Politik

Die USA vor dem Wandel "Ein neuer New Deal kommt"

Es geht nicht um Clinton oder Obama, es geht um Zukunft oder Vergangenheit. "Der nächste Präsident hat die Möglichkeit, entscheidende Neuberufungen an den Obersten Gerichtshof vorzunehmen", erläutert Frank Unger vom Berliner John-F.-Kennedy-Institut im Interview mit n-tv.de. "Die religiöse Rechte interessiert sich ausschließlich für diese soften Themen, Abtreibung, Homo-Ehe. Dagegen kämpfen sie. Alles andere ist ihnen im Grunde egal."

n-tv.de: Bei den Demokraten treten ein Schwarzer und eine Frau an, bei den Republikanern ist unter den vier aussichtsreichsten Kandidaten niemand, der die Masse der Konservativen in den USA vom Stuhl reißt. Ist dieser Wahlkampf ein Rennen der Außenseiter?

Frank Unger: Na ja, Außenseiter ? Es sind auf jeden Fall Wahlen, bei denen es um Erneuerung geht. Mit der Bush-Administration liegt die Bevölkerung stark über Kreuz, das geht bis weit in die Konservativen hinein. Erneuerung ist die Parole, und alle Beobachter rechnen mit einem Sieg der Demokraten - egal, wer jeweils antritt.

Die Republikaner sind also chancenlos?

Chancenlos sind sie schon deshalb nicht, weil das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in den meisten Bundesstaaten schon vorher feststeht. Sie kennen wahrscheinlich die Karten mit den roten und blauen Bundesstaaten. Da findet gar kein richtiger Wettbewerb statt, man könnte sie als Einparteienstaaten bezeichnen. Die Entscheidung spielt sich immer nur in bestimmten Staaten ab. Dieses Mal könnte es allerdings ein bisschen anders werden, weil offensichtlich - zumindest bei den Vorwahlen - ungewöhnlich viele junge Wähler beteiligt sind. Eine Zunahme der Wahlbeteiligung um drei oder vier Prozentpunkte könnte einen großen Ausschlag geben und würde den Demokraten zugute kommen.

Es heißt immer, die Jungen wählen Obama, die Alten und die Frauen wählen Hillary Clinton. Stimmt das?

Natürlich repräsentiert Obama die junge Generation glaubwürdiger - in Amerika nennt man sie die "Generation X", die Nach-Baby-Boomer. Clinton repräsentiert eher die Erfahrung. Man sollte das aber nicht überschätzen. Das Rennen zwischen Obama und Clinton ist total offen.

Warum ist Hillary Clinton eigentlich bei vielen schwarzen Wählern so beliebt?

Wegen ihres Mannes. Bill Clinton ist unglaublich populär unter der schwarzen Bevölkerung. Nach Bekunden vieler prominenter Schwarzer war er der erste weiße Politiker, der überhaupt keine rassistischen Vorurteile hatte, der total non-racist war. Das kommt seiner Frau zugute. Obama ist zwar Schwarzer, aber kein black american wie etwa Jesse Jackson. Er kommt nicht aus der Bürgerrechtsbewegung. Er hat ein bisschen community work gemacht, aber eigentlich ist er ein Harvard-Typ.

Die Skandale um Bill Clinton sind vergessen?

Clintons Anhänger hat das nie wirklich interessiert. Die Skandale sind ja auch von den politischen Gegnern fabriziert worden. Wer halbwegs lesen und denken konnte, hat das durchschaut. Diejenigen, die sich ernsthaft über Clinton aufgeregt haben, würden ohnehin niemals einen Demokraten wählen.

Früher hieß es, Hillary wäre die Lieblingskandidatin der Republikaner: Sie sei zwar bei den Demokraten populär, wäre aber bei Präsidentschaftswahlen chancenlos. Gilt das nicht mehr?

Bedingt. Wenn es etwa zu einem Szenario Clinton gegen McCain käme, dann würden die Republikaner McCain zweifellos als den zuverlässigeren Oberbefehlshaber darstellen. Die Vorstellung, dass eine Frau - und vor allem Hillary Clinton - Oberbefehlshaberin der amerikanischen Streitkräfte wäre, könnte viele Leute davon abhalten, sie zu wählen, heißt es.

Hat sie nicht mehr dieses kalte, berechnende Image - etwa: Sie habe ihren Mann nur deshalb nicht verlassen, weil sie Präsidentin werden wollte?

Ach Gott, ja, aber für die Wahlentscheidung spielt das, glaube ich, keine so große Rolle. Ein viel entscheidender Aspekt bei dieser Wahl ist die Besetzung des Obersten Gerichtshofs. Sie wissen ja, der Präsident kann ausscheidende oder gestorbene Richter ersetzen. Im Augenblick gibt es dort ein Patt mit leichtem Vorteil für die "progressive" Seite. Der nächste Präsident hat die Möglichkeit, entscheidende Neuberufungen an den Obersten Gerichtshof vorzunehmen. Und das ist etwas, was die religiöse Rechte stark interessiert, denn dann könnte endgültig das Urteil Roe v. Wade von 1973 rückgängig gemacht werden, also die Grundlage für die Legalisierung von Abtreibungen in den USA. Die religiöse Rechte interessiert sich ausschließlich für diese soften Themen, Abtreibung, Homo-Ehe. Dagegen kämpfen sie. Alles andere ist ihnen im Grunde egal.

Ist eine Aufhebung des Abtreibungsurteils denn realistisch? Würden sich die republikanischen Bewerber dafür einsetzen?

Ja, die würden sich alle dafür einsetzen. Alle republikanischen Bewerber, auch Giuliani, der eigentlich pro-choice ist, haben versichert, dass sie bei der Besetzung des Supreme Court dafür sorgen würden, dass jemand dort hinkommt, der das Abtreibungsurteil rückgängig macht.

Wirklich auch Giuliani?

Er hat es nicht geradeheraus gesagt, sondern in Code-Sprache. Giuliani ist zum Beispiel auch von Pat Robertson endorsed worden. Ohne klare Zusagen hätte Robertson das nicht gemacht, und dieses Signal wird öffentlich auch so verstanden.

Aus deutscher Sicht fällt auf, dass es bei jedem Wahlkampf in den USA um dieselben Themen geht: Steuern runter, Abtreibung, Waffenbesitz, Gesundheitssystem. Warum ist das so?

Das sind so die ewigen Themen, die von den Konservativen immer wieder gepusht werden. Die Steuern sollen sinken, vor allem die Einkommenssteuer, obwohl es da gar nicht mehr viel Spielraum gibt. Das Thema Abtreibung hat die religiöse Rechte schon vor Jahren zum nationalen Thema gemacht, das war eine organisierte Gegenbewegung gegen die "Kulturrevolution" der sechziger Jahre. Die Legalisierung der Abtreibung, affirmative action [eine Quoteregelung für ethnische Minderheiten, d.Red.] - all dies soll rückgängig gemacht werden, und dafür brauchen sie die Mehrheit im Obersten Gerichtshof.

Bei einer Versammlung der religiösen Rechten, bei der die republikanischen Kandidaten sich vorgestellt haben, ist Mike Huckabee seltsamerweise nur auf den zweiten Platz gekommen. Mitt Romney lag knapp vor ihm. Huckabee müsste doch eigentlich ein Mann nach dem Geschmack der religiösen Rechten sein?

Richtig. Romney hat das Problem, dass er Mormone ist. Für normale Amerikaner, erst recht für fromme Christen, ist das weird, also leicht unheimlich. Er ging in seiner Rede vor dieser Konferenz aber in seiner Unterwerfung unter die religiöse Rechte weiter als alle anderen: Er sagte dem Sinne nach, für einen guten Amerikaner gehöre es sich, Christ bzw. religiös zu sein. Wörtlich sagte er: "Die Bemühungen, eine Anti-Religion in Amerika zu etablieren, die Anti-Religion des Säkularismus, muss beendet werden. Wir sind eine Nation unter Gott, und wir vertrauen auf Ihn." Damit traf er den Nerv der religiösen Rechten, denn genau so argumentieren sie immer: Der Säkularismus sei als Anti-Religion selbst nichts weiter als Religion. Da sagte zum ersten Mal jemand genau das, was sie hören wollten - indirekt natürlich, immer in Code-Sprache: Was Romney andeutete, war, dass er die Trennung von Kirche und Staat - eine der Grundfesten des amerikanischen Selbstverständnisses - ablehnt. Aus Sicht der religiösen Rechten ist die Trennung von Kirche und Staat eine verfassungswidrige Privilegierung der "Säkularisten-Religion".

Könnte einer der anderen republikanischen Bewerber davon profitieren, dass die religiöse Rechte sich nicht auf einen klaren Favoriten einigen konnte?

Möglich. Die religiöse Rechte ist enttäuscht von den republikanischen Bewerbern, auch von der Bush-Regierung. Viele von ihnen werden vermutlich nicht zur Wahl gehen. Neben der Mobilisierung der Jungwähler könnte das den Ausschlag für die Demokraten bringen. Aber innerhalb der Republikaner würde das wahrscheinlich McCain zugute kommen.

Wo ist eigentlich der Kern-Unterschied zwischen Republikanern und Demokraten?

Die Republikaner sind seit etwa 20 Jahren identifiziert mit dem politischen und sozialen Konservatismus. Sie sind abhängig von der religiösen Rechten und ihrer Mobilisierungskraft. Das ist die am besten organisierte Gruppe im ganzen Land, die haben in jedem Wahlkreis ihre Vertreter. Wenn die Republikaner die verlieren, können sie die Wahlen gleich abschreiben. Die Demokraten sind dagegen noch immer eher offen. Es gibt rechte und konservative und linke und mittlere Demokraten. Mit Blick auf die Wähler würde ich zugespitzt sagen: Die Republikaner sind die Partei der ganz Reichen und der Einfältigen, während bei den Demokraten die Gebildeten und die städtischen Mittelklassen dominieren. Da es in der Gesamtbevölkerung mehr Einfältige als Gebildete gibt, wären eigentlich die Republikaner die strukturelle Mehrheitspartei. Aufgrund dieser Überlegung hat wohl das American Enterprise Institute, ein think tank der Neokonservativen, jüngst den sensationellen Vorschlag gemacht, in den USA die Wahlpflicht einzuführen. Da die meisten Nichtwähler der Unterschicht angehören, geht das AEI offenbar davon aus, dass hier auch die Einfältigen überwiegen, so dass im Endeffekt eine Wahlpflicht den Republikanern einen Vorteil verschaffen würde. Die neocons haben offenbar Angst davor, dass diese Wahl Anstoß sein könnte für eine oder gar zwei Dekaden solider demokratischer Vorherrschaft.

Weil Bush als so schlechter Präsident angesehen wird?

Weil Bush die Karre so extrem in den Dreck gefahren hat, ja, und weil er persönlich so unfähig war. Auch wegen bestimmter ökonomischer Entwicklungen in den USA: Große Teile der Mittelklassen sind inzwischen nicht mehr der neoliberalen Ansicht, dass so wenig Staat wie möglich der richtige Weg ist. Mit ein wenig Übertreibung kann man sagen: Für die Zeit nach der Wahl können wir einen neuen New Deal erwarten, also einen innenpolitischen Wandel. Ich bin zum Beispiel sicher, dass man versuchen wird, endlich ein staatlich organisiertes Gesundheitssystem für alle Amerikaner einzurichten.

Warum ist das nicht längst passiert?

Das scheitert immer wieder an der Ideologie, die das als sozialistische Medizin verbellt. Da spielt auch der Rassismus der Weißen eine Rolle: In einem öffentlichen Gesundheitssystem müssten Weiße - so die Vorstellung - damit rechnen, im selben Krankenhauszimmer zu liegen wie "Drogenhändler". Das ist das Codewort für die schwarze Unterschicht. Meine Interpretation ist, dass der amerikanische Wohlfahrtsstaat in dem Augenblick massiv unter Beschuss geriet, als er auf den schwarzen Teil der Bevölkerung ausgedehnt wurde, also mit der Aufhebung der Rassentrennung 1964. Jetzt nahmen schwarze Teenage-Mütter Wohlfahrtsgelder in Anspruch, die ursprünglich für weiße Kriegerwitwen gedacht waren. Von da an kam die rechte Wende, der ganze welfare state wurde untergraben, die Steuern runtergesetzt und so weiter.

Wer wäre Ihnen persönlich der liebste Bush-Nachfolger?

Das Problem sowohl bei Clinton als auch bei Obama ist der whimp factor: Eine Frau oder ein Schwarzer würden immer unter dem Verdacht stehen, außenpolitisch und militärisch schwach zu sein. Möglicherweise würde daher eine Präsidentin Clinton oder ein Präsident Obama außenpolitisch besonders falkenhaft auftreten. Der einzige, der unter den Demokraten ein bisschen souveräner sein könnte, wäre John Edwards. Der hat meiner Meinung nach aber leider kaum eine Chance.

Und wer wird das Rennen machen?

Ich hab' so das Gefühl, dass Obama es schaffen wird.

Mit Frank Unger sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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