Der Kriegstag im Überblick Dutzende Tote nach Angriff auf Gefängnis - Selenskyj: Getreideexporte sollen bald starten
29.07.2022, 20:01 Uhr
Bei dem Raketenangriff auf das Gefängnis in der Ostukraine sollen nach Separatisten-Angaben mehr als 50 Menschen getötet worden sein.
(Foto: IMAGO/SNA)
Bei einem Raketenangriff in der Ostukraine auf ein Gefängnis mit ukrainischen Kriegsgefangenen sterben Dutzende Menschen, viele weitere werden verletzt. Doch wer befahl die Zerstörung? Ukraine und Russland beschuldigen sich gegenseitig. Weiter südlich wächst die Hoffnung auf erste Getreideexporte über das Schwarze Meer. Schon bald sollen die ersten Schiffe am Hafen von Odessa auslaufen. Deutschland verspricht derweil weitere Panzerlieferungen. Und Russlands Außenminister Lawrow erklärt sich bereit, mit seinem amerikanischen Amtskollegen Blinken zu telefonieren. Der 156. Kriegstag im Überblick.
Wechselseitige Vorwürfe nach Zerstörung von Gefangenenlager
Die Berichte über die toten ukrainischen Kriegsgefangenen in Oleniwka sind kaum zu verifizieren. Bilder und Videos russischer Quellen zeigten Tote, dazu einen Schlafsaal voller Stockbetten unter einem zerstörten Dach. Nach Angaben russischer Separatisten wurden 53 Menschen getötet, 75 verletzt. Der ukrainische Generalstab dementierte, dass seine Truppen das Gefängnis beschossen hätten. Die ukrainische Armee bombardiere keine zivilen Objekte und "schon gar nicht Plätze, an denen wahrscheinlich gefangene Waffenbrüder festgehalten" werden. Selenskyjs Berater Michajlo Podoljak sprach von einer "klassischen, zynischen und sehr durchdachten Operation unter falscher Flagge". Das Portal Ukrajinska Prawda zitierte angebliche Quellen im ukrainischen Militärgeheimdienst, nach denen russische Kräfte nachts das Gebäude in dem Lager zerstört hätten.
Das russische Verteidigungsministerium in Moskau erklärte, die Baracke sei von Raketenwerfern des Typs HIMARS beschossen wurden. Die USA haben diese Mehrfachraketenwerfer erst vor einigen Wochen an Kiew geliefert. Mit den hochmodernen Waffen haben die Ukrainer seitdem viele Munitionsdepots und Kommandopunkte der Russen weit hinter der Front zerstört.
Die sogenannte Volksrepublik Donezk will die gefangenen Ukrainer vor Gericht stellen und droht mit der Todesstrafe. "Es ist offensichtlich ein bewusster Beschuss und der Wunsch, diejenigen Vertreter, darunter des Asow-Regiments, zu vernichten, die angefangen haben, Geständnisse abzulegen", behauptete Separatistenführer Denis Puschilin.
Hoffnung auf erste ukrainische Getreideexporte
"Heute oder morgen" sollen die ersten Getreideexporte über das Schwarze Meer beginnen, wie Selenskyj in Odessa ankündigte. "Das Wichtigste für uns ist, dass der Hafen und die Menschen arbeiten", so der ukrainische Präsident. Das Getreide auf der "Polarnet" stamme von einer ukrainischen Firma. Das Infrastrukturministerium warte nun auf ein Signal von den Vereinten Nationen und der Türkei für den Start. "Für uns ist wichtig, dass die Ukraine ein Garant der weltweiten Lebensmittelsicherheit bleibt", betonte Selenskyj. Nach Angaben der Präsidialverwaltung werden derzeit insgesamt 16 Schiffe in den Häfen in und um Odessa mit Getreide beladen.
Die Ukraine ist einer der weltgrößten Exporteure von Getreide. Nach Beginn des Kriegs hatte Russland die ukrainischen Seehäfen aber blockiert. Die Ukraine verminte ihre Küste zudem zum Schutz vor russischen Angriffen. Unter Vermittlung der UN und der Türkei hatten die beiden Kriegsparteien in Istanbul vor einer Woche Abkommen zur Freigabe der Getreideexporte unterzeichnet.
Deutschland liefert der Ukraine Brückenlegepanzer
Unterdessen will die Bundeswehr der Ukraine 16 Brückenlegepanzer liefern. Mit den Panzerfahrzeugen des Typs "Biber" können die ukrainischen Truppen im Gefecht Gewässer oder Hindernisse überwinden, teilte das Bundesverteidigungsministerium in Berlin mit. Die ersten sechs Systeme sollen noch in diesem Jahr geliefert werden, beginnend im Herbst. Zehn weitere Systeme folgen demnach im nächsten Jahr.
Kiew meldet Probleme mit deutschen Haubitzen
Mit einigen bereits gelieferten Panzern gibt es jedoch erste Probleme. Nur einen Monat nach der Lieferung deutscher Haubitzen an die Ukraine weisen die Artilleriegeschütze nach einem Pressebericht bereits deutliche Verschleißerscheinungen auf. Mitte der Woche habe die Regierung in Kiew das Verteidigungsministerium in Berlin informiert, dass einige der sieben Ende Juni gelieferten Panzerhaubitzen 2000 nach intensivem Beschuss russischer Stellungen Fehlermeldungen angezeigt hätten, berichtet der "Spiegel". Mehrere Haubitzen seien deswegen reparaturbedürftig.
Ukraine reduziert Strafmaß für russischen Kriegsverbrecher
Ein ukrainisches Gericht hat die Strafe für den ersten verurteilten russischen Kriegsverbrecher im Berufungsverfahren reduziert. Vadim Schischimarin sei zu 15 Jahren Haft verurteilt, teilte das Gericht in Kiew mit. Im Mai hatten die Richter über den damals 21-Jährigen eine lebenslange Haftstrafe verhängt. Der junge Mann hatte zugegeben, einen unbewaffneten 62 Jahre alten Mann auf dem Fahrrad erschossen zu haben. Er betonte, dass er auf Druck eines anderen Soldaten gehandelt habe. Die beiden seien in einem gestohlenen Auto auf dem Weg zurück in russisches Gebiet gewesen.
Viele Tote durch russischen Beschuss auf ukrainische Städte
In den Kriegsgebieten gehen die Kämpfe derweil unvermindert weiter. Nach Angaben ukrainischer Behörden sind binnen zwei Tagen mehr als ein Dutzend Zivilisten getötet und zahlreiche Menschen verletzt worden. Am Donnerstag seien acht Menschen getötet und 19 verletzt worden, teilte der Militärgouverneur des ostukrainischen Gebiets Donezk, Pawlo Kyrylenko, mit. Am heutigen Freitag kamen demnach mindestens zwei Tote und sechs Verletzte hinzu.
In der östlichen Stadt Charkiw schlugen mehrere Raketen ein. Dabei seien zwei Menschen getötet und acht verletzt worden. In Mykolajiw im Süden wurde den Angaben zufolge eine Bushaltestelle getroffen. Dort starben fünf Menschen, sieben wurden verletzt. Auch in dem von russischen Truppen besetzten Teil des Gebiets Donezk gerieten Zivilisten unter Beschuss. Örtliche Medien sprachen von einem Toten und mindestens 28 Verletzten. Die Angaben zu den Opferzahlen ließen sich nicht unabhängig überprüfen.
Blinken telefoniert mit Lawrow
Erstmals seit Beginn des Ukraine-Krieges im Februar haben die Außenminister der USA und Russlands direkt miteinander gesprochen. "Wir hatten ein offenes und direktes Gespräch", erklärte US-Außenminister Antony Blinken im Anschluss. Er habe dem russischen Außenminister Sergej Lawrow gesagt, dass die Welt "niemals" eine Annexion ukrainischer Gebiete akzeptieren werde. Zudem habe er "Druck" auf die russische Seite ausgeübt, damit sie einen Vorschlag Washingtons über die Befreiung zweier in Russland gefangener US-Bürger akzeptiere.
Blinken erklärte, er habe Lawrow zudem dazu gedrängt, das von der Türkei vermittelte Abkommen über die Ausfuhr von Getreide einzuhalten. Zur möglichen Befreiung der in Russland gefangenen Basketball-Profispielerin Brittney Griner und des früheren US-Soldaten Paul Whelan sagte Blinken, er habe Moskau aufgefordert, den "ernsthaften Vorschlag" Washingtons zu deren Befreiung anzunehmen. Medienberichten zufolge beinhaltet der vor Wochen übermittelte Plan der USA einen Austausch der beiden US-Bürger mit dem in den USA inhaftierten russischen Waffenschmuggler Viktor Bout.
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Quelle: ntv.de, hny/dpa