Hartz-IV-Stümperei Der Kompromiss war faul
20.12.2007, 10:18 UhrDie Betreuung von etwa sieben Millionen Hartz-IV-Empfängern muss neu geregelt werden. Die 2005 in Kraft getretene Arbeitsmarkt- und Sozialreform verstößt in Teilen gegen das Grundgesetz, urteilte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
Das Gericht gab damit einer Klage von elf Landkreisen statt und kippte einen 2003 nur mühsam ausgehandelten Kompromiss zwischen SPD und Union. Für eine Neuregelung setzte es dem Gesetzgeber eine Frist bis Ende 2010. (Az.:2 BvR 2433/04)
Damit ist neuer politischer Streit programmiert, wer am besten für die Betreuung der Langzeitarbeitslosen zuständig ist - die Kommunen oder die Arbeitsagenturen. Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) betonte, für die Hartz-IV-Empfänger ändere sich vorerst nichts. "Auch nach dem Urteil werden alle Betroffenen ihre Leistungen wie bisher erhalten", sagte der SPD-Politiker.
Recht auf eigenverantwortliche Aufgabenerledigung
Mit seinem Urteil verwarf das Gericht das organisatorische Herzstück der Reform, mit der im Jahr 2005 Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II zusammengelegt worden waren. Bundesweit gibt es 353 Arbeitsgemeinschaften. Daneben betreuen 69 so genannte Optionskommunen Hartz-IV-Empfänger in Alleinregie ohne die BA. In 21 Regionen nehmen Kommunen und Arbeitsagenturen die Aufgabe nach wie vor in getrennter Trägerschaft wahr.
Das Gericht sah durch die Zusammenarbeit von Bundesagentur und Kommunen in einer Behörde aber das Recht der Gemeinden auf eigenverantwortliche Aufgabenerledigung verletzt. Drei der acht Verfassungsrichter waren anderer Meinung. Die weitergehende Klage der Landkreise, sie müssten ohne angemessenen Finanzausgleich für einen Teil des Lebensbedarfs der Hartz-IV-Empfänger aufkommen, wies das Gericht ab.
Die Ohrfeige schallt nicht
"Mangelnde politische Einigungsfähigkeit kann keinen Kompromiss rechtfertigen, der mit der Verfassung nicht vereinbar ist", erklärte das Gericht. Dies sei keine schallende Ohrfeige für den Gesetzgeber, sagte der Vorsitzende des Zweiten Senats, Winfried Hassemer. "Es ist vielmehr die freundliche Ermunterung, mit der Suche nach der besten Lösung fortzufahren."
Das Konstrukt der Arbeitsgemeinschaften war Ende 2003 im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat zustande gekommen. Die damalige rot-grüne Bundesregierung und der von der Union beherrschte Bundesrat konnten sich nicht einigen, wie die Betreuung der Hartz-IV-Empfänger organisiert werden soll. Während die SPD darauf beharrte, dass der Bund für die Arbeitsvermittlung zuständig sein solle, wollte die Union diese stärker bei den Kommunen ansiedeln. Heraus kam der Kompromiss, dass bundesweit weit überwiegend Arbeitsgemeinschaften gebildet wurden, auf Drängen der Union aber 69 Optionskommunen als Experiment die Betreuung in Alleinregie übernehmen konnten.
Scholz empfiehlt getrennte Trägerschaft
Als Vorbild für die Neuorganisation empfahl Scholz eine getrennte Trägerschaft von Kommunen und Arbeitsagentur unter einem Dach. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund und der Deutsche Städte- und Gemeindebund forderten, die Verantwortung für die Arbeitslosen müsse beim Bund bleiben. Der Deutsche Landkreistag hatte dagegen die Klage der Landkreise gegen die Arbeitsgemeinschaften unterstützt. Der Verband favorisiert die von der Union durchgesetzte Sonderregelung der Optionskommunen zur Betreuung der Hartz-IV-Bezieher in Alleinregie. Dabei erstattet ihnen der Bund den Großteil der Kosten.
Scholz will dagegen daran festhalten, dass der Bund über die BA für die Arbeitsvermittlung zuständig bleibt. "Das ist vernünftig, damit auch in Zukunft ein Arbeitsloser in Flensburg auf einen freien Arbeitsplatz in Frankfurt vermittelt werden kann", erklärte der Minister. Anstelle der Optionskommunen nannte er daher die 21 Landkreise mit getrennter Trägerschaft "erfolgreiche Vorbilder". Die Arbeitsagentur übernehme Betreuung und Vermittlung in Arbeit und zahle das Arbeitslosengeld II aus. Die Kommune sei für Miet- und Heizkosten sowie begleitende Hilfen wie Suchtberatung und Kinderbetreuung zuständig.
Quelle: ntv.de