Verkehrspsychologe über das Tempolimit "Dieses Tabu wird fallen"
14.04.2011, 11:36 Uhr
"Der Sündenbock von außen wird helfen müssen, eine Entscheidung herbeizuführen."
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Der Verkehrspsychologe Bernhard Schlag hält die Debatte um ein generelles Tempolimit für ein Missverständnis. Schließlich ende die Freiheit des einzelnen dort, wo ihre Ausübung dem anderen schaden könne.
n-tv.de: Wenn man einen Blick in Internetdebatten zum Thema Tempolimit wirft, merkt man schnell, dass dieses Thema hoch emotional ist. Woran liegt das?

Prof. Dr. Bernhard Schlag lehrt Verkehrspsychologie an der TU Dresden.
Bernhard Schlag: Dahinter steht eine eigenartige Ineinssetzung von Tempo und Freiheit. Viele Leute fühlen sich offenbar in einem wesentlichen Teil ihrer Freiheit eingeschränkt, wenn sie beim Fahren auf der Autobahn etwas strengeren Regeln folgen müssten. Wenn man davon ausgeht, dass die Freiheit des Einzelnen immer da endet, wo ihre Ausübung dem anderen schaden kann, ist das sicherlich ein Beispiel für ein Missverständnis individueller Freiheit.
Deutschland ist die einzige Industrienation ohne Tempolimit auf Autobahnen - warum ist das in anderen Ländern kein Thema?
Das Tempolimit ist eines dieser Themen, bei denen der Widerstand schnell nachlassen würde, wenn die Politik endlich einmal den Mut haben würde, eine klare Entscheidung zu fällen. Viele Leute brauchen selbstverständlich Zeit, um sich mit Veränderungen vertraut zu machen und möglicherweise sogar Vorteile daraus zu erfahren. Sind die Weichen aber erst einmal gestellt, so wird sich an die neue Situation angepasst.
Glauben Sie, dass dieses Tabu noch fallen wird?
Ich gehe davon aus, dass wir bis 2020 ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen haben werden. Nicht so sehr, weil man großartige Einsichten hatte, sondern weil es eine Angleichung der Regeln innerhalb der EU geben wird.
Mit anderen Worten: Die nationale Politik schiebt eine möglicherweise unpopuläre Entscheidung wieder einmal auf Brüssel ab.
Genau. Der Sündenbock von außen wird helfen müssen, eine Entscheidung herbeizuführen. Das ist natürlich eine etwas undankbare Rolle für die EU, aber sie tut Gutes damit.
Aber wer soll den Mut haben, diese Entscheidung zu vertreten? Bislang hat noch jeder Bundesverkehrsminister klar gemacht, dass es in seiner Amtszeit kein Tempolimit geben wird.
Wenn wir irgendwann eine grün-rote oder rot-grüne Bundesregierung haben, dann wird das ein Thema sein.
Der Union trauen Sie es nicht zu? Immerhin wickelt Schwarz-Gelb gerade die Kernenergie ab.
Es ist eigenartig und schade, dass es solche enorm ins Bewusstsein dringenden Ereignisse wie das Unglück in Japan braucht, um Einsicht zu gewinnen. Deshalb versucht unter anderem der Deutsche Verkehrssicherheitsrat ja mit Schockwerbung, die Folgen überhöhter Geschwindigkeit wahrnehmbar zu machen - das sind diese drastischen Autobahnplakate, wo auf denen Verletzte oder Todesanzeigen abgebildet werden. Das hat genau diesen Sinn: den Leuten mögliche Konsequenzen ihres Tuns bewusst zu machen.
Gibt es Studien über die Akzeptanz eines allgemeinen Tempolimits auf deutschen Autobahnen?
Es gibt Studien, aber die sind meist etwas interessengeleitet. Wenn man die Gesamtbevölkerung fragen würde und nicht nur die viel Auto fahrende Bevölkerung, dann würde ich vermuten, dass es längst eine Mehrheit für ein generelles Tempolimit gibt. Aber man sollte natürlich trotzdem versuchen, die Akzeptanz noch zu steigern. Heute wird immer so getan, als wäre es ein Verlust für die Gesellschaft oder für ganz viele Einzelne, wenn wir ein Tempolimit beachten müssten. Tatsächlich wäre es aber zu einem größeren Maße ein gesellschaftlicher Gewinn: Wir hätten höhere Sicherheit, einen gleichmäßigeren und damit weniger beanspruchenden Verkehrsfluss. Die Verlustdebatte wird dem nicht gerecht.
Das beständig wiederholte Argument ist, die deutschen Autobahnen gehörten zu den sichersten Straßen der Welt.
Das stimmt, vor allem, wenn man sie mit anderen Straßen vergleicht, die weniger gut ausgebaut sind, also mit Landstraßen auch in Deutschland selbst. Landstraßen sind viel gefährlicher als Autobahnen.
Warum?
Auf Landstraßen gibt es alle Verkehrsarten, schnellen und sehr langsamen Verkehr, es gibt Kreuzungs- und Knotensituationen, die natürlich gefährlich sind, es gibt möglicherweise Bäume, das ist das gefährlichste Moment überhaupt, weil die Folgen eines Baumunfalls häufig katastrophal sind. Zur Vermeidung solch schwerwiegender Folgen von Unfällen wurden auf den Autobahnen Zugangsregeln geschaffen und mit großem Aufwand Absicherungen installiert.
Mit Bernhard Schlag sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de