Eine wahre "DDR" Deutschland feiert sich
03.10.2007, 07:42 UhrMehr als hunderttausend Menschen haben in Schwerin den 17. Tag der Deutschen Einheit gefeiert. Beim zentralen Festakt im Staatstheater nannte Bundestagspräsident Norbert Lammert Einigkeit, Recht und Freiheit in Deutschland als die eigentlichen Errungenschaften des 3. Oktober 1990. "Aus diesem Bekenntnis unserer Nationalhymne, in einem Land, das mehr als 40 Jahre lang geteilt war, wo Freiheit, Demokratie und Menschenrechte Millionen Menschen über Jahrzehnte verweigert worden waren, sind Gestaltungsprinzipien eines wiedervereinigten Staates geworden - einer tatsächlich 'deutschen demokratischen Republik'", sagte er.
Nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bleibt der Aufbau Ost "eine Schwerpunktaufgabe für die Bundesregierung und auch für die alten Bundesländer". Im NDR würdigte sie die bisherigen Aufbauleistungen, verwies aber auch auf noch bestehenden Aufgaben. Sie trat Überlegungen in der eigenen Partei zur Abschaffung des Soli-Zuschlags entgegen. Er sei nötig für die Stabilität in der Finanzunterstützung, sagte Merkel.
Debatte über Soli-Abschaffung
Zuvor war erneut eine Debatte über die Finanzierung des Aufbaus Ost entbrannt. SPD-Chef Kurt Beck hält den Solidarzuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer auf absehbare Zeit nicht für verzichtbar. "Die Bundeskasse hat daraus Einnahmen von zwölf Milliarden Euro im Jahr. Ohne dieses Geld wäre sie nicht in der Lage, die Aufbauprogramme für die neuen Länder fortzusetzen", sagte Beck in Schwerin. Mit dem CDU-Vorschlag zur "Soli"-Abschaffung sei es wie mit dem Ungeheuer von Loch Ness: Zu bestimmten Zeiten tauche es immer wieder auf.
Die Kanzlerin sprach sich dafür aus, den ostdeutschen Ländern beim Einsatz der Solidarpakt-Mittel größere Spielräume zu gewähren, um "möglichst viele private Investitionen anzustoßen". Der Solidarpakt II sei das zentrale Förderinstrument bis 2019, sagte sie der "Schweriner Volkszeitung".
Kritischen Blick nicht verlieren
Bundesratspräsident Harald Ringstorff (SPD) erklärte vor den mehreren hundert Gästen des Schweriner Festakts, der Osten Deutschlands habe einen "großen Sprung nach vorn gemacht". Dies sei ein Erfolg der Menschen in den neuen Ländern und Ergebnis der großen Solidarität aller Deutschen, hob der Regierungschef von Mecklenburg-Vorpommern hervor. Zugleich warnte er davor, angesichts persönlicher Enttäuschungen im Osten den kritischen Blick auf die DDR zu verlieren. Die zentrale Feier zum Tag der deutschen Einheit findet traditionell in dem Bundesland statt, das die Präsidentschaft im Bundesrat hat.
Mit Blasen und Trompeten
Auf den Straßen Schwerins wurde der Tag der Deutschen Einheit mit Pauken und Trompeten bei einem Bürgerfest gefeiert. Bundespräsident Horst Köhler startete eine große Musikparade. Auf einer Ländermeile präsentierten sich die Bundesländer, Bühnenprogramme unterhielten die Besucher. Am Nachmittag maßen Mannschaften aus mehreren Bundesländern ihre Kräfte bei einem Drachenbootrennen. Das Team aus Niedersachsen hatte dabei die Nase vorn. Das Boot mit Innenminister Uwe Schünemann (CDU) kam auf der 250 Meter langen Wettkampfstrecke auf dem Pfaffenteich vor den Mannschaften aus Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg ins Ziel. Insgesamt gingen sieben Mannschaften mit Ministerpräsidenten oder anderen Landespolitikern an den Start, außer den drei Erstplatzierten auch aus Bayern, dem Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein.
Mehr als eine halbe Million Menschen haben rund um das Brandenburger Tor in Berlin bei strahlendem Sonnenschein den Tag der Deutschen Einheit gefeiert. Am Nachmittag musste das Gelände wegen des großen Andrangs abgesperrt werden. Nur noch ein Eingang an der Siegessäule blieb offen, um schubweise weitere Besucher einzulassen. Vom Nachmittag an standen Auftritte von Juli, Silbermond, den Sportfreunden Stiller und den Fantastischen Vier auf dem Programm.
Kirche ruft zu mehr Geduld auf
Bei einem ökumenischen Gottesdienst im Dom, an dem unter anderem Bundespräsident Köhler und Kanzlerin Merkel teilnahmen, hatte der Hamburger Erzbischof Werner Thissen zuvor zu mehr Geduld bei der Verwirklichung der Deutschen Einheit aufgerufen. Zum Wachsen brauche es pfleglichen Umgang miteinander in Ost und West, "ohne Vorurteile, ohne Besserwisserei auf Augenhöhe", sagte er.
Genscher hat Verständnis für Frust
Hans-Dietrich Genscher, ehemaliger Außenminister und Ehrenvorsitzender der FDP, äußerte sich zum Tag der Deutschen Einheit im n-tv Talk busch@n-tv optimistisch über das Erreichte seit der Wende 1989. "Die Schatten werden länger gezeichnet als sie sind", so Genscher. Unbestritten sei, dass sich die Lebenschancen verbesserten haben. Er könne ja verstehen, dass sich nicht alle Lebensentwürfe für die Ostdeutschen realisieren ließen und diese jetzt mit der Veränderung nicht fertig würden. Die Mehrheit würde aber die gewonnene Freiheit schätzen. Nachdrücklich spricht sich Genscher für eine schnellere Angleichung zwischen Ost und West aus: "Worte wie Dank und Undank passen in diese Situation überhaupt nicht. Denn wer von Dank spricht, spricht aus elitärer Überheblichkeit."
Unlängst habe sich herausgestellt, dass die Eliteuniversitäten in Bayern und Baden-Württemberg liegen. Das seien zwei reiche Länder, die viel Geld für ihre Schulen und Universitäten zur Verfügung stellen können. Das könnten die neuen Bundesländer nicht. "Wenn der eine 40 Jahre später startet als der andere, kann er nicht schneller als der andere ankommen. Deshalb muss der Schwerpunkt für die Förderung für den Osten jetzt Mittel für Forschungsinstitute, für Hochschulen und Schulen sein, damit der Osten für die Ostdeutschen und auch für die Westdeutschen attraktiv wird."
Quelle: ntv.de