Adieu, Kabinett! "Dankeschön" für Müntefering
21.11.2007, 08:05 UhrMit einem Appell zur Geschlossenheit hat sich Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) zur Halbzeit der großen Koalition aus der Regierung verabschiedet. Bei seiner letzten Kabinettssitzung mahnte der Arbeitsminister: "Die große Koalition hat Verantwortung für das Ganze." Der 67-Jährige betonte: "Hier sitzen keine zwei halben Kabinette, sondern eine Regierung." Merkel zeigte sich trotz Differenzen optimistisch, dass die Koalition bis zur Bundestagswahl 2009 hält. "Ich stehe dafür ein, dass wir unseren Wählerauftrag ernst nehmen", sagte sie der "Bild"-Zeitung. Auch Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) bekräftigte bei einer Veranstaltung in Berlin: "Die Koalition bleibt arbeitsfähig bis zum Ende der Legislaturperiode." Die Opposition stellte der Koalition ein schlechtes Zeugnis aus.
Bundespräsident Horst Köhler und die Kanzlerin bedankten sich bei Müntefering mit sehr persönlichen Worten. "Sie werden mir fehlen", sagte Köhler. Merkel verabschiedete den Arbeitsminister mit einem "herzlichen Dankeschön" und einem signierten rot-schwarzen Fußball als Geschenk. "Für dieses Land ist eine Menge auf den Weg gebracht, das ist Ihnen zu verdanken", sagte Merkel. "Sie sind einer der Architekten dieser großen Koalition." Merkel sprach von einem besonderen Tag, "an dem wir Demut haben". Manchmal hätten sie beide sich zwar auch gekabbelt, aber das gehöre dazu.
"Es waren zwei erfolgreiche Jahre", sagte Müntefering, der im Kabinett Dribbelkunststücke mit dem Fußball vorführte. Künftig will er sich um seine schwer erkrankte Ehefrau kümmern, bleibt aber Bundestagsabgeordneter. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) löst ihn als Vizekanzler ab, neuer Arbeitsminister wurde Olaf Scholz (SPD). Die SPD rutschte mit dem Rücktritt Münteferings in der Wählergunst auf ein Jahrestief, ergab die Forsa-Umfrage für "Stern" und RTL. CDU-Chefin Merkel bekam unter ihren Parteimitgliedern in einer Forsa-Befragung dagegen Spitzenwerte von 92 Prozent, die die Kanzlerin als positiv bewerteten.
Merkel warnte in der "Bild"-Zeitung davor, das Erreichte zu verspielen. Mit der SPD gebe es um den Mindestlohn einen "Grundsatz- Streit". Sie sicherte dem künftigen Vizekanzler Steinmeier Vertrauen zu. Als Aufgaben für die zweite Halbzeit nannte Merkel die Reform der Erbschaftsteuer, den Ausbau der Forschungsförderung, das Klimaschutzpaket, die innere Sicherheit und die Familienpolitik. Das Scheitern eines Post-Mindestlohns hatte zuvor für Spannungen gesorgt. Den SPD-Vorwurf eines Wortbruchs wies Merkel zurück. Die Voraussetzungen für einen Mindestlohn in der Postbranche lägen nicht vor. Die CSU sagte Verlässlichkeit in der Koalition zu.
Die Bundestagsopposition warf Union und SPD Flickschusterei und Lähmung vor. FDP-Chef Guido Westerwelle sprach von "Abkassieren" bei den Bürgern. Linke-Geschäftsführer Dietmar Bartsch kritisierte, die Koalition belaste die "breite Masse" mit Steuererhöhungen, entlaste aber Spitzenverdiener. Grünen-Chef Reinhard Bütikofer sagte, er halte nach jetzigem Stand der Dinge einen Fortbestand der großen Koalition nach der Wahl 2009 für am wahrscheinlichsten. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ging hart mit der Koalition ins Gericht. Sie habe "bitter wenig" erreicht, sagte der DGB-Vorsitzende Michael Sommer den "Ruhr Nachrichten". Zwar sei es erfreulich, dass die Arbeitslosigkeit sinke, "aber das wurde Merkel und Co. geschenkt".
Ein weiteres Thema sorgt für Streit: der Empfang des Dalai Lama durch Merkel vor zwei Monaten im Kanzleramt. Merkel machte in "Bild" klar: "Als Bundeskanzlerin entscheide ich selbst, wen ich empfange und wo." Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) kritisierte Steinmeier. Es sei kein Wunder, dass die Chinesen nach dem Empfang mehrere deutsch-chinesische Treffen abgesagt hätten. Das Auswärtige Amt wies dies zurück. Steinmeier hatte im Oktober in einem Zeitungsinterview von "zerschlagenem Porzellan" gesprochen. Der Dalai Lama gilt den meisten Tibetern als geistliches und weltliches Oberhaupt. Tibet war 1951 von China besetzt worden.
Quelle: ntv.de