Neues Leben in Berlin Christian Klar ist frei
19.12.2008, 17:06 UhrRund drei Jahrzehnte nach den Anschlägen des "Deutschen Herbstes" ist auch der letzte dafür verurteilte frühere RAF-Terrorist Christian Klar auf freiem Fuß. Der 56-Jährige wurde am Freitagmorgen aus dem Gefängnis in Bruchsal bei Karlsruhe entlassen. "Er wird nun selber bestimmen können, was er macht und wo er es machen will", sagte sein Hamburger Anwalt Heinz-Jürgen Schneider. Nach Angaben des Juristen wird Klar nach seiner Entlassung zunächst in Berlin leben.
Der einstige Terrorist saß 26 Jahre im Gefängnis - länger als jedes andere RAF-Mitglied. Bundespräsident Horst Köhler hatte im vergangenen Jahr ein Gnadengesuch Klars abgelehnt. Ende November hatte schließlich das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart entschieden, dass er nach Ablauf seiner Mindesthaftzeit auf Bewährung entlassen werden muss. Der 56-Jährige gilt heute nach Überzeugung von Gutachtern und Bundesanwaltschaft nicht mehr als gefährlich. Er hat seine Taten öffentlich allerdings auch nicht bereut.
Praktikum am BE umstritten
"Er hat sich gefreut, er war zufrieden", beschrieb Anwalt Schneider die Stimmung seines Mandanten vor der Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt. Unklar sei zunächst, wie Klar seine ersten Monate in Freiheit verbringen wird. Nach Aussage Schneiders wird Klar künftig in Berlin von einem Bewährungshelfer betreut. Im Gespräch ist seit Monaten ein Praktikum Klars am Berliner Ensemble. Das OLG hatte die Bewährungszeit auf fünf Jahre festgelegt und betont, Klar würden "Weisungen zur Meldung des Wohnsitzes und der Arbeitsstelle erteilt".
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sprach sich gegen ein Praktikum Klars am Berliner Ensemble aus. "Ich hätte die Entscheidung so nicht getroffen", sagte der Berliner Regierungschef, der auch das Kulturressort verantwortet. BE-Intendant Claus Peymann hatte der Bewerbung Klars für ein Praktikum am Theater vor längerem zugestimmt. "Das ist die Entscheidung von Herrn Peymann und dem BE", sagte Wowereit. "Ich habe den Eindruck, dass da sehr viel Eigeninszenierung im Spiel ist". Wowereit stellte klar, dass er in dieser Frage kein Vetorecht habe: "Das ist ein Privattheater, das seine Entscheidungen eigenverantwortlich trifft. Ich hätte sie so nicht getroffen."
Kein Auftritt in Talkshows
Mit Spannung wird auch Klars künftiges Verhalten erwartet: "Ob er der Öffentlichkeit Auskunft über seinen Aufenthaltsort geben will oder nicht, obliegt allein der Entscheidung von Christian Klar", teilte das baden-württembergische Justizministerium mit. Sein Anwalt betonte aber, Klar werde nicht die Öffentlichkeit suchen. "Er wird nicht in Talkshows auftreten und auch keine Interviews geben", sagte der Jurist. SWR und ZDF lehnten Auftritte oder Einladungen bereits ab.
Zentrale Figur der RAF
Klar gehörte zu den zentralen Figuren der zweiten RAF-Generation: Er war zwischen 1977 und seiner Verhaftung im November 1982 an fast allen Aktionen der "Roten Armee Fraktion" beteiligt. Der gebürtige Freiburger wurde unter anderem für die spektakulären Mordanschläge auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback und Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto sowie für die Entführung und Ermordung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer verurteilt. Nach den beiden Verurteilungen von 1985 und 1992 legte das OLG die Mindesthaftzeit auf 26 Jahre fest - wegen "besonderer Schwere der Schuld".
"Gemeine, kriminelle Verbrecher"
In der Öffentlichkeit führte die Entlassung Klars zu deutlich weniger Diskussionen als die OLG-Entscheidung. "Wer so brutal und menschenverachtend gegen andere gehandelt hat, dem nimmt man sowieso keine Reue ab", sagte Jörg Schleyer, der Sohn des 1977 ermordeten Hanns Martin Schleyer, der dpa. Bei den RAF-Terroristen handele es sich um gemeine, kriminelle Verbrecher. "Dann kann man ihnen die Vorzüge, die ein Rechtsstaat bietet, nicht verschließen", sagte Schleyer.
Der Sohn des ebenfalls ermordeten Generalbundesanwaltes Buback, Michael Buback, erwartet, dass das Kapitel "Klar" in absehbarer Zeit beendet sein wird. "Das enorme, für mich kaum nachvollziehbare Interesse an der Person Klar" werde sich verringern, sagte Buback. Dieses Interesse sei belastend und verwunderlich gewesen.
Chance, noch einmal in Freiheit zu leben
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) sagte, bei der Entlassung handele es sich um "ein rechtsstaatlich vorgesehenes Verfahren". Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1977 "muss jeder, der zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt wurde, die Chance haben, noch mal wieder in Freiheit zu leben". Entscheidend sei dabei nicht die Frage von Reue, sondern allein die Prognose, dass der Betroffene keine weiteren Straftaten begeht.
Quelle: ntv.de