Politik

"Echt" oder "unecht" Die Vertrauensfrage

Nach einem Rücktritt hätte Carstensen aller Voraussicht nach im Amt bleiben müssen.

Nach einem Rücktritt hätte Carstensen aller Voraussicht nach im Amt bleiben müssen.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Mit einer "unechten" Vertrauensfrage will der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter-Harry Carstensen (CDU) Neuwahlen erzwingen. Diesen Weg ist zuletzt Gerhard Schröder (SPD) als Bundeskanzler gegangen. In den Ländern wurde das Instrument der Vertrauensfrage so noch nie angewendet. In allen bisherigen Fällen von vorgezogenen Landtagswahlen haben sich die Parlamente selbst aufgelöst. Dem Bundestag räumt das Grundgesetz diese Möglichkeit nicht ein - daher Schröders Trickserei 2005.

Das Bundesverfassungsgericht billigte Schröders Vorgehen später. Es stellte "echte" und "unechte" Vertrauensfragen gleich. Eine Klage gegen Carstensens Vertrauensfrage wäre daher aussichtslos.

1. Juli 2005: Schröder stellt eine "unechte" Vertrauensfrage.

1. Juli 2005: Schröder stellt eine "unechte" Vertrauensfrage.

(Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)

Der Unterschied zwischen "echten" und "unechten" Vertrauensfragen liegt in der Motivation des Regierungschefs: So wie Carstensen 2009 wollte Schröder 2005 die Vertrauensfrage verlieren; der Antrag, ihm "gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes (...) das Vertrauen auszusprechen", war fingiert.

"Eine Regierung braucht eine stabile Mehrheit"

Ursprünglich hatte das Bundesverfassungsgericht "sehr, sehr strenge Vorgaben" für eine Vertrauensfrage gemacht, erläutert der Kieler Professor für öffentliches Recht, Florian Becker. So hätten die Karlsruher Richter nach der Vertrauensfrage von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) im Jahr 1983 zwar die Neuwahl gebilligt, zugleich aber strenge Regeln für die Zukunft aufgestellt: Nach diesem Urteil ist es verfassungswidrig, bei ausreichenden Mehrheiten die Vertrauensfrage zu stellen, nur um Neuwahlen einzuleiten. Die verfassungsrechtliche Situation habe sich nach Schröders Vorgehen 2005 aber geändert. Damals sagten die Richter: "Eine Regierung braucht eine stabile Mehrheit."

17. Dezember 1982: Kohl, erst zwei Monate zuvor zum Kanzler gewählt, lässt sich das Misstrauen aussprechen.

17. Dezember 1982: Kohl, erst zwei Monate zuvor zum Kanzler gewählt, lässt sich das Misstrauen aussprechen.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Carstensen hat seine Vertrauensfrage analog zum Fall Schröder 2005 damit begründet, dass die Große Koalition zerrüttet sei. Gebraucht werde in der Wirtschaftskrise "eine handlungsfähige Regierung, auf die man vertrauen kann und die sich gegenseitig vertraut". Er strebt Neuwahlen am 27. September parallel zur Bundestagswahl an.

Rücktritt kam nicht in Frage

Mit der "echten" Variante kann ein Regierungschef versuchen, die parlamentarische Basis auf seinen Kurs zu verpflichten. Solche Vertrauensvoten hat es auf Länderebene häufig gegeben. Auch Schröder hat dies 2001 im Bundestag getan, als er die Abstimmung über die Beteiligung am Krieg in Afghanistan mit der Vertrauensfrage verband.

Die Vertrauensfrage ist nur in einigen Länderverfassungen verankert und dabei unterschiedlich geregelt. Die schleswig-holsteinische Landesverfassung etwa legt fest, dass der Ministerpräsident nach verlorener Vertrauensfrage binnen 10 Tagen den Landtag auflösen kann. Ein neuer Landtag muss dann innerhalb von 70 Tagen gewählt werden.

Ein Rücktritt kam für Carstensen übrigens nicht in Frage. Die Landesverfassung sieht diese Möglichkeit zwar vor. Doch wenn der Landtag sich dann nicht auf einen Nachfolger einigen kann, muss der bisherige Ministerpräsident bis zum Ablauf der Legislaturperiode im Amt bleiben. Eine Wahl am 27. September war so nicht zu erreichen.

Quelle: ntv.de, hvo/AFP/dpa

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