Crystal Meth Die Blitzkrieg-, Sex- und Arbeitsdroge
03.07.2014, 13:48 Uhr
Crystal Meth erlebt seit ein paar Jahren einen Boom in Deutschland.
(Foto: picture alliance / dpa)
Gegen den SPD-Bundestagsabgeordneten Michael Hartmann wird ermittelt, er soll gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen haben. Angeblich geht es um Crystal Meth - eine Droge mit Geschichte.
Ausgerechnet die SPD. Erst vor fünf Monaten war der SPD-Politiker Sebastian Edathy in die Schlagzeilen gekommen, weil gegen ihn ermittelt wurde. Edathy legte sein Bundestagsmandat damals sofort nieder. Der Abgeordnete Michael Hartmann hat sein Mandat behalten, er trat lediglich als innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion zurück.
Der Vorwurf gegen ihn hat nicht die moralische Dimension, die der Fall Edathy hatte. Bei Edathy geht es um den Verdacht auf Erwerb und Besitz von Kinderpornografie; gegen Hartmann wird wegen des Verdachts ermittelt, gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen zu haben. Seinem Anwalt zufolge geht es um geringe Mengen zum Eigenverbrauch. Die Staatsanwaltschaft teilte lediglich mit, bei einer Durchsuchung seiner Berliner Wohnung seien keine Drogen gefunden worden.
Konkret soll es um Crystal Meth gehen, auch bekannt als Methamphetamin - offiziell bestätigt ist das allerdings nicht. Methamphetamin? Der Name klingt sperrig, dabei gehört die Substanz zu den am häufigsten konsumierten Drogen weltweit. Auch in Deutschland erlebt kristallines "Meth" seit einigen Jahren einen Boom, weil der Nachschub aus Tschechien leicht und billig zu beschaffen ist. Rund 80 Euro kostet ein Gramm laut Bundeskriminalamt.
Genutzt wird das Aufputschmittel als Partydroge, aber auch mit dem Ziel, die berufliche Leistungsfähigkeit zu steigern. So wurde im Mai in Großbritannien ein 63-jähriger Bankier wegen Drogenbesitzes verurteilt. Zur Begründung nannte er Stress im Job und die anstrengende Pflege seiner todkranken Mutter. In einer Studie gaben mehr als 50 Prozent der Befragten sexuelle Motive für ihren Crystal-Meth-Konsum an (wobei Experten darauf hinweisen, dass Methamphetamin die sexuellen Fähigkeiten von Männern eher verringert).
"Pervitin für meinen Vorrat"
Crystal Meth gibt es bereits seit mehr als einhundert Jahren, ein Japaner meldete das Patent 1921 an. In Deutschland wird der Stoff unter der Bezeichnung Pervitin 1938 als Muntermacher auf den Markt gebracht. Selbst Schokolade mit Pervitin wird produziert, Hausfrauen essen sie, aber auch die deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Der spätere Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll bittet seine Familie in nahezu jedem zweiten Feldpostbrief, ihm noch mehr von dem Zeug zu schicken: "Vielleicht könntet Ihr mir noch etwas Pervitin für meinen Vorrat besorgen?" Die Wehrmacht hatte das Mittel anfangs selbst verteilt, später drückt sie beide Augen zu: Methamphetamin macht zwar abhängig, aber es reduziert sowohl das Schlafbedürfnis als auch die Skrupel der Soldaten. Gegen Ende des Krieges wird Pervitin sogar Kindern verabreicht, die das Tausendjährige Reich als Flakhelfer verteidigen sollen.
Nach dem Krieg wird die Blitzkriegdroge als Appetitzügler und Antidepressivum eingesetzt; die Bundeswehr hat Pervitin noch in den siebziger Jahren im Arzneischrank. Etwa zu dieser Zeit erlebt die Droge unter anderem Namen einen neuen Aufschwung: An der Westküste der USA entstehen im Umfeld der Hells Angels die ersten Drogenküchen, in denen Methamphetamin im großen Stil hergestellt wird. Heute ist Crystal Meth die Pille für Partys und Workaholics. Die Nebenwirkungen sind geblieben: Abhängigkeit, Angstzustände, Wahnvorstellungen, Zahnausfall - der sogenannte Meth-Mund mit fauligen Zähnen wird gern zur Abschreckung gezeigt.
In Deutschland ist der Besitz von Methamphetamin strafbar, wenn keine Erlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vorliegt. Am kommenden Montag wird die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, ihren aktuellen Drogenbericht vorstellen. Darin wird Crystal Meth eine zentrale Rolle spielen. Voraussichtlich wird Mortler darauf hinweisen, dass der Konsum dieser Droge seit 2009 deutlich zunimmt - vor allem in den Regionen an der Grenze zu Tschechien.
Vermutlich wird Mortler die bereits erwähnte Studie zitieren. Darin wird auf die besonders hohe Akzeptanz von Amphetamin und Methamphetamin bei Konsumenten verwiesen, "die einen akzeptierenden und auf Risikominimierung ('Safer Use') abzielenden Ansatz verfolgen". Mit anderen Worten: Die Droge wird als beherrschbar erlebt.
Quelle: ntv.de