US-Geheimdienst spionierte in EU-Büros Deutschland gibt angeblich Daten an NSA weiter
30.06.2013, 07:42 Uhr
Die NSA: globale Datensammelstelle?
(Foto: dpa)
NSA und kein Ende: Einem Ex-Mitarbeiter zufolge sollen Deutschland und andere große EU-Länder Daten im Rahmen "undurchsichtiger Vereinbarungen" an den US-Geheimdienst weitergeben. Bundeskanzlerin Merkel wisse Bescheid, heißt es. Die NSA soll zudem Vertretungen Europas in Washington und bei den UN verwanzt sowie Zugriff auf interne Dokumente haben. EU-Politiker schäumen - und drohen.
Deutschland und andere europäische Länder haben regelmäßig aus digitaler Kommunikation gewonnene Daten an den US-amerikanischen Geheimdienst NSA weitergegeben, berichtet "privacysurgeon.org". Dabei stützt sich der Blog auf ausführliche Aussagen eines ehemaligen NSA-Mitarbeiters. Auch die britische Zeitung "The Guardian" hatte dies zunächst gemeldet, inzwischen ist der Text jedoch nicht mehr zugänglich. "Dieser Artikel wurde wegen einer laufenden Untersuchung offline gestellt", heißt es an entsprechender Stelle auf der Website.
Angaben des Ex-NSA-Mitarbeiters Wayne Madsen zufolge sollen neben Deutschland und Großbritannien auch Dänemark, die Niederlande, Frankreich, Spanien und Italien entsprechende "geheime Deals" mit Washington haben. Sie sollen sich verpflichtet haben, auf Aufforderung Daten aus der Internet- und Mobilfunkkommunikation an die NSA auszuhändigen.
Madsen, der 12 Jahre lang für den Abhördienst NSA gearbeitet hatte, sprach in dem Blog-Beitrag von "undurchsichtigen Vereinbarungen". Der einstige Marineoffizier sagte, er habe diese Angaben nun publik gemacht, da europäische Regierungen in den vergangenen Wochen "nur die halbe Wahrheit" über ihre Kooperation mit den US-Sicherheitsbehörden erzählt hätten, die Jahrzehnte - teilweise bis in die Zeit des Kalten Kriegs - zurückgehe. Inzwischen arbeitet Madsen als Journalist.
Was weiß Merkel?
Alle sieben genannten Länder hätten Zugang zu einem transatlantischen Glasfaserkabel, das ihnen erlaube, große Datenmengen, darunter Informationen über Telefonate, E-Mails und die Nutzung von Websites abzuzapfen, sagte Madsen. Er wirft zudem Bundeskanzlerin Merkel vor, die Öffentlichkeit zu täuschen. "Ich verstehe nicht, wie Angela Merkel keine Miene verziehen kann, während sie von Obama und Großbritannien Versprechen fordert, während Deutschland exakt die gleichen Beziehungen unterhält", so Madsen.
Zuvor hatte der "Spiegel" gemeldet, dass der US-Geheimdienst NSA gezielt die Europäische Union ausspähe. Dies gehe aus geheimen Dokumenten hervor, die der Informant Edward Snowden mitgenommen habe. Ein Papier der NSA vom September 2010 beschreibe dies genau.
Demnach habe der Geheimdienst die diplomatische Vertretung der EU in Washington sowie bei den Vereinten Nationen in New York mit Wanzen versehen und das interne Computernetzwerk infiltriert. Somit hätten die Amerikaner Besprechungen abhören und Dokumente sowie Mails auf den Computern lesen können. In dem NSA-Dokument würden die Europäer ausdrücklich als "Angriffsziel" benannt.
EU-Politiker entsetzt
Eine Sprecherin der EU-Kommission wollte sich zu dem Bericht nicht äußern. Die USA schweigen. "Ich kann das nicht kommentieren", so der stellvertretende US-Sicherheitsberater Ben Rhodes. Er sage nichts zu derartigen "unautorisierten Berichten".
Dagegen reagierten führende EU-Politiker empört. "Wenn diese Berichte wahr sind, ist das abscheulich", sagte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. "Die USA sollten lieber ihre Geheimdienste überwachen statt ihre Verbündeten. Wir müssen jetzt von allerhöchster Stelle eine Garantie bekommen, dass das sofort aufhört."
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) forderte genauere Informationen. "Aber wenn das stimmt, dann bedeutet das eine große Belastung für die Beziehungen der EU und der USA", sagte er. Manfred Weber (CSU), stellvertretender Fraktionsvorsitzender der EVP und Sicherheitsexperte im Europaparlament, nannte es inakzeptabel, wenn europäische Diplomaten und Politiker in ihrem Alltag ausspioniert werden. "Das Vertrauen ist erschüttert."
"Das Ausspionieren hat Dimensionen angenommen, die ich von einem demokratischen Staat nicht für möglich gehalten habe", sagte Elmar Brok (CDU), Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments. Europas geplantes Freihandelsabkommen mit den USA hält er für gefährdet. "Wie soll man noch verhandeln, wenn man Angst haben muss, dass die eigene Verhandlungsposition vorab abgehört wird?"
SPD-Chef Sigmar Gabriel fordert mehr politische Kontrolle in diesem Bereich. "Die Politik muss Regeln schaffen, um grundlegende Freiheits- und Persönlichkeitsrechte zu sichern", sagte er. "Gegen Staaten, aber auch gegenüber den wirtschaftlichen Datengiganten", ergänzte er mit Blick auf Unternehmen wie Google oder Amazon. Weder Staaten noch Unternehmen hätten das Recht, den gläsernen Menschen zu produzieren.
Abhöraktionen seit fünf Jahren
Laut "Spiegel" hat die NSA vor etwas mehr als fünf Jahren auch am Sitz der EU in Brüssel einen Lauschangriff gestartet. So seien den dortigen Sicherheitsexperten mehrere fehlgeschlagene Anrufe aufgefallen, die offenbar einer Fernwartungsanlage im Justus-Lipsius-Gebäude - also dem Sitz des Ministerrates - gegolten hatten.
Die Spur des Anrufers habe ins Nato-Hauptquartier im Brüsseler Vorort Evere geführt, wo in einem abgeschirmten Bereich Experten der NSA säßen. In dem EU-Ratsgebäude hat jeder EU-Mitgliedstaat Räume mit Telefon- und Internetanschluss, in die sich Minister zurückziehen können.
Snowden hält sich indes fast eine Woche nach seiner spektakulären Flucht aus Hongkong weiter im Transitbereich des Moskauer Flughafens Scheremetjewo auf. Möglicherweise kommt aber Bewegung in den Fall. Die Behörden von Ecuador, bei denen Snowden Asyl beantragt hat, und Russland verhandelten über das Schicksal des 30-Jährigen, berichtete der Staatssender Rossija 24. Außenminister Ricardo Patiño habe sich persönlich in die Gespräche eingeschaltet.
Der Andenstaat hatte zuvor betont, Snowden müsse auf dem Boden Ecuadors sein, um als Flüchtling anerkannt zu werden. Nach Meinung von Experten könnte das auch die Botschaft des südamerikanischen Landes in Moskau sein. Der ecuadorianische Staatschef Rafael Correa sagte, US-Vizepräsident Joe Biden habe ihn in einem "höflichen" Telefongespräch gebeten, das Asylgesuch Snowdens abzulehnen.
Quelle: ntv.de, rpe/dpa