Politik

SPD-Abgeordnete erklärt Antrag "Das Zeitfenster zur Prüfung eines AfD-Verbots schließt sich"

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Im Publikum eine Deutschlandfahne mit eisernem Kreuz: Der Thüringer AfD-Chef Höcke ist nach Einschätzung vieler Experten ein Rechtsextremist - und maßgebliche Kraft innerhalb der AfD.

Im Publikum eine Deutschlandfahne mit eisernem Kreuz: Der Thüringer AfD-Chef Höcke ist nach Einschätzung vieler Experten ein Rechtsextremist - und maßgebliche Kraft innerhalb der AfD.

(Foto: picture alliance/dpa)

"Ich werde noch mehr Mord- und Gewaltdrohungen erfahren", befürchtet die SPD-Bundestagsabgeordnete Maja Wallstein aus dem Südosten Brandenburgs. Dennoch - oder gerade deshalb - will sie eine Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der AfD durch das Bundesverfassungsgericht vorantreiben. Wallstein und weitere Abgeordnete aus SPD, CDU, Grünen und Linke haben einen Antrag vorgelegt, den der Bundestag mehrheitlich beschließen soll. Demnach soll ein Verfahrensbevollmächtigter im Auftrag des Bundestags belastendes Material zur AfD bündeln, dieses gewichten und möglichst dem Bundesverfassungsgericht vorlegen, damit Karlsruhe die AfD überprüft. Würde Karlsruhe die Verfassungsfeindlichkeit feststellen, könnte die AfD als Ganzes verboten werden. Der Antrag ist inzwischen im Internet einsehbar. Im Interview mit ntv.de erklärt Wallstein, mit welchen Argumenten sie und ihre Mitstreiterinnen für eine Mehrheit für den Antrag werben.

Die SPD-Abgeordnete Maja Wallstein setzte sich 2021 in ihrem Wahlkreis Cottbus - Spree-Neiße knapp gegen einen AfD-Kandidaten durch.

Die SPD-Abgeordnete Maja Wallstein setzte sich 2021 in ihrem Wahlkreis Cottbus - Spree-Neiße knapp gegen einen AfD-Kandidaten durch.

(Foto: picture alliance/dpa)


Frau Wallstein, zusammen mit weiteren Abgeordneten von SPD, Grünen, CDU und Linkspartei wollen Sie ein Verbotsverfahren gegen die AfD anstrengen …

Maja Wallstein: Moment! Der Bundestag entscheidet nicht über ein Verbot. Wir können nur die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Partei durch das Bundesverfassungsgericht beantragen. Solch einen Antrag kann entweder die Bundesregierung, der Bundesrat oder der Bundestag stellen. Das Bundesverfassungsgericht kann wiederum nicht von sich aus aktiv werden. Deshalb wirbt unsere Gruppe für einen Mehrheitsbeschluss des Bundestages, dass wir eine Prüfung der Verfassungstreue der AfD in Karlsruhe beantragen.

Ihnen ist wichtig, dass die Verfassungsfeindlichkeit der AfD durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt werden muss. Sie würden aber nicht das Verfahren anstrengen, wenn Sie nicht selbst davon überzeugt wären, oder?

Die Hürden dafür, dass das höchste Gericht unseres Landes zu dieser Entscheidung kommt, sind zu Recht sehr hoch. Ich denke, wenn die sehr hohen Kriterien erfüllt sind, dann verpflichtet uns das Grundgesetz, alles dafür zu tun, dass unsere Demokratie wehrhaft bleibt. Vieles deutet darauf hin, dass die Kriterien erfüllt sind. Genauer wissen wir es erst, wenn wir den Antrag stellen und Prozessbevollmächtigte beauftragen, das zu prüfen.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz will noch im laufenden Jahr entscheiden, ob die AfD als Ganzes hochgestuft wird vom Verdachtsfall zu 'gesichert rechtsextremistisch'. Warum wollen Sie diese Entscheidung nicht abwarten?

Die Kriterien des Bundesverfassungsgerichts sind andere als die des Bundesamtes für Verfassungsschutz und sie sind vermutlich auch strenger als die des Verfassungsschutzes. Und sollte diese Hochstufung während des Verfahrens erfolgen, schadet das unserem Anliegen nicht.

Infolge einer höheren Einstufung könnten aber auch geheimdienstliche Mittel zum Einsatz kommen und belastendes Material zutage fördern, das die Chancen auf ein Verbot erhöht.

Wir können die Ergebnisse derartiger Ermittlungen nicht abwarten. Das Zeitfenster zur Prüfung eines AfD-Verbots schließt sich. Außerdem ist die Quellenlage aus öffentlich zugänglichen Quellen zum Gebaren und zu Reden von AfD-Politikerinnen und -Politikern oder journalistische Recherchen schon jetzt sehr umfassend. Diese Quellen haben dem Oberverwaltungsgericht Münster gereicht, um die AfD-Klage gegen ihre Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall abzuweisen. Hinzu kommen Informationen, die der Verfassungsschutz schon jetzt hat.

Oft hört man auch die Sorge darüber, wie die AfD-Wählerinnen und -Wähler reagieren könnten, wenn ihre Partei verboten würde.

Mir erscheint das absurd. Sollte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsfeindlichkeit der AfD feststellen, gibt es doch kein Argument mehr, auch weiterhin die AfD als Teil des normalen Parteienspektrums auf dem Wahlzettel zu präsentieren. Höchstgerichtlich bestätigte Verfassungsfeinde vom demokratischen Prozess auszuschließen ist das Minimum an Serviceleistung an die Wählerinnen und Wähler, das wir sicherstellen müssen.

Droht nicht zumindest bis zu einem Gerichtsentscheid ein starker Mobilisierungseffekt zugunsten der AfD?

Die AfD geriert sich auch jetzt schon als Opfer aller, also auch der anderen Parteien, des Parlaments, der Medien oder der Ämter, um die eigene Klientel zu mobilisieren. Und wenn wir ihnen dazu keinen Anlass bieten, denken sie sich einen aus. Ich verstehe außerdem nicht, warum wir jetzt schon die Debatte verloren geben sollten. Warum sollten wir nicht in der Lage sein, den Menschen zu erklären, dass keine demokratische Partei die Prüfung ihrer Verfassungsmäßigkeit fürchten muss?

Und das Risiko eines Persilscheins für die AfD, wenn sie am Ende weder als ganze Partei noch in Teilen verboten wird?

Wenn das Bundesverfassungsgericht am Ende eines in jeder Hinsicht sauberen Verfahrens zu dem Schluss kommt, die AfD sei nicht verfassungsfeindlich, dann ist das so. Aber dieses Ergebnis könnte dann eben auch darauf zurückgehen, dass die AfD im Angesicht eines drohenden Verbots schon selbst Leute rausgeschmissen und bestimmte Positionen angepasst hat. Das wäre ja auch schon ein Verdienst einer solchen Prüfung und ein Gewinn für unsere Demokratie.

Die AfD wird behaupten, Sie wollten kurz vor der Bundestagswahl ganz undemokratisch missliebige Konkurrenz abräumen. Bereitet Ihnen das keine Sorge?

Weder meine persönliche Betroffenheit als Abgeordnete noch parteitaktische Überlegungen oder der Zeitpunkt der nächsten Bundestagswahl dürfen in dieser Frage eine Rolle spielen. Unser Job ist es, unsere Demokratie zu schützen. Die SPD versteht sich als antifaschistisches Bollwerk: Otto Wels und seine SPD-Fraktion haben 1933 gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt. Im vollen Wissen darüber, dass ihnen und ihren Familien Lager, Folter und Tod drohen. Und wir fürchten uns, einen Antrag auf Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Partei zu stellen, weil wir Wahlen verlieren könnten? Es wäre ein historischer Fehler, jetzt keinen Prüfantrag in Karlsruhe zu stellen.

Wieso schließt sich aus Ihrer Sicht das Zeitfenster?

Erstens könnte der Bundestag nach der Wahl ganz anders aussehen als heute. Die Mehrheit für einen Prüfantrag könnte dann noch schwieriger werden. Außerdem könnte auch die Bundesregierung ganz anders aussehen. Das sind dann zwei von drei Verfassungsorganen, die überhaupt einen Prüfantrag stellen können. Zweitens könnte auch eine Beteiligung des BSW in mehreren Länderregierungen dazu führen, dass auch der Bundesrat keinen Antrag stellt. Mir erscheint momentan noch völlig offen, wie sich das BSW künftig zur AfD verhält. Drittens ist auch eine Beteiligung der AfD an einer Landesregierung heute nicht mehr auszuschließen. Ist die AfD in einer Landesregierung, ist ein solches Verfahren bundesweit nicht mehr möglich, weil sie es immer torpedieren könnte.

Die Skeptiker in den Ampelfraktionen bemängeln die vorgeschlagene Vorgehensweise: Ein vom Bundestag beauftragter Verfahrensbevollmächtigter soll belastende Informationen der Landes- und Bundesbehörden sammeln und diese binnen zwei Monaten zu einem Prüfantrag beim Bundesverfassungsgericht bündeln. Das sei kein ergebnisoffenes Vorgehen, lautet die Kritik.

Ich verstehe das Problem nicht. Es kann sein, dass der oder die Verfahrensbevollmächtigte nach Sichtung aller vorliegenden - auch geheimdienstlichen - Informationen zu dem Schluss kommt: Es reicht nicht. In dem Fall wird er oder sie von einem Prüfantrag in Karlsruhe abraten. Alles andere wäre ja absurd.

Würden Sie von Ihrem Weg ablassen, wenn die Bundesregierung selbst tätig würde?

Wenn meine größte Sorge berücksichtigt wird, dass sich das Zeitfenster schließt: Ja. Lautet die Antwort, wir bereiten jetzt mal was vor und legen in der nächsten Legislaturperiode richtig los, wäre das für mich keine Option.

Vor allem aus Union und SPD ist zu hören, man müsse die AfD inhaltlich stellen und ihr so das Wasser abgraben, statt mit Verboten zu arbeiten. Was denken Sie?

Natürlich müssen wir die AfD inhaltlich stellen. Wir müssen immer in der Lage sein, ihren Argumentationen zu begegnen. Das machen gerade wir im Osten des Landes jeden Tag auf allen Ebenen. Das ist aber losgelöst von der Frage, ob wir in Karlsruhe um eine Überprüfung der AfD bitten. Wird eine Verfassungsfeindlichkeit festgestellt, muss das im demokratischen Rechtsstaat Konsequenzen haben für Parteien.

Oft werden Vergleiche zur NPD gezogen, deren Verfassungsfeindlichkeit einigermaßen offensichtlich war. Die AfD dagegen setzt vor allem darauf, das Grundvertrauen in die bestehende Ordnung zu zerstören. Ist die Auseinandersetzung mit der AfD allein mit Fakten und Argumenten zu gewinnen?

Ich gebe das nicht verloren. Aber für die Entscheidung Prüfverfahren ja oder nein darf die Überlegung, ob wir der AfD noch mit Argumenten beikommen, keine Rolle spielen. Im Verfahren wäre das sehr wohl relevant, nämlich bei der Frage nach der Potenzialität: ob eine als verfassungsfeindlich eingeschätzte Partei ihrem Einfluss nach überhaupt in der Lage wäre, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu stürzen.

Das war bei der NPD-Nachfolgepartei Die Heimat nicht der Fall. Die NPD-Verfahren gelten vielen als abschreckendes Beispiel, überhaupt ein Verbot prüfen zu lassen.

Dabei waren die Verfahren am Ende erfolgreich! Die NPD ist von der öffentlichen Finanzierung ausgeschlossen. Sie war nur zu klein und irrelevant für ein Verbot der gesamten Partei.

Sollte die AfD verfassungsfeindlich sein, dann auf andere Art und Weise, als es die Autoren des Grundgesetzes angenommen haben. Es sind ja nicht marodierende Schlägertrupps wie die SA, die das Land destabilisieren, sondern oft schwer zu greifende Elemente der Zersetzung.

Die konsequente Bekämpfung des Parteiensystems durch den Brandenburger AfD-Chef Hans-Christoph Berndt beispielsweise hätten die Mütter und Väter des Grundgesetzes auch als solche erkannt. Mit Blick auf die Menschenwürde muss man sich nur die Sprache der Partei anschauen. Die Nazis haben schon von "Bazillen" und "Parasiten" gesprochen. Diese Entmenschlichung erleben wir jetzt wieder.

Sind Worte wie Taten?

Das Bundesverfassungsgericht hat schon einmal festgestellt, dass das Kriterium der aggressiv-kämpferischen Haltung auch in Wort und Schrift erfüllt werden kann. Dazu gibt es im Fall der AfD jede Menge Material. Das sollten sich die besten Verfassungsrechtlerinnen unseres Landes anschauen und ihre Einschätzungen dem Bundestagspräsidium mitteilen.

Sie haben Ihren Wahlkreis Cottbus - Spree-Neiße 2021 knapp gegen den Kandidaten der AfD gewonnen. Ihre Arbeit wird nicht gemütlicher als eines der Gesichter hinter dem Antrag.

In meiner Region kann ich nicht damit rechnen, dass das von allen goutiert wird, gerade weil die AfD mit Falschnachrichten und Lügen reagieren wird. Im Gegenteil: Ich werde noch mehr Mord- und Gewaltdrohungen erfahren. Aber wenn mich das jetzt davon abhält, zu machen, was für unsere Demokratie notwendig ist, habe ich meinen Job nicht richtig gemacht.

Mit Maja Wallstein sprach Sebastian Huld

Quelle: ntv.de

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