Debatte über Afghanistan-Einsatz Deutsche Strategie überdenken
27.06.2009, 20:41 UhrAngesichts der zunehmenden Gewalt gegen deutsche Bundeswehrsoldaten plädiert SPD-Fraktionschef Peter Struck für Verhandlungen mit den gemäßigten Taliban.
"Ich habe in Kundus schon mit Taliban gesprochen, wir müssen alle einbeziehen - jedenfalls die gemäßigten Taliban", sagte der frühere Verteidigungsminister dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Ausschließen würde er Gespräche mit Leuten wie dem untergetauchten Taliban-Führer Mullah Omar. "Ich habe mir seinen Lebenslauf angesehen. Das ist ein Massenmörder." Auch das Nachbarland Afghanistans, Pakistan, müsse eingebunden werden.
Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) betonte trotz der jüngsten Ereignisse in der "tageszeitung" (taz): "Wir haben schon viel erreicht." Sobald Afghanistan an die Taliban zurückfalle, habe das auch Terror für die Welt zufolge. Die Bundeswehr sorge deshalb auch "unmittelbar für die Sicherheit der deutschen Bevölkerung".
Noch viele Jahre bis zum Abzug
Auch Struck stellte den Einsatz am Hindukusch nicht infrage. "Ich sehe keinen Grund, jetzt aufzugeben und zu sagen: Es tut mir leid, die über 30 deutschen Soldaten sind leider umsonst gestorben, wir gehen raus." Bis zum Abzug könne es aber noch zehn Jahre dauern. Der Bundestag entscheidet am Donnerstag über die deutsche Beteiligung am Einsatz von Nato-Aufklärungsflugzeugen vom Typ AWACS in Afghanistan.
Am vergangenen Dienstag waren drei Soldaten aus Ostdeutschland nach einem Feuergefecht mit den Taliban ums Leben gekommen. Für sie wird es am kommenden Donnerstag im Beisein von Verteidigungsminister Jung im thüringischen Bad Salzungen eine zentrale Trauerfeier geben.
Trauerzeremonie in Kundus
Am Samstag nahmen die Soldaten des Feldlagers Kundus im Rahmen einer Trauerzeremonie Abschied von ihren gefallenen Kameraden, teilte die Bundeswehr mit. Anschließend wurden die drei Särge zum Flughafen Kundus gebracht, von wo sie über Termez (Usbekistan) nach Deutschland geflogen wurden. Mit dem jüngsten Vorfall sind in bislang 35 deutsche Soldaten Afghanistan bei Anschlägen, Gefechten, Unfällen und Unglücken ums Leben gekommen. Insgesamt sind am Hindukusch rund 3700 deutsche Soldaten stationiert.
Befugnisse für die Truppe
Die militärische Führung der Bundeswehr drängt nun auf weitergehende Befugnisse für die Truppe. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins "Focus" beklagte Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan im Kreis der Inspekteure, dem "Militärischen Führungsrat", die "sehr restriktive Auslegung" der Rechtslage beim deutschen Einsatz. Die Soldaten müssten auch aktiv gegen erkannte Aufständische vorgehen können, "um nicht immer auf die Schlachtbank geführt zu werden". Neue Vorschriften seien allerdings Sache der politischen Führung, sagte der General nach Angaben von Teilnehmern.
Linke und Grüne wollen Einsatz-Ende
Der Linke-Fraktionschef Gregor Gysi und der Vizefraktionschef der Grünen, Hans-Christian Ströbele, forderten die sofortige Beendigung des Einsatzes. "Wir dürfen mit dem Abzug aus einem immer sinnloseren Abnutzungskrieg nicht warten bis irgendwann in vielen Jahren", schreibt Ströbele in der "taz". "Der Krieg der Nato in Afghanistan hat nicht zu Frieden, sondern zu mehr Gewalt und Terror geführt", meinte Gysi in der Zeitung.
Der frühere Sonderbeauftragte der UN-Mission für Afghanistan, Tom Koenigs (Grüne), verteidigte den Einsatz. Wenn die Bundeswehr und die Isaf-Truppen Afghanistan verließen, werde dasselbe passieren wie 1989. "Rivalisierende Mudschaheddin-Warlords werden grausige Massaker anrichten, es wird neue Flüchtlingswellen geben, und die Taliban werden alle Ansätze eines liberalen muslimischen Rechtsstaates ersticken."
Quelle: ntv.de, dpa