Streit um die Beutekunst "Deutschland wird Abschied nehmen müssen"
21.06.2013, 16:43 Uhr
Eine Mitarbeiterin des Museums in der Adler-Apotheke in Eberswalde zeigt die Nachbildung einer Brosche des legendären Goldschatzes, der 1913 in Eberswalde gefunden worden war (Archivbild).
(Foto: dpa)
Deutschland spricht von "Beutekunst", Russland von "verlagerten Kulturgütern". Um die 1945/46 in die UdSSR verbrachten Kunstschätze wird seit Jahren erbittert gestritten. Darüber kam es beim Bundesuch der Bundeskanzlerin in St. Petersburg zum Eklat. n-tv.de spricht mit dem Osteuropahistoriker Wolfgang Eichwede, der den Streit seit zwei Jahrzehnten beobachtet.
n-tv.de: Wer hat eigentlich das Treffen abgesagt? Frau Merkel oder Herr Putin?

Wolfgang Eichwede ist Gründungsdirektor der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Wolfgang Eichwede: Offensichtlich war dies eine Ping-Pong-Absage. Zunächst hatten beide vereinbart, dass sie zu der Eröffnung der Ausstellung gehen würden. Offenbar war nicht vollständig geklärt, ob beide eine Rede halten. Die deutsche Seite ging davon aus, dass Frau Merkel sprechen würde. Das wollte die russische Seite nicht. Darauf erwiderte die deutsche Seite, dass sie reden und auf die deutsche Rechtsposition verweisen würde. Die Antwort: Die Kanzlerin kann bei der Eröffnung anwesend sein, aber darf nicht reden. Darauf hat die deutsche Seite das Treffen abgesagt.
Russland spricht von "verlagerten Kulturgütern", Deutschland von "Beutekunst". Das ist doch - unabhängig vom jeweiligen Rechtsstandpunkt - ein moralisch unterschiedliches Herangehen.
Ganz augenfällig. Das Schicksal der Kunst- und Kulturgüter im Krieg war verheerend. Zunächst hat Deutschland in der Sowjetunion und anderen Ländern in großem Umfang geraubt und geplündert. Nach dem Krieg hat die Trophäenkommission der UdSSR viele Kulturgüter insbesondere in Ostdeutschland beschlagnahmt. Davon wurden in der 50er Jahren etwa Dreiviertel an die DDR zurückgegeben. Etwa ein Viertel, das sind bis zu 200.000 Objekte, befindet sich noch in Russland. Um die wird seit 20 Jahren gestritten. Die Position: Laut Haager Landkriegsordnung von 1907 ...
... Artikel 56 ...
... und laut dem deutsch-russischen Partnerschaftsvertrag von 1990 muss Russland zurückgeben. Die russische Position: Das Völkerrecht ist eine Sache, die historische Verantwortung für den Krieg eine andere. Außerdem steht in dem Vertrag, dass nur jene Güter zurückgegeben werden müssen, die unrechtmäßig verlagert worden sind. Russland geht davon aus, dass die Beschlagnahmung angesichts der großen, von den Deutschen verursachten, Kriegsschäden rechtmäßig war. Diese Feststellung wurde allerdings erst 1998 getroffen. Die Sowjetunion war zu ihren Lebzeiten wohl durchaus bereit, alles zurückzugeben. Also, das alles ist sehr verwirrt. Von russischer Seite heißt es auch: Außerdem könnt ihr Deutsche ja nicht sagen, wo unsere Kulturgüter geblieben sind, die während des Krieges gestohlen wurden.
Das wäre meine Frage.
Ich erstelle gerade einen Forschungsbericht. Man muss sehr vorsichtig sein. Aber nach all unserem Wissen befinden sich in Museen oder anderen öffentlichen Einrichtungen kaum oder keine russischen beziehungsweise sowjetischen Kulturgüter. Was die Nationalsozialisten geraubt haben, wurde zu einem großen Teil durch die Amerikaner unmittelbar nach dem Krieg an die UdSSR zurückgegeben. Aus meiner Erfahrung aus den vergangenen 20 Jahren sage ich aber, dass sich in Privathand noch das eine oder andere befinden könnte.
Unabhängig vom Partnerschaftsvertrag gibt es ja auch einen Beschluss der Staatsduma von 1999 zu dem Thema.
Richtig. Den hat die deutsche Seite als unfreundlich betrachtet. Der parlamentarische Verstaatlichungsbeschluss wurde vom russischen Verfassungsgericht bestätigt und bezieht sich allein auf Kulturgüter, die von der sowjetischen Trophäenkommission 1945/46 beschlagnahmt wurden. Auf Privatmitnahmen, auf Mitnahmen von kirchlichen Gütern oder solche von Widerstandsfamilien trifft dieses Gesetz nicht zu. Der Beschluss war aber ein herber Schlag gegen den Versuch sich zu einigen.
Bleibt die sogenannte Beutekunst ein ewiger Streitpunkt?
In einem überschaubaren Zeitraum bleibt diese Frage ein Streitpunkt. In den vergangenen 20 Jahren haben beide Seiten sehr oft unglücklich verhandelt. Die deutsche Seite hat die Chance in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht genutzt. Damals war Russland wohl bereit, auf Deutschland zuzugehen. Später hat sich die russische Position verhärtet, die deutsche Position wurde flexibler. Es handelt sich um eine Kette von gescheiterten diplomatischen Schritten.
Könnte man das Problem nicht durch die Gründung einer internationalen Stiftung lösen?
Eine internationale Stiftung würde keine Lösung bringen. Dann müsste Russland ja von seinen Eigentumsrechten zurücktreten. Deutschland wird sich perspektivisch mit dem Gedanken anfreunden müssen, von seinen Eigentumsansprüchen größtenteils Abschied zu nehmen. Im Gegenzug könnte die russische Seite dann Leihgaben nach Deutschland zu gestatten.
Mit Wolfgang Eichwede sprach Manfred Bleskin
Quelle: ntv.de