlament zurück. Zu danken ist dies nicht zuletzt der Führerin der Studentenproteste von 2011, Camila Vallejo und dem wiedererstarkten Einfluss der KP im Gewerkschaftsdachverband CUT. Hier liegt zugleich mögliches Konfliktpotenzial.

Nicht alle Wahlversprechen einlösbar

Bachelet, die von 2006 bis 2010 schon einmal an der Spitze des lateinamerikanischen Landes stand, führte die neoliberale Politik ihrer rechten Vorgänger im Wesentlichen weiter. Forderungen aus den eigenen Reihen, die Deviseneinkünfte aus dem Kupferexport, der wichtigsten Einnahmequelle Chiles, zur Beseitigung der weit offen klaffenden sozialen Schere zu nutzen, kam sie nicht nach. Stattdessen richtete sie einen Wachstumsfonds ein, in den die Überschüsse aus Steuer- und Ausfuhrüberschüssen flossen; so gelang es zumindest, die Finanzkrise 2008 zu bewältigen. Das Wirtschaftswachstum betrug anfänglich sogar knapp sechs Prozent. Die absolute Armutsquote hingegen sank bis 2009 nur um etwas mehr als zwei Prozent. Auch die Vielzahl sozialer Programme führte schließlich nicht zu einer Kehrtwende.

Trotz der für die Linke günstigen Mehrheitsverhältnisse im Parlament wird es schwierig, so manches Wahlversprechen einzulösen. Sowohl für eine neue Verfassung als auch für die Verstaatlichung des unter Pinochet nahezu vollständig privatisierten Bildungssystems fehlt es an der erforderlichen Zweidrittelmehrheit. Als Ausdruck des Zweifels besetzten am Sonntag Schüler sogar die Wahlkampfzentrale der Kandidatin. Zudem warfen Studenten der Politikerin der Kommunistischen Partei und ehemaligen Vorsitzenden des Studentenbundes, Vallejo, vor, sie habe durch ihren Einzug ins Parlament die Basis verraten.

Bachelets Ziel, ein modernes und soziales Chile zu errichten, dürfte auf Widerstände seitens der Christ- und Sozialdemokraten stoßen; stockende Reformprozesse könnten Proteste der kommunistisch geführten Gewerkschaften auslösen. Konsequent weitergeführt wird zweifellos die Ausarbeitung der Verbrechen der faschistischen Diktatur, deren Schergen sie folterten und schließlich über Australien ins DDR-Exil zwangen.

Außenpolitisch wird sich Chile trotz eines freundschaftlichen Verhältnisses Bachelets zu den radikalsozialistischen Präsidenten von Bolivien, Ecuador und Venezuela weder deren lateinamerikanischen Integrationsprojekten anschließen noch auf Konfrontation mit den USA gehen. Chile steht am Vorabend einer Abkehr von rigidem Sozialabbau und Servilität gegenüber dem großen Nachbarn im Norden. Das Ziel, das Land zu einem wahrhaft sozialen Staatswesen umzugestalten, ist mit vielen Fragezeichen versehen.

Manfred Bleskin.JPG

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Manfred Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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