Nur Berlin gegen Lissabon EU-Vertrag gebilligt
23.05.2008, 10:09 UhrDer EU-Vertrag von Lissabon zur Reform der europäischen Institutionen hat in Deutschland die letzte parlamentarische Hürde genommen. Mit Ausnahme von Berlin stimmten im Bundesrat alle Bundesländer zu. Unter dem Druck der Linken entschied sich der Regierende Bürgermeister der Hauptstadt, Klaus Wowereit, in letzter Minute für eine Enthaltung. Damit vermied der SPD-Politiker eine Koalitionskrise in seinem rot-roten Regierungsbündnis. Die Partei Die Linke lehnt den Lissabon-Vertrag strikt ab.
Mit dem neuen Abkommen, das der Bundestag im vergangenen Monat bereits mit fast 90 Prozent der Stimmen gebilligt hatte, enthält die Europäische Union (EU) zusätzliche Kompetenzen. Zugleich wird sie auf eine demokratischere Grundlage gestellt. Bisher haben 13 der insgesamt 27 EU-Staaten den Vertragstext rechtskräftig beschlossen. Damit er auch in Deutschland als ratifiziert gilt, muss jetzt noch Bundespräsident Horst Köhler unterschreiben.
Verfassungsbeschwerden eingegangen
Das will der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler mit einer Klage beim Bundesverfassungsgericht verhindern. Eine Sprecherin des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe bestätigte, es sei unter anderem eine Organklage eingegangen. Gauweiler sieht im Lissabon-Vertrag eine Entmachtung der Abgeordneten. Er hatte auch im Bundestag dagegen gestimmt.
Gauweiler will Bundespräsident Horst Köhler und der Bundesregierung durch eine einstweilige Anordnung untersagen lassen, das Zustimmungsgesetz zum EU-Vertrag "auszufertigen oder zu verkünden", sagte die Sprecherin.
Auch die Ökologisch-Demokratische Partei (ödp) klagt nach eigenen Angaben gegen den Vertrag. "Die deutsche Staatlichkeit wird durch den Reformvertrag nahezu ganz beseitigt", kritisierte der ödp-Bundesvorsitzende Klaus Buchner. Es sei noch nicht klar, wann über die Beschwerden entschieden werde, sagte die Gerichtssprecherin.
Als Nein-Stimme gewertet
Wowereit überließ es seiner Justizsenatorin Gisela von der Aue (ebenfalls SPD), die Enthaltung auszusprechen. Diese wurde als Nein-Stimme gewertet. Der Regierende Bürgermeister sagte anschließend: "Damit hat (Linke-Chef) Oskar Lafontaine selber den Beweis geliefert, dass die Linke nicht regierungsfähig und -willig ist." Der Berliner CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger sprach von einem "schweren Schaden für das Selbstverständnis, das politische Gewicht und das Image Berlins". Die anderen 15 Bundesländer stimmten für den Vertrag.
Vor der Entscheidung hatte Hessens Europaminister Volker Hoff (CDU) an Wowereit appelliert, die symbolisch wichtige Zustimmung der Hauptstadt zum EU-Grundlagenvertrag zu sichern. Die Linke argumentiere "mit streng nationalistischen Tönen". Der SPD-Bürgermeister müsse verhindern, dass "eine europafeindliche Stimmung Regierungspolitik wird".
Unsozial, militaristisch und bürgerfeindlich
Die Linke bezeichnet den EU-Vertrag als unsozial, militaristisch und bürgerfeindlich. Berlins Wirtschaftssenator Harald Wolf hatte im Sender Phoenix erklärt, die Linke lehne die EU-Reform ab, weil die Freiheit des Binnenmarkts über soziale Rechte gestellt werde. "Wir wollen eine soziale Charta in Europa".
Bayerns Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) begrüßte die Stärkung der Rechte von Bundestag und Bundesrat in EU-Angelegenheiten. Die Bürger wollten allerdings keinen "europäischen Superstaat" mit der Verlagerung von zu vielen Kompetenzen an die EU. Eine Erklärung Bayerns, dass die EU kein Bundesstaat werden dürfe und die Mitgliedsländer die letzte Rechtskompetenz behalten müssten, fand allerdings keine Mehrheit.
Volksabstimmung in Irland
Mit dem Grundvertrag erhält die EU 2009 einen Ratspräsidenten, der für zweieinhalb Jahre gewählt wird. Außerdem wird es einen gemeinsamen Verantwortlichen für die EU-Außenpolitik, häufigere Mehrheitsentscheidungen und die Möglichkeit eines Volksbegehrens geben.
Bis Jahresende müssen alle 27 EU-Länder zustimmen, damit das Reformwerk in Kraft treten kann. Größte Hürde ist eine Volksabstimmung in Irland, die im Juni stattfinden soll und deren Ausgang offen ist. Deshalb sind die deutschen Europapolitiker daran interessiert, dass für Deutschland der Vertrag mit der Unterschrift des Bundespräsidenten vor diesem Datum als rechtskräftig ratifiziert gilt.
Quelle: ntv.de