Nemzow war einer der Letzten Die russische Opposition stirbt aus
02.03.2015, 14:13 Uhr![3o2e3115.jpg-preview2[1].jpg](https://www.n-tv.de/img/14615621-1483460732000/16-9/1136/3o2e3115.jpg)
Liberale Russen verlieren den Glauben an einen friedlichen Machtwechsel. Nach dem Mord an Nemzow gibt es nur noch drei prominente Oppositionelle. Radikale Nationalisten drohen ihnen den Rang als stärkste Putin-Gegner abzulaufen.
Die Liste wird immer kürzer: Mit dem Tod von Boris Nemzow gibt es nicht einmal mehr eine Handvoll wirklich bekannter russischer Oppositionspolitiker. Die Mehrzahl von ihnen sitzt obendrein im Gefängnis oder ist bereits ins Ausland geflüchtet.
Alexey Nawalny
Die wohl schillerndste Figur des Widerstands gegen den Kreml ist Alexej Nawalny. Der 38 Jahre alte Jurist und Blogger ist vor allem durch seinen Kampf gegen Vetternwirtschaft bekannt geworden. Er nutzt seine Internetseiten, um im Stile von Wikileaks Korruptionsskandale zu enthüllen.
Seit Ende 2011, als nach der Parlamentswahl tausende Russen auf die Straße gingen und der triumphierenden Staatsführung rund um Wladimir Putin Wahlbetrug vorwarfen, gilt er als Hoffnungsträger. Ein Grund dafür: Wegen seiner auffällig nationalistischen Haltung könnte er inhaltlich an das gesellschaftlich dominierende Putin-Lager andocken. Bei den Bürgermeisterwahlen in Moskau errang er mit 27 Prozent Zustimmung zudem ein erstaunlich starkes Ergebnis. Prozesse, Hausarreste, Haftstrafen - spätestens seit diesem Triumph plagen Nawalny aber zunehmend bürokratische und juristische Querelen.
Garry Kasparow
Auch der frühere Schachweltmeister Garry Kasparow ist immer wieder Repressalien ausgesetzt, seit er offen Kritik am Kreml äußert. Kasparow hat daraus allerdings schon die Konsequenzen gezogen. Der einst so prominente Redner auf Protestmärschen in Russland hat das Land bereits vor mehreren Jahren verlassen. Eigenen Angaben zufolge aus Angst, dass es eines Tages auch bei ihm nicht mehr nur bei kurzfristigen Festnahmen und Strafandrohungen bleiben könnte.
Kasparow lebt mittlerweile in den Vereinigten Staaten. Eine Rückkehr in sein Heimatland Russland schließt der 51-Jährige derzeit aus.
Michael Chodorkowski
Wie Kasparow hat auch Michail Chordorkowski Russland verlassen. Der frühere Öl-Magnat war mit seinem Konzern Jukos einst der reichste Russe. Nach der Jahrtausendwende nutzte er sein Geld vermehrt dafür, oppositionelle Parteien zu finanzieren. In mehreren international umstrittenen Prozessen wurde der heute 51-Jährige 2003 wegen Steuerhinterziehung und Betrugs zu mehr als zehn Jahren Haft verurteilt. Nachdem der Kreml 2013 einem Gnadengesuch überraschend stattgab, setze Chodorkowski sich zunächst nach Deutschland, dann in die Schweiz ab.
Chordorkowski gründete danach zwar die Open Russia Foundation, eine Stiftung, die sich für mehr Demokratie in Russland einsetzt. Die Zahl seiner öffentlichen Auftritte nach seiner Begnadigung war allerdings gering. Und eine Rückkehr nach Russland plant auch Chodorkowski nicht.
Extreme Linke und extreme Rechte
Mehr ist zumindest von der liberalen Oppositionsprominenz nicht geblieben. Der linksextreme Sergej Udaltsow ist wiederum über die Grenzen Russlands hinaus kaum bekannt. Er sitzt zudem wegen eines Protestmarschs, auf dem es zu Gewaltakten kam, im Gefängnis. Auch die Vertreter der extrem rechten Opposition haben nur nationale Strahlkraft.
Zwar existiert auch in der russischen Duma offiziell eine Opposition. Kommunistische Partei, Gerechtes Russland und die Liberal-Demokratische Partei Russlands besetzen immerhin rund 200 der 450 Sitze. Weithin gelten sie allerdings als systemgesteuert. Sie dienen den Kreml dazu, den Schein von Demokratie zu wahren. So zumindest der Vorwurf. Tatsächlich ist es allerdings auch so, dass laut Umfragen deutlich mehr als 80 Prozent der Russen mit der Arbeit ihrer Staatsführung zufrieden sind.
Übernehmen Nationalisten die Macht?
Der Exil-Oppositionelle Kasparow hält nach dem Tod Nemzows und angesichts der Lage der verbliebenen Opposition im Land nicht mehr für möglich, dass nun es in absehbarer Zeit zu einem friedlichen Machtwechsel kommen könnte. Es bräuchte nun schon einen gewaltvollen Massenaufstand, sagte er der Nachrichtenagentur Reuters.
Laut Kreml-Insider wie Shaun Walker ist selbst dann aber nicht sicher, dass liberalere Kräfte die neue Führung Russlands darstellen. Der Moskau-Korrespondent des britischen "Guardian" beschreibt in einem seiner jüngsten Berichte, dass Nationalisten durch den Ukraine-Konflikt zusehends an Einfluss im Kreml gewinnen. Alexander Borodai, ein russischer Führer der Separatisten im Donbass, sagte überdies: "Es gibt eine Krise im Land (gemeint ist Russland, Anm. d. Red.), die Regierung wird bald fallen, und im dann unvermeidbaren Bürgerkrieg, wird Igor Strelkow als Kopf patriotischer Kräfte der Anführer von dem werden, was von Russland übrig bleibt."
Strelkow war ein Strippenzieher bei der Annektion der Krim und dem Krieg im Donbass. Er gilt weithin als Zarist. In seiner Freizeit schlüpft er in Uniformen der Kämpfer der "Weißen Bewegung". Auf dem Schlachtfeld in der Ukraine griff er immer wieder zu Methoden, die aus Zeiten stammten, in denen das humanitäre Völkerrecht noch keine nennenswerte Rolle in Konflikten spielte.
Quelle: ntv.de