Elendsdroge Krokodil erreicht Deutschland Die Haut fällt ab, der Süchtige verfault
12.10.2011, 14:54 Uhr
(Foto: dpa)
In Russland gibt es "Krokodil" bereits seit 2002, nun ist die Droge, die den Süchtigen von innen verrotten lässt, auch in Deutschland angekommen. Während dort die Gier der Pharma-Lobby dafür sorgt, dass das "Heroin der Armen" weiter produziert werden kann, ist es hier offenbar vor allem die Gier der Drogenhändler.
In Deutschland ist offenbar die russische Elendsdroge "Krokodil" aufgetaucht. Den Mitarbeitern der Krisenhilfe Bochum seien bei einigen Besuchern des Drogencafés "richtig große Abszesse" in Armen und Beinen aufgefallen, sagt Heinrich Elsner, der Leitende Arzt der Krisenhilfe, im Gespräch mit n-tv.de. Er spricht von Weichteildefekten, von heruntergefallener Haut, aufgelöster Muskulatur, von Unterarmen, die zur Hälfte nicht mehr mit Haut bedeckt sind.
An sich seien Abszesse bei Drogenkonsumenten nicht ungewöhnlich. Vor allem wer sich Kokain oder Desinfektionsmittel spritze, riskiere solche Geschwüre. Jedoch seien die Mitarbeiter der Krisenhilfe bei vier Fällen sicher, dass die Betroffenen mit Krokodil gestrecktes Heroin gekauft und konsumiert hätten. Beides zusammen - das Abfaulen von Haut und Muskeln sowie die Annahme, reines Heroin gekauft zu haben - sei ein starker Hinweis auf Krokodil, sagt Elsner, der zugleich betont, dass es bislang keinen endgültigen Beweis für diese Annahme gebe.
Laut Bochumer Polizei wäre es bereits das zweite Mal, dass Krokodil in Deutschland auftaucht. Demnach wurde die Droge bereits in Frankfurt am Main angeboten. Die Frankfurter Polizei teilte dagegen mit, es habe dort "bislang keinen einzigen Fall" gegeben.
"Sie verrotten einfach"
Krokodil enthält das Betäubungsmittel Desomorphin und verursacht einen ähnlichen Rausch wie Heroin - laut Elsner hatten die vier Bochumer Abhängigen keinen Unterschied bemerkt. Das US-amerikanische Magazin "Time" beschreibt Krokodil als "dreckigen Cousin" von Morphin, der sich in der russischen Jugend wie ein Virus ausbreite. Die in Bochum beobachteten Defekte sind nur der Anfang eines drastischen körperlichen Verfalls.
Laut "Time" nahmen im vergangenen Jahr zwischen einigen hunderttausend und einer Million Menschen in Russland Krokodil. Es ist im doppelten Sinne eine Elendsdroge: Die Nutzer weichen auf Krokodil aus, weil es deutlich billiger ist als Heroin und sogar von Süchtigen selbst hergestellt werden kann. Und weil sie daran verrecken: Wer Krokodil nimmt, muss damit rechnen, in zwei, spätestens in drei Jahren tot zu sein.
Praktisch alle der etwa zwölf Krokodil-Süchtigen aus ihrem Bekanntenkreis seien mittlerweile tot, sagte Irina Pavlova, eine Krokodil-Überlebende, der Zeitschrift. Ihre Freunde seien an Lungenentzündung, Blutvergiftungen, an geplatzten Arterien oder an Meningitis gestorben, "andere verrotten einfach". An der Einstichstelle wird die Haut grünlich und schuppig wie der Panzer eines Krokodils - daher der Name der Droge -, die Haut öffnet sich, das Fleisch fällt ab, der Knochen liegt blank.
Ohne Rezept
Die Grundlage von Krokodil ist Codein, ein Schmerzmittel und Hustenstiller, der in Deutschland verschreibungspflichtig, in Russland frei erhältlich ist. Außerdem braucht man noch Jod, roten Phosphor, der von den Reibeflächen von Streichholzschachteln abgekratzt werden kann, dann Benzin, Verdünnungsmittel und Salzsäure. In Internetforen wird behauptet, die Einnahme von Desomorphin sei an sich risikolos. Lediglich wegen der unprofessionellen Herstellung sei das erhältliche Produkt unsauber und damit so gefährlich. "Desomorphin verursacht den höchsten Grad an Abhängigkeit und ist am schwersten zu heilen", zitiert dagegen der britische "Independent" den russischen Arzt Artjom Jegorow. Bei Heroin dauere der körperliche Entzug fünf bis zehn Tage. Bei Krokodil sei es bis zu ein Monat. Die Schmerzen seien so stark, dass die Patienten starke Beruhigungsmittel bekämen, um nicht permanent in Ohnmacht zu fallen.
Desomorphin wurde bereits Anfang der 1930er Jahren in den USA hergestellt und patentiert. Der Schweizer Pharma-Konzern Hoffman-La Roche vertrieb die Substanz einige Jahre unter dem Namen Permonid als Schmerzmittel. Wegen des hohen Abhängigkeitspotenzials wurde das Mittel jedoch vom Markt genommen. Industriell wird Desomorphin heute nicht mehr produziert.
Die Gier der Händler
Das Comeback von Desomorphin als Krokodil ist auch eine Folge der russischen Anti-Drogen-Politik, die allein auf Repression und dichte Grenzen setzt und Heroin so teurer macht. In jüngster Zeit scheint jedoch ein neuer Trend einzusetzen: "Früher waren es Heroinabhängige, die auf Desomorphin umstiegen", schreibt die russische Nachrichtenagentur Ria Novosti. "In der letzten Zeit gibt es immer mehr Abhängige, die sofort mit Desomorphin anfangen."
Diese Gefahr kann sich der Bochumer Drogenarzt Elsner für Deutschland nicht vorstellen. Im Einzelfall sei es vielleicht möglich, dass Drogensüchtige auf einen anderen Stoff auswichen, wenn kein Heroin verfügbar sei. Dies sei jedoch nur selten der Fall. Elsner nimmt an, dass es Drogenhändler waren, die Krokodil unter Heroin mischten, um einen höheren Gewinn zu erzielen. Gefährdet seien daher vor allem Süchtige, die auf "Straßenheroin" angewiesen seien.
Auch ohne Krokodil hat Russland ein enormes Drogen-Problem: Hier gibt es mehr Heroin-Abhängige als in irgendeinem anderem Land. Nach inoffiziellen Schätzungen sollen es bis zu zwei Millionen sein, ein knappes Drittel der weltweit 100.000 Heroin-Toten pro Jahr entfallen auf Russland.
Selbst auf dem Krönungsparteitag der russischen Regierungspartei "Geeintes Russland" war Krokodil Thema. Präsident Dmitri Medwedew forderte dort einen "vernünftigen legalen Mechanismus", um die grassierende Desomorphin-Sucht zu bekämpfen. Doch auch hier sorgt die Gier der Händler für eine Verbreitung der Todesdroge: Bislang hat die russische Pharma-Lobby verhindert, dass der vernünftigste Mechanismus durchgesetzt wurde: eine Rezeptpflicht für Kodein. Denn Krokodil lässt die Kassen der Pillendreher klingeln: Laut "Spiegel" freute sich das Unternehmen Farmstandart im Sommer ganz offen, dass vor allem seine billigen Kodein-Präparate zum 37-prozentigen Plus bei nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten beigetragen hatten.
Quelle: ntv.de