Politik

"Unangenehm, aber notwendig" Dominic Cummings hat ein Ziel: Boris Johnson muss weg

Dominic Cummings - hier vor ein paar Tagen vor seinem Haus im Norden von London - hat ein Ziel: Boris Johnson loswerden.

Dominic Cummings - hier vor ein paar Tagen vor seinem Haus im Norden von London - hat ein Ziel: Boris Johnson loswerden.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Hinter den Vorwürfen gegen den britischen Premier steckt ein Mann, mit dem Boris Johnson lang und eng zusammengearbeitet hat. Dominic Cummings sieht sich in der Pflicht, seinen ehemaligen Chef aus dem Amt zu jagen.

Für sich genommen sind die Vorwürfe so albern, dass sie gut zu Boris Johnson passen. Seit Monaten schon steht der britische Premierminister unter Druck, weil in seinem Amtssitz in 10 Downing Street eine Reihe von Partys gefeiert wurden - wohlgemerkt: während eines Teil-Lockdowns, den Johnsons Regierung den Engländern auferlegt hatte.

Johnsons Glaubwürdigkeit steht nicht auf dem Spiel, die hat er längst verloren. Für ihn geht es um den Job. Hinter den meisten Enthüllungen, die offensichtlich mit Blick auf ihre Wirkung in der Öffentlichkeit nacheinander lanciert wurden, dürfte ein und dieselbe Person stecken: Dominic Cummings, Johnsons ehemaliger Chefberater. Den Premier zu entmachten sei, wie ein Abwasserrohr zu reparieren: "ein unangenehmer, aber notwendiger Job", sagte Cummings gerade dem "New York Magazine".

Die Enthüllungen begannen im November 2021 mit einem Bericht des "Mirror" über eine Weihnachtsfeier aus dem Vorjahr, am 18. Dezember 2020. Solche Feiern waren pandemiebedingt zu diesem Zeitpunkt in London verboten. Am Tag nach der Feier trat Johnson vor die Presse und verkündigte "schweren Herzens", man könne Weihnachten nicht wie geplant stattfinden lassen. Auf solche Details wurde in den vergangenen Wochen von den britischen Medien genüsslich hingewiesen.

Als die Vorwürfe bekannt werden, streitet Johnson zunächst alles ab: "In Number 10 wurden alle Regeln vollständig befolgt", sagt er am 1. Dezember 2021 im Unterhaus. Doch die Enthüllungen gehen weiter. Knapp eine Woche später veröffentlicht der Sender ITV ein Video vom 22. Dezember 2020, in dem Johnsons Sprecherin Allegra Stratton eine Pressekonferenz nachstellt, um sich auf echte Briefings vorzubereiten. Auf eine Frage zu einer Weihnachtsfeier sagt sie unter dem Gelächter der Gruppe: "Es war ein Arbeitstreffen." Tags darauf nimmt Stratton ihren Hut.

Noch ein Arbeitstreffen

Später kommt heraus, dass Johnson schon während des ersten Lockdowns im Mai 2020 an einer Gartenparty teilgenommen hatte. Johnson streitet zunächst alles ab, räumt dann aber ein, "für 25 Minuten" in den Garten gekommen zu sein. "Ich möchte mich dafür entschuldigen", sagte er im Parlament. Er habe geglaubt, es handele sich um ein Arbeitstreffen.

Am 9. Dezember kündigt die britische Regierung interne Ermittlungen zu den Feiern an. Der zunächst damit beauftragte Beamte muss den Job allerdings wieder abgeben: Auch seine Abteilung hatte gegen Lockdown-Regeln verstoßen. Am Ende landet die Untersuchung bei Sue Gray, einer verbeamteten Staatssekretärin im Kabinettsrang. Ihr Bericht liegt seit heute vor.

Gefeiert wurde in Number 10 offenbar bei einer ganzen Reihe von Anlässen, bei der Verabschiedung von Kollegen, an Johnsons Geburtstag - möglicherweise auch an dem Tag, als Cummings rausgeworfen wurde. In der Wohnung, die zum Amtssitz des Premierministers gehört, habe Johnsons Frau Carrie eine "Siegesfeier" gegeben, schrieb die "Mail on Sunday" am vergangenen Wochenende. In den Wohnräumen sei getanzt und getrunken worden, unter anderem "The Winner Takes It All" von ABBA wurde demnach gespielt.

Carrie Johnson ließ den Bericht dementieren, aber dass es Differenzen zwischen ihr und Cummings gab, ist lange bekannt. Cummings selbst schildert es so: "Carrie lag ihm [Johnson] ihn den Ohren und sagte die ganze Zeit: 'Die Medien zeichnen dich als Marionette, aber du bist es, der die Wahl gewonnen hat, du solltest der sein, der als Chef auftritt.'" Johnson hätte "nicht die Eier" gehabt, um seiner Frau zu sagen: "Hör zu, ich bin Premierminister, und so mache ich das."

"Ich bin der verfickte König"

Cummings erklärtes Ziel war es, den Brexit zu nutzen, um das politische System umzukrempeln. Im Brexit-Wahlkampf war er der Leiter der "Vote Leave"-Kampagne, er gilt als Erfinder des Slogans "Take Back Control", den sich Rechtspopulisten weltweit in abgewandelter Form zu eigen gemacht haben. Als Johnson Premierminister wurde, zog Cummings mit ihm in die Downing Street. Dort zeigte er sich so macht- und selbstbewusst, dass es den Tories irgendwann zu viel wurde: Im November 2020 setzte der Premierminister den mächtigen Strippenzieher ab. Wie ein gewöhnlicher Angestellter verließ er Number 10 mit einem Pappkarton in den Händen.

Diesen Rauswurf scheint Cummings nicht verwunden zu haben. Im "New York Magazine" belegt er Johnson mit Schimpfwörtern und macht deutlich, dass er den Premierminister für einen selbstverliebten Faulpelz hält. Sein eigener Ansatz sei gewesen, dass Johnson "seine Begrenzungen" akzeptierte und hinnahm, "dass Nummer 10 auf eine bestimmte Art mit ihm als Premierminister funktionierte". Doch Johnson habe ihm gesagt, er sei "der verfickte König" und "ich mache, was ich will". Das sei nicht in Ordnung, so Cummings. "Er ist nicht der König. Er kann nicht machen, was er will. Wenn man versteht, dass jemand so arbeitet, dann hat man die Pflicht, ihn loszuwerden".

Johnson will erstmal Zeit gewinnen

Einige seiner Vorwürfe gegen Johnson hat Cummings auf seinem Blog veröffentlicht. Der 50-Jährige hatte übrigens schon zu Beginn der Pandemie einen Skandal ausgelöst, weil er - nachdem er und seine Frau sich mit Corona infiziert hatten - mehr als 400 Kilometer durchs Land gefahren war, um die Krankheit in einem Haus seiner Eltern zu überstehen. Auch dies verstieß gegen die damals geltenden Regeln.

Dass auch Cummings keine reine Corona-Weste hat, entlastet Johnson allerdings nicht. Seine Zustimmungswerte sind seit Monaten im Sinkflug. 73 Prozent der Briten sagen in einer Yougov-Umfrage, er mache als Premierminister einen schlechten Job, nur 22 Prozent finden seine Arbeit gut. Johnsons Problem ist, dass die Vorwürfe alle Klischees über abgehobene Politiker bestätigen, die Johnson mit seiner Selbstinszenierung als verwuschelter Polit-Clown eigentlich immer widerlegen wollte.

Ob Cummings es schaffen wird, seinen ehemaligen Chef "loszuwerden", ist derzeit völlig offen. Im Moment geht es Johnson darum, Zeit zu gewinnen. Das könnte gelingen: Sue Gray hat für ihren Bericht Hinweise auf so gravierende Verfehlungen gefunden, dass sie Material an die Londoner Polizei gegeben hat. Ironischerweise kann das Johnson nutzen: Wegen der polizeilichen Ermittlungen erschien Grays Bericht heute nicht vollständig, sondern teilgeschwärzt. Im Unterhaus entschuldigte Johnson sich danach erneut, schaltete aber gleich um auf Angriff, indem er sich selbst für seine Brexit- und Corona-Politik lobte.

Vorbei ist die Affäre damit nicht. Vor Johnson lägen "Monate voller Ärger", sagt die "Times" voraus. Cummings wird zweifellos alles dafür tun, damit diese Prognose sich bewahrheitet. Auf seinem Blog hatte er schon vor ein paar Tagen angekündigt, er werde mehr sagen, wenn Sue Grays Bericht vorliege.

Quelle: ntv.de

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