Krise mit Russland "Die EU spielt Schach - Putin spielt Rugby"
18.11.2014, 10:09 Uhr
Ein Putin-Bild in einem von Separatisten besetzten Gebäude in der Ostukraine.
(Foto: REUTERS)
Die Europäische Union will die Ukrainekrise nutzen, um endlich auch in der Außenpolitik ernstgenommen zu werden. Die neue Außenbeauftragte Mogherini wird alles dafür tun - also auch Putin die Stirn bieten.
Man kann es ausdrücken wie Reinhard Bütikofer. Auf die Frage von Journalisten, wie es zur Eskalation im europäischen Verhältnis mit Russland kommen konnte, findet der Abgeordnete der Grünen im Europaparlament deutliche Worte: "Wir haben uns an unserer Blauäugigkeit dramatisch besoffen und wurden durch diesen Konflikt aufgeweckt."
Wer sich in diesen Tagen in Brüssel umsieht, blickt vor allem in besorgte Gesichter. Niemand in der Europäischen Kommission oder dem Parlament bestreitet, dass die EU von der Entwicklung in der Ukraine überrumpelt worden ist. "Wer behauptet, er hätte das vorhergesehen, lügt", sagt ein hochrangiger Kommissionsbeamter.
Putin hat die EU vorgeführt

Federica Mogherini will einiges anders machen als ihre Vorgängerin Catherine Ashton.
(Foto: REUTERS)
Konsens unter den EU-Offiziellen ist: In Brüssel und den Mitgliedstaaten hat man die politische Entwicklung in Russland falsch eingeschätzt. Mit der Annexion der Krim und dem neuen Kalten Krieg, den Putin entfacht hat, ist es dem russischen Präsidenten auch gelungen, die EU als handlungsunfähig vorzuführen. Eine Rechtfertigung, die europäische Vertreter dafür gern anführen, ist die intergouvernementale Struktur der EU. Der autokratischen Herrschaft Putins stünden in Europa die Interessen von 28 Mitgliedstaaten gegenüber, die zuerst koordiniert werden müssten, bevor die EU eine außenpolitische Position entwickeln könne. Russland bezieht seine Stärke aus dieser europäischen Schwäche, haben in Brüssel viele erkannt. Europa müsse endlich lernen, in der Außenpolitik Einheit zu demonstrieren.
Deshalb ist die neue Kommission und die Ernennung der Italienerin Federica Mogherini zur Außenbeauftragten ein Glück. Die Skepsis, mit der Mogherini - auch weil sie erst 41 Jahre alt ist - konfrontiert war, ist in Brüssel bereits verflogen. Dass man sich von ihr ein entschiedeneres Auftreten verspricht als von ihrer Vorgängerin Catherine Ashton, wird hinter vorgehaltener Hand deutlich gesagt.
Mogherini verfügt über Machtbewusstsein
"Die EU braucht endlich eine strategische Russland-Politik", heißt es aus der EU-Kommission. Auch deshalb ist Mogherinis erste Amtshandlung nicht zu unterschätzen: Anders als ihre Vorgängerin hat die Italienerin kein Büro im Haus des diplomatischen Dienstes bezogen, sondern im Berlaymont, dem Präsidiumsgebäude der Kommission. Es handelt sich dabei mehr als um einen symbolischen Akt. Mogherinis Bürowahl zeugt von Machtbewusstsein, das sie nach innen wie nach außen demonstriert: Nach innen, weil sie damit ihre Doppelfunktion als Außenministerin und Vize-Präsidentin der Kommission unterstreicht. Nach außen, weil sie Putin und den Staatschefs anderer Drittstaaten zeigt, dass ihre politische Heimat dort ist, wo die EU bereits mit einer Stimme spricht.
Anders als manche Beobachter in Deutschland werten EU-Funktionäre und Parlamentarier Mogherinis differenzierte Worte zu den Sanktionen gegen Russland nicht als Schwäche. "Mogherini ist schlicht realistisch, wenn sie sagt, dass die Sanktionen Putin nicht zu einem politischen Umdenken bewegen werden", sagt Bütikofer.
Ein enger Mitarbeiter Mogherinis aus dem Europäischen Auswärtigen Dienst betont, dass man sich in der Gestaltung des Verhältnisses zu Russland alle Möglichkeiten offen halten wolle. Man setze zwar auf Dialog. "Wir geben uns Mühe, Russland zu verstehen", versichert er, um nachzusetzen: "Doch auf russischer Seite gibt es keine vergleichbare Bewegung in unsere Richtung." Unter Mogherini werde es eine strategischere, aktivere Russland-Politik geben als unter ihrer Vorgängerin, verspricht der Beamte. Das würde bedeuten, nach außen selbstbewusster aufzutreten.
Russlands Hinterhof
Zu lange habe Europa ignoriert, dass es auf der internationalen Bühne zwei fundamental verschiedene Vorstellungen von Außenpolitik gebe, sagt Bütikofer. "Die EU hat Schach gespielt, während Putin Rugby spielen will." Russland vertrete die Haltung, dass jede Großmacht das Anrecht auf einen Hinterhof habe. Diesen Streit, so denken neben Bütikofer auch viele in der EU-Kommission, habe die EU mit ihrer gemeinsamen Position im Ukraine-Konflikt gewonnen. "Führt man eine solche Debatte, stellt sich die Frage, wer noch alles zu diesem Hinterhof gehört. Hätte Russland an den Grenzen der EU Halt gemacht?"
Am Donnerstag billigte das EU-Parlament mit großer Mehrheit ein Assoziierungsabkommen mit der Republik Moldau - und erzürnte den russischen Präsidenten damit aufs Neue. Die Assoziierungsabkommen, mit denen die EU postsowjetische Staaten näher an den europäischen Markt heranführt, sind für Europa ein Mittel der Verteidigung. Langfristig, so ein Russland-Experte im Europäischen Auswärtigen Dienst, könnten sie Putin zur Raison zwingen. "Gute Beziehungen zur EU liegen im russischen Interesse. Denn die EU hat etwas, das auch Russland wollen muss: Freien Handel."
Quelle: ntv.de