Es gibt Muschelsuppe Demjanjuk im Gefängnis
12.05.2009, 10:30 UhrNach monatelangem juristischen Ringen ist der mutmaßliche frühere KZ-Wächter John Demjanjuk in Deutschland eingetroffen. Die aus den USA kommende Maschine mit dem 89-Jährigen an Bord landete am Morgen in München. In einem der letzten großen NS-Prozesse soll sich der gebürtige Ukrainer hier wegen Beihilfe zum Mord in 29.000 Fällen verantworten.
Die USA hatten Demjanjuk nach Deutschland abgeschoben, weil gegen ihn ein internationaler Haftbefehl des Amtsgerichts München besteht. Darin wird dem als Iwan Demjanjuk in der Ukraine geborenen Rentner Beihilfe zum Mord in 29.000 Fällen vorgeworfen. Er soll 1943 für ein halbes Jahr zu den Wachmannschaften im NS-Vernichtungslager Sobibor gehört haben, wo in dieser Zeit 29.000 Juden getötet wurden.
"Beweise reichen aus"
Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen ist sicher, dass der ausgelieferte John Demjanjuk am Massenmord im Vernichtungslager Sobibor beteiligt war. Auf die Frage, ob die Behörde in Ludwigsburg davon ausgehe, dass Demjanjuk mitgeholfen hat, tausende Menschen in Sobibor in die Gaskammern zu treiben, sagte Behördenleiter Kurt Schrimm der Deutschen Presse-Agentur: "Meine Mitarbeiter und ich sind davon überzeugt". Der Oberstaatsanwalt sagte weiter, man sei sich sicher, dass die zusammengetragenen Beweise ausreichen, "um Herrn Demjanjuk vor Gericht zu bringen".
Die Behörde hatte die Ermittlungsvorarbeit für die Staatsanwaltschaft in München geleistet und nach eigenen Angaben neun Monate lang Beweise im Fall Demjanjuk gesammelt. Die Überzeugung, dass ein Verfahren gegen Demjanjuk Erfolg haben könnte, stützt sich nach Angaben Schrimms vor allem auf einen Dienstausweis, "aus dem hervorgeht, dass ein gewisser Iwan Demjanjuk in der fraglichen Zeit nach Sobibor abkommandiert war". Es gebe auch andere Unterlagen. Dazu wollte sich Schrimm aber nicht äußern. "Das ist eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft in München, ob diese Dokumente vorab bekannt gegeben werden."
Verteidiger fordert Freilassung
Demjanjuks Verteidiger forderte derweil die Freilassung seines Mandanten. Es gebe neben den gesundheitlichen Argumenten gegen eine Inhaftierung des 89-Jährigen auch eine Reihe von rechtlichen Argumenten, sagte der Ratinger Rechtsanwalt Ulrich Busch.
So sei Demjanjuk wegen des Vorwurfs, KZ-Wächter im Vernichtungslager in Sobibor im damals von Deutschland besetzten Polen gewesen zu sein, bereits in Israel und Polen beschuldigt worden. Beide Male sei er von dem Vorwurf freigesprochen worden. "Keiner darf zweimal für dieselbe Sache vor Gericht gestellt werden", sagte Busch. Deshalb dürfe Demjanjuk nicht wie vorgesehen in München angeklagt werden.
"Er war nie da. Falls doch, wäre er entschuldigt"
Nach Angaben Buschs bestreitet sein Mandant, je in Sobibor gewesen zu sein. Doch selbst wenn das Gericht unterstelle, er sei dort gewesen, müsse Demjanjuk freigesprochen werden. Als gebürtiger Ukrainer wäre er in diesem Fall ein damals so genannter fremdländischer Wachmann gewesen. Für diese gelte aber ein Befehlsnotstand. "Entweder halfen sie mit oder sie wanderten in die Gaskammern. Wenn er am Ende doch da gewesen wäre, wäre er entschuldigt", sagte Busch.
Und schließlich sei Demjanjuk wegen der permanenten Einnahme von Schmerzmitteln nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen. Auch deshalb müsse er freigelassen werden. Über eine mit diesen Argumenten von ihm Ende April eingereichte Haftbeschwerde habe das Münchner Gericht noch nicht entschieden, sagte Busch.
Demjanjuk wurde nach seiner Festnahme am Flughafen in die Justizvollzugsanstalt Stadelheim gebracht. der Haftbefehl in einer englischen Übersetzung eröffnet werden. Nach seiner Ankunft dort wurde Demjanjuk auf die Krankenstation des Gefängnisses gebracht.
Ausstieg im Hangar
Der Sprecher der Staatsanwaltschaft München I, Anton Winkler, machte zunächst keine Angaben, in welchem gesundheitlichen Zustand sich Demjanjuk nach dem achtstündigen Flug befand. Ein Arzt habe aber noch am Flughafen festgestellt, dass er zum Transport ins Gefängnis in der Lage war. Demjanjuk war im Flugzeug von einem Arzt und Pflegern begleitet worden, außerdem war eine medizinische Ausstattung mit an Bord. Die Sondermaschine war nach Angaben eines Polizeisprechers gegen 9.20 Uhr in München gelandet. Vom Rollfeld wurde die Maschine in einen Hangar gebracht, der daraufhin verschlossen wurde. Winkler begründete dies mit Sicherheitserwägungen.
Demjanjuks Familie in den USA hatte bis zuletzt versucht, die Auslieferung zu verhindern. Da dem Rentner wegen der Vorwürfe aus der Nazi-Zeit die US-Staatsbürgerschaft aberkannt worden war, gilt eine Rückkehr in die USA selbst im Falle eines Freispruchs als ausgeschlossen. Demjanjuks Familie hatte über alle Instanzen argumentiert, der 89-Jährige sei aus gesundheitlichen Gründen nicht zu dem Flug nach Deutschland in der Lage. Bei einem in letzter Sekunde gestoppten Auslieferungsversuch hatten Bilder Demjanjuk scheinbar schwer krank in einem Rollstuhl gezeigt. Für Aufsehen sorgten dann aber bald Filmaufnahmen, die ihn offensichtlich problemlos laufend zeigten.
In der Haftanstalt wird Demjanjuk nun zunächst eine gut 20 Quadratmeter große Zelle in der Pflegeabteilung mit einem Rollstuhlfahrer teilen, ein Pflegebett steht für ihn bereit. "Wir sind organisatorisch, ärztlich, pflegerisch und räumlich in der Lage, die Behandlung eines sehr alten und sehr kranken Menschen zu bewältigen", sagte der stellvertretende Leiter der JVA, Jochen Menzel. Der 89-Jährige bekomme leichte Diabeteskost. Seine erste Mahlzeit in Stadelheim: Muschelsuppe, dann Leberkäse mit Kartoffelbrei und Salat.
Quelle: ntv.de, AFP / dpa