Politik

Hamburg plant Fahrverbote Diesel-Urteil wirbelt Deutschland auf

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Die obersten Verwaltungsrichter erklären Diesel-Fahrverbote unter bestimmten Bedingungen für zulässig. Dadurch gewinnt auch der Streit um die Umrüstung von Motoren und die blaue Plakette nochmal an Fahrt, Autobauer und Bundesregierung stehen stärker unter Druck.

Im Kampf gegen schmutzige Luft in deutschen Städten sind Fahrverbote für Dieselautos grundsätzlich erlaubt. Die Bundesregierung will dies aber noch vermeiden. Nach jahrelangem Streit entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass Kommunen Straßen oder Gebiete für Dieselautos sperren dürfen. Dies muss aber der einzige Weg zum schnellen Einhalten von Grenzwerten zum Gesundheitsschutz sein. Außerdem soll es Ausnahmen etwa für Handwerker und bestimmte Anwohner geben.

Nach der Entscheidung steigt auch der Druck auf die Autobauer, bei Abgas-Nachbesserungen nachzulegen. Konkrete Folgen dürfte es bereits für Dieselfahrer und Anwohner in Hamburg geben. Dort sollen schon in zwei Monaten begrenzte Diesel-Fahrverbote kommen und zwar in zwei wichtigen Durchgangsstraßen im Stadtteil Altona.

Der Berliner Senat will bis Jahresende prüfen, ob es ab 2019 Fahrverbote in der Hauptstadt geben soll. In Stuttgart könnte es für ältere Diesel schon Ende 2018 erste Beschränkungen geben.

Die Leipziger Bundesrichter bestätigten größtenteils Urteile unterer Instanzen in Stuttgart und Düsseldorf. Dort hatte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) auf Einhaltung der Grenzwerte für Stickoxide geklagt, die zum Großteil aus Diesel-Abgasen stammen. Die beiden Verwaltungsgerichte hatten Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen verpflichtet, dafür auch Fahrverbote in Betracht zu ziehen. DUH-Chef Jürgen Resch sprach von einem "ganz großen Tag für die saubere Luft in Deutschland".

Hamburg verhängt erste Fahrverbote

Das Urteil dürfte für ganz Deutschland wichtig sein, auch wenn es konkret um Stuttgart und Düsseldorf geht. Für Stuttgart erklärten die Richter, dass Dieselautos der Abgasnorm Euro 5 frühestens ab September 2019 mit Fahrverboten belegt werden dürfen. Die Hamburger Fahrverbote sollen allerdings bereits jetzt für alle Fahrzeuge gelten, die nicht die Norm Euro 6 erfüllen. Zudem brauche es Ausnahmen etwa für Handwerker und bestimmte Anwohner.

Eine Pflicht zur Entschädigung für Diesel-Fahrer gibt es nach den Worten des Vorsitzenden Richters Andreas Korbmacher nicht: "Gewisse Wertverluste sind hinzunehmen", sagte er. Die Landesbehörden hätten es in der Hand, einen Flickenteppich bei den Fahrverboten zu verhindern.

Blaue Plakette gefordert

Das fordern auch Kommunen und Umweltschützer. Sie wollen eine blaue Plakette, um damit relativ saubere Autos zu kennzeichnen und Verbote einheitlich und kontrollierbar zu machen.

Für den Fall, dass Städte tatsächlich Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge verhängen, sieht Bundesumweltministerin Barbara Hendricks die Notwendigkeit einer blauen Plakette. Dann müssten "die gekennzeichnet werden, die eben sauber sind und deswegen nicht unter Fahrverbote fallen", sagte sie im ZDF. Ausnahmen müsse es auch etwa für Krankenwagen, Handwerker und Anwohner geben.

Zunächst werde aber versucht, Fahrverbote zu vermeiden, betonte Hendricks. Dies geschehe etwa mit dem Sofortprogramm Saubere Luft. Viele der betroffenen Städte würden sich bald innerhalb der Grenzwerte befinden. Dann blieben noch etwa 20 Städte übrig, "bei denen wir wirklich große Anstrengungen unternehmen müssen". Wenn es dann doch zu Fahrverboten komme, müsse die Politik "damit umgehen", fügte die geschäftsführende Umweltministerin hinzu. "Das kann nur mit einer Positivkennzeichnung gehen."

Dass sich Fahrverbote vermeiden lassen, glaubt auch der geschäftsführende Verkehrsminister Christian Schmidt. "Das ist auch machbar mit der Vielfalt der Maßnahmen, die wir vorgeschlagen haben." Der CSU-Politiker verwies unter anderem auf ein laufendes Programm von einer Milliarde Euro zur Unterstützung der Kommunen etwa bei der Anschaffung von Elektroautos und -bussen oder einer besseren Verkehrssteuerung. Die Bundesregierung will nun weiter mit Ländern und Kommunen beraten.

Merkel will Autobesitzer beruhigen

Kanzlerin Angela Merkel rechnet nur mit begrenzten Folgen des Leipziger Urteils. "Es geht um einzelne Städte, in denen muss noch mehr gehandelt werden", sagte sie. "Aber es geht wirklich nicht um die gesamte Fläche und alle Autobesitzer in Deutschland."

Obwohl die Luftbelastung mit Stickoxiden in vielen Städten deutlich zurückgegangen ist, überschreiten laut Umweltbundesamt weiter rund 70 Kommunen die Grenzwerte. Deutschland droht deswegen auch eine Klage der EU-Kommission. Stickoxide können unter anderem Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auslösen oder verschlimmern.

Städtetag: Bund soll Autobauern Druck machen

Um die Belastung zu senken, forderte Umweltministerin Hendricks erneut technische Nachrüstungen an den Motoren von Diesel-Autos. Mehr Druck der Politik dafür forderte der Städtetag.

"Wir appellieren eindringlich an den Bund, seine Zurückhaltung gegenüber der Automobilindustrie aufzugeben", sagte Präsident Markus Lewe. Es müsse Klarheit her, was Software-Updates bringen, die die Autobauer zugesagt habe. Wenn das nicht reiche, müssten sie zu Nachrüstungen an Motoren verpflichtet werden und auch zahlen. Die Branche lehnt dies bisher strikt ab und argumentiert mit den Kosten sowie der technischen Machbarkeit. Verkehrsminister Schmidt sagte, ein Gutachten dazu werde "in den kommenden Wochen" veröffentlicht.

Vor allem in der Wirtschaft hat das Urteil große Sorgen ausgelöst. Zahlreiche Wirtschaftsvertreter kritisierten das Urteil scharf. Zum Beispiel wies der mittelständische Maschinenbau-Verband VDMA auf drohende Probleme für Handwerker und Servicetechniker hin, "die für ihren Beruf auf die Nutzung vorhandener Diesel-Kleintransporter angewiesen sind".

Autolobby warnt vor Flickenteppich

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) betonte, das Gericht habe "kein "Muss" für Fahrverbote ausgesprochen." Es müsse sorgfältig vor Ort abgewogen werden, welche Instrumente "zielführend und verhältnismäßig" seien. Es liege nun in der Hand der Politik, einen Flickenteppich unterschiedlichster Regelungen zu vermeiden - aus Sicht der Autolobby am besten mit einer bundeseinheitlichen Regelung.

Der Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses, Cem Özdemir von den Grünen, kündigte eine Befragung des geschäftsführenden Ministers Schmidt im Ausschuss für diesen Mittwoch an. Özdemir warnte vor einem "unübersichtlichen Wirrwarr", wenn Kommunen das Leipziger Urteil umsetzten und Fahrverbote verhängten. FDP-Chef Christian Lindner nannte das Urteil einen "Schlag gegen Freiheit und Eigentum, weil wir uns zu Gefangenen menschengemachter Grenzwerte machen."

Quelle: ntv.de, Teresa Dapp und Sascha Meyer, dpa

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