Hoffnung auf Annäherung in der Ukraine schwindet Demonstranten stürmen Justizministerium
26.01.2014, 22:52 Uhr
Die Barrikaden im Zentrum von Kiew wachsen weiter. Die Ukrainer sind entschlossen, ihren "Krieg" gegen den prorussischen Präsidenten Janukowitsch bis zum "Sieg" zu führen. Offenbar gelingt es den Demonstranten nun, das Justizministerium in Kiew zu besetzen.
Die Demonstranten in der Ukraine haben nach eigenen Angaben das Justizministerium in Kiew eingenommen. Mehrere dutzend Demonstranten warfen die Fenster des Gebäudes im Zentrum der Hauptstadt ein und übernahmen die Kontrolle über das Ministerium, heißt es. Der Anführer der Bewegung Spilna sprawa ("Gemeinsame Sache"), Alexander Daniljuk, verkündete die Erstürmung des Ministeriums. Offizielle Bestätigungen dafür gibt es noch nicht.
Augenzeugen berichten, es seien keine Sicherheitskräfte zu sehen gewesen. Die Protestierenden seien bei ihrer Aktion auf keinen Widerstand gestoßen. Unmittelbar nach der Besetzung des Ministeriums begannen die Demonstranten mit der Errichtung von Barrikaden.
Zuvor hatte die ukrainische Opposition ein überraschendes Kompromissangebot der Staatsführung abgelehnt und stattdessen ihre Proteste auch in den Regionen ausgeweitet. In der Hauptstadt Kiew besetzten Demonstranten nach schweren Zusammenstößen mit der Polizei das riesige Kongresszentrum am Europaplatz. "Die Luft für Präsident Viktor Janukowitsch wird immer dünner", sagte eine Sprecherin der Regierungsgegner. Im Westen des Landes hielten Demonstranten in immer mehr Städten Verwaltungsgebäude besetzt. Am Samstagabend hatte die pro-europäische Opposition um Vitali Klitschko das Angebot einer Regierungsbeteiligung ausgeschlagen.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier rief die an Russland orientierte Staatsführung der Ukraine auf, in dem erbitterten Machtkampf auf die Opposition zuzugehen. Eine Lösung des Konflikts sei nicht mit Gewalt zu erzwingen, sagte er. Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, schloss Sanktionen gegen die ukrainische Regierung nicht aus. "Janukowitsch, Stopp mit der Gewalt. Und rede mit deinem Volk, das ist der bessere Weg als der Unsinn, der da jetzt veranstaltet wird", sagte Schulz beim SPD-Sonderparteitag in Berlin.
Proteste dehnen sich weiter aus
Janukowitsch hatte seinen Kritikern in einem spektakulären Schritt Ministerposten angeboten. Der Oppositionspolitiker Arseni Jazenjuk solle neuer Regierungschef und Klitschko dessen Stellvertreter werden. Das hatte der prorussische Staatschef bei einem dreistündigen Krisentreffen gesagt. "Wir lehnen das Angebot nicht ab, nehmen es aber auch nicht an", sagte Jazenjuk nach dem Treffen. Über die Regierung müsse das Volk entscheiden, nicht der Präsident. Der Führung um Janukowitsch glaube er "kein einziges Wort". Klitschko sprach in der "Bild am Sonntag" von einem "vergifteten Angebot". Die Opposition wolle weiter verhandeln und Neuwahlen für das Amt des Staatschefs noch in diesem Jahr durchsetzen. Planmäßig findet die nächste Präsidentschaftswahl 2015 statt.
Die Proteste dehnten sich auch im nationalistisch geprägten Westen des Landes weiter aus. In Ternopol und Iwano-Frankowsk besetzte die Opposition Rathäuser. In Winniza trat ein Richter aus Protest gegen die "politisch motivierte Verurteilung" von Demonstranten zurück.
Das Kongresszentrum in Kiew sei "ohne Blutvergießen eingenommen" worden, sagte Klitschko. Fernsehbilder zeigten starke Schäden am Gebäude. Innenminister Witali Sachartschenko warf der Opposition "Extremismus" vor. "In den Büros wird Essen und heißer Tee ausgegeben, hier können sich unsere Kampfgenossen aufwärmen", sagte eine Sprecherin der Vaterlandspartei der Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko. In Kiew herrschte strenger Frost von minus 20 Grad.
Straffreihheit gegen Blockenräumung
Die Partei von Janukowitsch kündigte an, einer Änderung umstrittener Gesetze zur Einschränkung des Demonstrationsrechts zustimmen zu wollen. Die Novelle ist eine Forderung der Opposition.
Das Angebot des Präsidenten sah auch eine Straffreiheit für Demonstranten vor, die bei den seit Wochen andauernden Protesten festgenommen worden waren. Im Gegenzug sollten alle Blockaden geräumt werden. Janukowitsch stellte auch eine Verfassungsänderung mit gestärkten Rechten für das Parlament in Aussicht. Bislang besitzt der Staatschef alle zentralen Machtbefugnisse. "Eine Regierung ohne Mehrheit im Parlament ist Unsinn", sagte aber ein Oppositioneller.
"Wir geben nicht nach"
Tausende Menschen ehrten in Kiew einen 25-Jährigen, der am Mittwoch bei Zusammenstößen aus noch ungeklärter Ursache erschossen worden war.
"Wir geben nicht nach. Wir sind friedliche Menschen, die ihre Rechte und Forderungen verteidigen", sagte Ex-Boxweltmeister Klitschko vor jubelnden Anhängern auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan). Mitstreiter Jazenjuk forderte die Freilassung seiner inhaftierten Parteikollegin Timoschenko.
In Kiew erhöhten Regierungsgegner ihre Barrikaden im Zentrum der Millionenstadt. Sie standen auf einigen Straßen weiterhin den Sondereinheiten der Polizei gegenüber. Nach wiederholten Zusammenstößen mit Brandsätzen und Tränengas hatten beide Seiten zuletzt einen allerdings brüchigen "Waffenstillstand" vereinbart.
Quelle: ntv.de, dsi/fma/dpa/AFP