
Händchenhalten unter Diktatoren: Putin am 19. Juli in Teheran mit dem obersten Machthaber des Iran, Ajatollah Chamenei.
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Russland und der Iran sind keine natürlichen Verbündeten - trotz enger Beziehungen seit 1989 konnte Teheran sich nie wirklich auf Moskau verlassen. Mittlerweile hat sich das Machtgefälle im russisch-iranischen Verhältnis gedreht: Die Waffen liefert nun der Iran.
Der Iran streitet alles ab. "Wir haben keines der im Krieg befindlichen Länder mit Waffen versorgt", sagte ein Sprecher des iranischen Außenministeriums am Montag. Nach ukrainischer Darstellung ist das eine glatte Lüge, und auch die EU glaubt dem Iran nicht. Die tödlichen Drohnen, mit denen Russland die Ukraine terrorisiert, kommen allem Anschein nach aus iranischer Produktion.
Bei ihrem Treffen am Montag einigten sich die Außenminister der Europäischen Union bereits auf Sanktionen gegen die iranische Sittenpolizei, gegen Einzelpersonen und Organisationen. Dabei geht es um eine Reaktion auf die Gewalt des iranischen Regimes gegen die Protestbewegung im Land. Weitere Strafmaßnahmen gegen den Iran, diesmal wegen der Drohnen-Lieferungen an Russland, gelten als wahrscheinlich.
Sollte die EU auch offiziell zu dem Schluss kommen, dass die ukrainischen Angaben stimmen und der Iran tatsächlich Waffen an Russland liefert, sind Sanktionen unausweichlich. Paradoxerweise könnte genau das den Iran noch enger an Russland binden. Denn die russisch-iranischen Beziehungen basieren auf einem einfachen Grundsatz: Der Feind meines Feindes muss wohl mein Freund sein. Je stärker die Gegnerschaft zum Westen, desto enger die Partnerschaft zwischen Moskau und Teheran.
Eine Geschichte des Verrats
Dabei ist die Geschichte der russisch-iranischen Beziehungen aus iranischer Sicht eine Geschichte des Verrats. Zwischen 2006 und 2010 beispielsweise hat Russland für alle sechs Resolutionen gestimmt, die im UN-Sicherheitsrat gegen den Iran verabschiedet wurden. Immer wieder waren Moskau die Beziehungen zu Israel und zum Westen wichtiger als die zum Iran. Ob es um Raketenlieferungen ging oder um israelische Angriffe auf Ziele in Syrien: Russland erwies sich mehrfach als unzuverlässiger Partner. Versprochene Raketen wurden nicht geliefert und bis heute wird Israel von Russland nicht an Luftschlägen in Syrien gehindert - das gilt auch für iranische Ziele in Syrien.
Ajatollah Chomeini, der Gründer der Islamischen Republik, hatte den Westen und den damaligen Ostblock noch gleichermaßen abgelehnt. Das beruhte auf Gegenseitigkeit: Die Sowjetunion befürchtete nach der iranischen Revolution von 1979, die dort nun herrschenden Mullahs könnten ihre Ideologie in die muslimischen Regionen der UdSSR exportieren.
Diese Haltung endete mit Chomeinis Tod im Jahr 1989. Der iranische Parlamentspräsident Akbar Haschemi Rafsandschani, der kurz darauf Präsident wurde, besuchte wenige Wochen nach Chomeinis Tod Moskau, wo man sich gegenseitig zusicherte, die Interessen der anderen Seite zu respektieren. Gleichzeitig versprach die Sowjetunion, die iranische Armee auszurüsten. Dieser Schritt könne "weitreichende geopolitische Folgen" haben, urteilte die "Washington Post" damals. So kam es dann auch.
Raketen- und Atomprogramm
Auch nach der Auflösung der Sowjetunion blieben die Beziehungen zwischen Russland und dem Iran eng und die Abhängigkeit einseitig. Russland lieferte Waffen, darunter Panzer, Raketen, U-Boote und Kampfflugzeuge. Seit Mitte der 1990er-Jahre erhält der Iran zudem Unterstützung aus Russland beim Ausbau des eigenen Raketenprogramms. Das iranische Atomprogramm basiert auf russischem Technologietransfer.
Der Westen geht schon seit Jahren davon aus, dass das Atomprogramm dem Iran dazu dient, Atomwaffen zu entwickeln. Eine 2015 geschlossene Vereinbarung, um die nuklearen Ambitionen des Iran einzudämmen und zu überwachen, wurde drei Jahre später vom damaligen US-Präsidenten Donald Trump gekündigt. Nach dem Regierungswechsel in Washington sollte das Atom-Abkommen wiederbelebt werden.
Je deutlicher wurde, dass dies nicht gelingt, umso unverhohlener stellte sich der Iran an die Seite Russlands. So sagte Irans oberster Führer Ajatollah Ali Chamenei eine Woche nach Beginn des russischen Angriffskrieges zwar, die USA seien "mitverantwortlich für die derzeitige Krise", aber er forderte auch "ein baldiges Ende des Krieges sowie der Zerstörung und Tötung von Zivilisten". Als Putin vier Monate später nach Teheran kam, klang das deutlich schärfer: Wenn Russland nicht "die Initiative ergriffen hätte, dann hätte die andere Seite die Initiative ergriffen und den Krieg angefangen", behauptete Chamenei und sicherte Russland Unterstützung zu. Aus iranischer Sicht ist es mittlerweile einerlei, ob es als Alliierter von Russland auftritt. Spätestens seit September, das Regime in Teheran die Proteste im Lande niederknüppeln lässt, ist ohnehin ausgeschlossen, dass sich seine internationale Stellung verbessert. Dass Frankreich und Großbritannien die Drohnen-Lieferungen als Bruch des Atom-Abkommens einstufen, ist da auch egal.
Im April war bereits von geschmuggelten Waffen die Rede
Die russische Invasion in die Ukraine hat dazu geführt, dass sich das Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Iran und Russland umzukehren beginnt. Waffenlieferungen laufen mittlerweile in umgekehrter Richtung. Bereits im April, knapp sieben Wochen nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine, berichtete der britische "Guardian", der Iran schmuggle Munition und Waffen nach Russland, darunter mobile Panzerabwehrwaffen, Panzerabwehrraketen sowie brasilianische Raketenwerfer.
Bei den Hilfen ging es nicht um alte Verbundenheit, sondern um konkrete Interessen: "Wenn das Putin-Regime destabilisiert wird, hätte das enorme Auswirkungen auf den Iran, vor allem in Syrien, wo Damaskus von russischer Luftunterstützung abhängig ist und wo Russland koordiniert, um einen direkten Konflikt mit Israel zu vermeiden", zitierte die Zeitung einen Nahost-Experten.
Durch den Krieg in Syrien haben der Iran und Russland ihre strategische Partnerschaft noch vertieft. Beide Länder waren schon vor Beginn des Kriegs eng mit dem syrischen Diktator Baschar al-Assad verbündet; beiden ging es darum, seinem Regime das Überleben zu sichern und gleichzeitig den Einfluss der USA in der Region zu begrenzen.
Erste Drohnen-Lieferungen offenbar im August
Im Juli erklärte der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, die USA hätten Hinweise, dass die Regierung in Teheran "sich darauf vorbereitet, schnell mehrere Hundert unbemannte Luftfahrzeuge bereitzustellen, darunter auch solche, die Waffen transportieren können", sprich: Drohnen. Der Iran werde auch Russen beim Umgang damit ausbilden. Ein solches Training könne bereits Mitte Juli beginnen.
Der Iran stritt das ab. "Wir arbeiten auf verschiedene Weise mit Russland zusammen, auch im Verteidigungsbereich", sagte Irans Außenminister Hussein Amirabdollahian seinerzeit. "Wir werden keiner der beiden Seiten helfen, die an diesem Krieg beteiligt sind, weil wir glauben, dass er beendet werden muss." Als Putin im Juli seinen Staatsbesuch in Teheran absolvierte, dementierten beide Seiten, dass dabei auch nur über Drohnen gesprochen wurde.
Eine Woche später teilten die USA mit, sie hätten bisher "keine Anzeichen für eine Lieferung oder einen Kauf iranischer Drohnen durch das russische Verteidigungsministerium gesehen". Das änderte sich offenbar kurz darauf: Die ersten iranischen Drohnen seien in Transportmaschinen vom Iran nach Russland gebracht worden, meldete die "Washington Post" im August unter Berufung auf Informationen aus der US-Regierung. Insgesamt gehe es um hunderte Drohnen verschiedener Typen.
Drohnen-Fabriken von Damaskus bis Duschanbe
Die meisten dieser Drohnen werden im Iran produziert, seit kurzem aber auch in Tadschikistan. Am 17. Mai wurde eine iranische Drohnen-Fabrik in der ehemaligen Sowjetrepublik eröffnet. Für den Iran ist der Standort gleich mehrfach vorteilhaft: Er ist näher an Russland, das eine Militärbasis in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe unterhält, und weiter weg von Israel, von wo Angriffe auf iranische Drohnen-Fabriken drohen. Erst im Februar wurden Berichten zufolge bei einem solchen Angriff Dutzende oder Hunderte iranischer Drohnen zerstört - ebenfalls mit Drohnen. Der von Israel nicht bestätigte Angriff gilt als Teil des klandestinen Krieges zwischen beiden Ländern.
Auch in Syrien unterhält der Iran Produktionsstätten für Drohnen. Im Juli griff die israelische Luftwaffe ein Ziel nahe der syrischen Hauptstadt Damaskus an, um eine solche Fabrik zu zerstören.
Gehen Russland die Raketen aus?
Häufig wird angenommen, die Lieferung iranischer Waffen an Russland könne ein Hinweis darauf sein, dass Russland die Raketen ausgehen. Bereits im April schrieb der "Guardian", auf den Schmuggel iranischer Waffen angewiesen zu sein, "würde eine dramatische Verschiebung der russischen Strategie signalisieren", da Moskau gezwungen sei, sich auf den Iran zu stützen.
Wirklich belegbar sind solche Annahmen nicht. Wie lange Russland noch über Raketen verfüge, könne man "nicht seriös prognostizieren", sagte der österreichische Militärstratege Philipp Eder im Interview mit ntv.de. "Keine Armee der Welt gibt derartige Bestände bekannt - nicht einmal Verbündeten." Er sagte allerdings auch, es sei "schon ein Zeichen, dass eine Armee wie die russische es nötig hat, iranische Drohnen zu kaufen".
Quelle: ntv.de