Politik

Weniger Geld für Arbeitslose Der "flotte Florian" - zu flott?

"Konfliktfreudig" sei er und "kein Ja-Sager". Das sagen Menschen, die ihn kennen, über den künftigen Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster (SPD). Wenn seine Parteifreunde in Berlin das nicht bereits wüssten, wären Gersters Vorschläge vom vergangenen Wochenende ein erster Vorgeschmack auf die Untriebigkeit des bisherigen rheinland-pfälzischen Sozialministers.

Er fordert mehr Anreize, eine Arbeit aufzunehmen, und schreckt vor Leistungskürzungen nicht zurück. Gerster hatte im "Spiegel" angeregt, den Bezug des Arbeitslosengeldes für ältere Langzeitarbeitslosen stufenweise auf unter 32 Monate zu reduzieren. Dabei folgt er einer einfachen Logik: Je länger Arbeitslosengeld gezahlt wird, desto geringer die Aussichten darauf, Arbeitslose so schnell wie möglich wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Wer glaube, so Gerster, er könne relativ großzügig bemessene Hilfe dauerhaft gewähren, ohne die Motivation der Empfänger zu beeinflussen, hänge einem "illusionären Menschenbild" nach.

Jeder Vierte sucht keine Stelle

Rückendeckung geben Gerster die Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit: Einer kürzlich vorgelegten Studie zufolge sucht jeder vierte Arbeitslose keine Stelle. Die betroffenen Personen hätten entweder bereits neue Arbeit in Aussicht, warteten auf die Rente oder wollten aus familiären Gründen keinen Job antreten, heißt es in der Untersuchung. Jeder fünfte Arbeitslose suche nur mit mittelmäßigem Einsatz. Wieso eine schlecht bezahlte Arbeit annehmen, wenn fast drei Jahre das Arbeitslosengeld auf dem Konto eingeht und die Rente bevorsteht?

Die Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit weisen für Januar diesen Jahres 30,7 Prozent solcher Arbeitsloser aus, die seit zwölf oder mehr Monaten arbeitslos gemeldet sind. 27,5 Prozent der Arbeitslosen waren 50 Jahre und älter.

Grundsätzlich ist die Zahlungsdauer des Arbeitslosengeldes vom Alter des Betreffenden und davon abhängig, wie lange er in den letzten sieben Jahren bei der Bundesanstalt für Arbeit versicherungspflichtig war. Eine Höchstdauer von 960 Kalendertagen erreicht nur, wer über 57 Jahre alt ist und über fünf Jahre in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat.

Strukturelle Fehlanreize

Inzwischen sind zweierlei Erkenntnisse gewachsen: Die stagnierende Wirtschaft ist nur ein Grund für die Misere auf dem Arbeitsmarkt; strukturelle Fehlanreize tragen ihren Anteil dazu bei. Und: Nicht die Höhe, sondern die Dauer der Unterstützung ist entscheidend für die Dringlichkeit, mit der Arbeitslose auf die Suche nach einer neuen Stelle gehen.

Reformeifer war also ausdrücklich erwünscht, nachdem der früherer Chef der Bundesanstalt für Arbeit, das CDU-Mitglied Bernhard Jagoda, wegen der Affäre um geschönte Vermittlungsstatistiken seinen Stuhl hatte räumen müssen. Und Gerster, der Vater des auf Bundesebene ausgeweiteten "Mainzer Kombilohn-Modells", schien der geeignete Mann. Ein selbstbewusster Querdenker, der nicht davor zurückschreckt, auch einmal anzuecken, unbequem zu sein. Von Anfang an hatte der 52-Jährige betont, mit Bundeskanzler Gerhard Schröder und Arbeitsminister Walter Riester "auf gleicher Augenhöhe" sprechen zu wollen.

Kein Einfluss auf Gesetzgebung

Die jetzigen Pläne des künftigen Behördenchefs stoßen jedoch in weiten Kreisen der Politik auf unverhohlene Ablehnung. Gersters Anregungen seien Sache des Parlaments, sagte ein Sprecher von Riester in Berlin. Und ein wenig süffisanter: "Der bisherige Präsident der Bundesanstalt für Arbeit hatte keinen Einfluss auf die Gesetzgebung. Der neue Vorstandsvorsitzende wird diesen auch nicht haben."

Die wirtschaftspolitische Sprecherin der PDS-Fraktion, Christa Luft, warnte vor amerikanischen Verhältnissen auf dem deutschen Arbeitsmarkt: "Der flotte Florian will Arbeitslose offenbar zu Freiwild machen", meinte sie. Auch aus der SPD-Bundestagsfraktion sind strikt ablehnende Töne zu vernehmen. Gersters Vorschläge seien "nicht mehrheitsfähig in der SPD-Fraktion", sagte deren stellvertretender Vorsitzender Franz Thönnes. Gerster vertrete nicht die Position der Parlamentarier, seine Pläne lenkten von den eigentlichen Herausforderungen des Arbeitsmarktes ab.

"Deutschland ist zu schwerfällig"

Doch auch die möchte Florian Gerster angehen: Als sinnvoll erachtet er es, künftig bei Fortbildung und Umschulung zu sparen, um stattdessen verstärkt - wie beim Kombilohn-Modell - Lohnzuschüsse für gering Qualifizierte und Langzeitarbeitslose zu zahlen. Er plädiert zudem dafür, mehr Teilzeitstellen zu schaffen, befristete Arbeitsverhältnisse sowie Zeitarbeit und niedrig entlohnte Arbeit zu ermöglichen. "Deutschland ist zu langsam und zu schwerfällig, was die Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen angeht", sagte Gerster der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die Arbeitsämter sollten sich nicht nur um Arbeitslose kümmern, sondern auch um Menschen, die von Arbeitslosigkeit bedroht seien. Erwerbslosen könnten dann womöglich Sanktionen angedroht werden, wenn sie sich nicht rechtzeitig bei den Ämtern meldeten.

Ein knappes halbes Jahr vor den Bundestagswahlen lösen solche Pläne heillose Angst bei den Regierenden aus. Im Wahlkampf ist es mit dem Mut zur Umsetzung strittiger Vorschläge meist nicht weit her, doch jetzt, da erste Entwürfe skiziiert werden, wird wild diskutiert und kritisiert. Aber auch Lob darf Florian Gerster für sich verbuchen - und das kam aus dem Lager der Opposition. Gersters Vorschläge gingen in die richtige Richtung, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Hans Peter Repnik. Die Regierung versuche, Gerster noch vor seinem Amtsantritt mundtot zu machen.

Wer Florian Gerster allerdings kennt, weiß, dass er mit Kritik und unliebsamen Vorschlägen auch nicht hinterm Berg halten wird, sollte die Union die Bundestagswahlen im September gewinnen. Denn Gerster bleibt auch im Falle eines Regierungswechsels im Chefsessel der Bundesanstalt für Arbeit, die er am liebsten umbennen möchte - in "Bundesagentur für Arbeit".

Quelle: ntv.de

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