Politik

"Piepegal, wer gewonnen hat" Die Legende von Horst und Angela

Während der Fraktionssitzung war der Ton zwischen Merkel und Seehofer auffallend freundlich.

Während der Fraktionssitzung war der Ton zwischen Merkel und Seehofer auffallend freundlich.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der unionsinterne Aufstand gegen die Kanzlerin ist abgeblasen, die Kritiker sind vorerst verstummt. Auch in der Koalition gibt es möglicherweise einen Krampflöser - vorausgesetzt SPD-Chef Gabriel beißt an.

Von einem Showdown war die Rede, vom großen Duell zwischen den Schwestern. CSU-Chef Horst Seehofer hatte der Kanzlerin ein Ultimatum gestellt und ihr gedroht, falls sie keine Maßnahmen zur Begrenzung der Zuwanderung einleiten würde. Und dann rettete ein Stück Papier mit ein paar Absichtserklärungen die Einigkeit der Unionsparteien. "Die Kanzlerin hat selbst die Blätter geholt", verriet Seehofer hinterher und sprach von einer "Formulierungsolympiade". So einfach ist es manchmal. War da was?

An diesem Dienstag ist von Streit jedenfalls nichts mehr zu spüren. Seehofer steht vor dem Fraktionssaal neben Angela Merkel. Seite an Seite, der Bayer so zahm wie lange nicht mehr, die Rollen klar verteilt. Als die Chefin ihr Statement beendet hat und er an der Reihe ist, scheint es, als wiederhole er nur nochmal, was die Kanzlerin bereits gesagt hat. Man müsse die Zahl der Flüchtlinge reduzieren, das sagen beide und reden von den Transitzonen, als wären diese bereits beschlossen.

Die neue Harmonie prägt auch die mit Spannung erwartete Fraktionssitzung. Jene Veranstaltung, bei der es zuletzt regelmäßig gekracht hatte, bei der einige Abgeordnete Merkel ungewöhnlich scharf angegriffen hatten. Aber von Aggressivität ist nichts zu spüren. Die Kanzlerin spricht in der Sitzung davon, dass die Bundeswehrsoldaten länger in Afghanistan bleiben müssten als geplant, um dort Schutzräume zu schaffen. Die Botschaft ist klar: Afghanen sollen künftig gar nicht erst fliehen und leichter zurückgeführt werden können.

"Kritiker erstaunlich still"

Als Merkel fertig ist, spendet Seehofer demonstrativ Beifall. Er redet wesentlich länger als die Kanzlerin, lobt die Einigung mit ihr und die Leistungen der bayerischen Flüchtlingshelfer ausführlich. Von Seehofer, der an den Fraktionssitzungen sonst nicht teilnimmt, kommt kein kritisches Wort. Am Nachmittag in der bayerischen Landesvertretung sagte er im Hinblick auf seinen Machtkampf mit Merkel. "Es ist mir piepegal, wer gewonnen hat." Aber auch wenn der CSU-Chef weder Obergrenzen noch Grenzschließungen durchsetzen konnte, hält er sich für den Sieger.

Intern hat er, so heißt es aus Parteikreisen, das Ergebnis jedenfalls so verkauft. Und wenn ein Seehofer das sagt, verstummt in der CSU der Widerspruch. In der Fraktion kursieren jedoch auch andere Interpretationen. Das Ergebnis sei für den Bayer allenfalls gesichtswahrend, mehr nicht. Wie auch immer man es drehen mag: Der Schulterschluss von Merkel und Seehofer, die Legende der zwei Gewinner, ist wichtig für CDU und CSU, sie löst den wochenlangen Krampf der zerstrittenen Schwestern. Das Ergebnis ließ sich bereits am Montagabend bei der CDU-Konferenz in Darmstadt beobachten. Die interne Kritik an der Kanzlerin schwelt zwar noch, aber auch dank der Einigung mit Seehofer scheint der Höhepunkt überschritten.

Viele Unions-Abgeordnete sehen in dem Papier von Merkel und Seehofer die späte, aber richtige Kurskorrektur. Entsprechend groß ist die Erleichterung. Erstmals sei nicht nur von Ordnung und Steuerung der Zuwanderung die Rede. In ihrer kurzen Ansprache sagt die Kanzlerin noch einmal, dass man die Zuwanderung reduzieren müsse. Es ist das, was viele hören wollen. Eine kontrovers hitzige Debatte wie zuletzt gibt es nicht. "Die Kritiker von Frau Merkel waren erstaunlich still, insgesamt ist die Luft raus", sagt ein Abgeordneter n-tv.de nach der Sitzung.

"Die SPD darf nicht so bockig sein"

Von den scharfen Merkel-Kritikern der vergangenen Wochen meldet sich keiner zu Wort. Auch über Grenzsicherung spricht niemand mehr. Es gibt nur fünf Wortmeldungen. Die einzige, die etwas Schärfe enthält, stammt von Johannes Singhammer. Der CSU-Politiker spricht sich deutlich gegen einen EU-Beitritt der Türkei aus, was nicht weiter kommentiert wird. Eineinhalb Stunden beschäftigt sich die Union mit dem Thema Flüchtlinge, wesentlich kürzer als in den vergangenen Sitzungen.

"Man hat das Gefühl, dass die Signale angekommen sind. Die Richtung stimmt", sagt ein Teilnehmer nach der Fraktionssitzung. Die Union hat sich zusammengerauft. CDU und CSU wollen nun wieder Geschlossenheit und Verlässlichkeit ausstrahlen, was zuletzt nicht gelang, und damit auch den Abwärtstrend in den Umfragen stoppen. Den Streit will man lieber in Richtung der SPD lenken. Man hätte längst schnelle Lösungen, wenn die Sozialdemokraten dies nicht verhinderten, betont man in der Union gern. "Ich habe Gabriel immer als Realist erlebt. Die SPD darf nicht so bockig sein", sagt der CDU-Abgeordnete Armin Schuster n-tv.de.

Vor dem Koalitionsgipfel am Donnerstag zeichnet sich jedoch ein Kompromiss ab. Wenn die Union auf haftähnliche Zustände für Flüchtlinge verzichte, "bewegen wir uns aufeinander zu", hatte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann vor der Unions-Fraktionssitzung gesagt. Wenn es eine Einigung in diesem Punkt mit CDU und CSU gebe, "dann können wir uns verständigen". Innenpolitiker der Union sind der Auffassung, dass man sowohl die Transitzonen als auch die Reisezentren, die die SPD fordert, einführen könnte. Einen Vorteil hätte das: In der Koalition gäbe es am Ende keinen richtigen Verlierer. In der Politik ist das oft entscheidend.

Quelle: ntv.de

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