Trump-Freund Carlson bei Putin Ein perfektes Duo, die Welt in Brand zu setzen


Putin und Carlson in einer Fotomontage
Trump-Unterstützer Tucker Carlson macht mit der Ankündigung eines Interviews mit Wladimir Putin Furore. Die Bekanntgabe lässt tief blicken: Alle westlichen Medien seien zensiert und korrupt, behauptet Carlson. Er und Russlands Präsident verfolgen gemeinsame Ziele - und wissen Elon Musk mit an Bord.
Würde Tucker Swanson McNear Carlson nur halb so viel vom Wert des Journalismus verstehen wie von einer guten Show, die Welt müsste dieser Tage etwas weniger in Sorge sein. Am Wochenende tauchten erste Bilder von Tucker Carlson - so die bekannte Kurzform seines Namens - in Moskau auf: Der 54-Jährige war auf dem Flughafen der russischen Hauptstadt zu sehen, sowie im berühmten Bolschoi-Theater. Die Spekulationen ließ Carlson noch eine Weile wabern, bevor er seinen Coup offiziell machte: Er werde Russlands Präsidenten Wladimir Putin interviewen, kündigte der frühere Moderator des US-Senders Fox News auf der Plattform X an. Dort unterhält er nach seinem Rauswurf bei Fox ein eigenes Videoformat. Inhalt und Form der Interview-Ankündigung lassen Schlimmstes befürchten.
Ein offenes Gespräch mit Putin wäre für die meisten politischen Journalisten ein Karriere-Höhepunkt und ein gefährlicher Balanceakt zugleich. Zu groß ist die Gefahr, dass der Kreml-Herrscher jeden Versuch einer kritischen Frage mit einem endlosen Lamento voller Unwahrheiten totredet. Auch Tucker sagt: "Es gibt Risiken, ein Interview wie dieses zu machen." Welche das sein könnten, sagt er nicht. Es folgen stattdessen vier Minuten lang Falschbehauptungen und verhetzende Lügen. Diesen zu widersprechen, raubt in diesem Artikel schon viel Platz und Zeit - des Autors wie des Publikums. Wie soll das erst bei dem angeblich zwei Stunden langen Interview werden, das Carlson ungekürzt via X verbreiten will? Die Lüge verbreitet sich im Internet zu schnell, um sie gänzlich wieder einzufangen.
Alle "korrupt", außer Carlson
Seine Beweggründe für das Interview erklärt der 54-Jährige wie folgt: Viele Amerikaner hätten keine wirkliche Idee davon, was sich in Russland und der Ukraine abspiele, obwohl sie mit ihrem Steuergeld für einen großen Teil des Konflikts zahlten. In Osteuropa vollzögen sich "geschichtsverändernde Entwicklungen", sagt Carlson, dessen Vater in den letzten Jahren des Kalten Krieges den US-Auslandssender Voice of America leitete. Die meisten Bewohner der englischsprachigen Länder seien sich dieser Verschiebungen aber nicht bewusst, sagt Carlson in dem Video.
"Sie denken das, weil ihnen niemand die Wahrheit erzählt hat. Ihre Medien sind korrupt. Sie lügen ihre Leser und Zuschauer an, und das tun sie vor allem durch Unterlassung." Selenskyj sei in westlichen Medien oft und einseitig befragt worden. "Kein einziger westlicher Journalist hat sich die Mühe gemacht, den Präsidenten des anderen an diesem Konflikt beteiligten Landes zu interviewen." Die meisten Amerikaner wüssten nicht, warum Putin in die Ukraine einmarschiert ist und welche Ziele er dort verfolgt. "Sie haben nie seine Stimme gehört", klagt Carlson, obwohl sich Putin in den vergangenen zwei Jahren regelmäßig geäußert hat und diverse Reden von ihm auch im westlichen Ausland mindestens in Ausschnitten gezeigt wurden.
Carlson warnt vor westlicher Zensur
Carlson behauptet, er sei vom US-Geheimdienst NSA überwacht worden, um ihn bereits vor drei Jahren an einem Putin-Interview zu hindern. Diesmal habe es die US-Regierung, die die Meinungsfreiheit unterdrücken wolle, erneut versucht. Carlson bedankt sich am Ende bei Elon Musk, dass seine Plattform X das ungeschnittene Putin-Interview "nicht unterdrücken und nicht blockieren" werde. "Westliche Regierungen dagegen werden mit Sicherheit ihr Bestes tun, das Video auf anderen, weniger prinzipientreuen Plattformen zu zensieren", behauptet Carlson.
Die Behauptung, alle westlichen Medien würden zensiert und sie verschwiegen insbesondere im englischen Sprachraum Wahrheiten über den Ukraine-Krieg, ist eine blanke Lüge. Ebenso, dass die westlichen Medien von ihren Regierungen gesteuert würden. Carlson beschreibt eher russische Verhältnisse, doch über die russische Diktatur verliert er im Ankündigungsvideo kein Wort. Interviews mit Wolodymyr Selenskyj, wie sie etwa David Letterman bei Netflix gab, sind sicherlich kein klassischer Journalismus. Letterman behauptet das aber auch nicht von sich, anders als Carlson. Natürlich versucht die Regierung in Kiew, die Sympathien der westlichen Bevölkerungen für den Verteidigungskampf der Ukrainer zu gewinnen. Sie bestimmen schließlich an den Wahlurnen ihrer Länder, ob die Ukraine weiter mit Steuergeld und Militärgütern unterstützt werden sollte.
Für Russland ist Carlson "nützlich"
Dass andere Journalistinnen oder ihre Verlage und Sender kein Interesse an einem Putin-Interview hätten, ist ebenfalls falsch. Die weit über die USA hinaus bekannte Journalistin Christiane Amanpour konterte Carlson prompt via X: "Glaubt Tucker wirklich, dass wir Journalisten nicht jeden Tag versucht haben, Präsident Putin zu interviewen, seit er in großem Stil in die Ukraine einmarschiert ist? Es ist absurd."
Warum der Kreml ihre Anfragen bislang ignorierte, ist offensichtlich: Amanpours Sender CNN ist im US-amerikanischen Medienspektrum ein Gegenpart zu Carlsons früherem Haussender Fox News, gilt als liberal, pro Demokraten. Das Sendernetzwerk erfüllt aber journalistische Qualitätsstandards - und hat in der Vergangenheit durch eigene investigative Recherchen und Auslandsreportagen diese Standards wiederholt nach oben geschraubt. Auch renommierte deutsche Medien haben im Kreml wiederholt und vergeblich Interviews angefragt.
Der Kreml räumt seinerseits unumwunden ein, warum Carlson ein Interview mit Putin bekam, andere westliche Medien aber nicht: Die großen westlichen Medien versuchten nicht einmal, unparteiisch über den Krieg zu berichten, sagt Putin-Sprecher Dmitri Peskow. "Natürlich ist es nicht erwünscht, mit solchen Medien zu kommunizieren, und es macht auch kaum Sinn, und es ist unwahrscheinlich, dass es nützlich sein wird." Mit Carlson zu sprechen, ist demnach "nützlich" aus Moskauer Sicht.
Wird Carlson Putin konfrontieren?
Seit Jahren hat Putin keinem westlichen Medium ein Interview gegeben und zugleich den Druck auf die westliche Presse, die noch aus Russland berichtet, sukzessive erhöht. Ob Carlson den russischen Präsidenten nach Evan Gerschkowitsch gefragt hat, einem seit bald einem Jahr in Moskau inhaftierten US-Journalisten der "Financial Times"? Es wäre das Mindeste, was ein selbsterklärter US-Patriot und Vorkämpfer für den freien Journalismus tun müsste.
Nicht minder beunruhigend ist Carlsons Behauptung, die Amerikaner müssten sich Putins Beweggründe für seine Invasion der Ukraine anhören. Keines von Russlands unzähligen Kriegsverbrechen wird Putin einräumen: Weder die gezielte, massenhafte Bombardierung von Zivilisten, noch die Entführung und Zwangsadoption von Kindern aus den besetzen Gebieten; die Folter und sexuelle Gewalt durch russische Soldaten nicht, und ebenso wenig die systematische Zerstörung ukrainischer Kulturgüter. All dies hat das Ziel, die Ukraine als Staat und Gesellschaft zu vernichten.
In jedem Fall erhält Putin Gelegenheit, auf der noch immer reichweitenstarken Plattform X die ukrainische Regierung und die NATO-Staaten für den Krieg verantwortlich zu machen. Allein die Annahme ist abwegig, Putin könnte so etwas wie einen stichhaltigen Grund für seine Gewaltakte haben. Sein Handeln war und ist völkerrechtswidrig, zutiefst unmoralisch und letztlich auch gegen die Interessen seines eigenen Volkes gerichtet. Jeder anständige Journalist, der die Gelegenheit zu diesem Interview bekäme, würde Putin dies genauso vorhalten. Und Carlson?
Trumps liebster Moderator
Zumindest ist er unerschrocken vor großen Ämtern. In Donald Trumps Präsidentschaft war Carlson liebster Gesprächspartner des republikanischen Staatschefs. Es kam vor, dass Trump, der angeblich Tag und Nacht den Sender Fox laufen hatte, spontan in der Sendung anrief - oder die beiden es zumindest so aussehen ließen. Als Trump die erste Fernsehdebatte der übrigen Bewerber auf die republikanische Präsidentschaftskandidatur 2023 boykottierte, kam er stattdessen zeitgleich in Tucker Carlsons Sendung auf X.
Auch sonst sind Trump und Carlson, der zwischenzeitlich selbst eine Kandidatur für die US-Präsidentschaft erwogen haben soll, ideologisch nahe beieinander. Carlson vertritt die Auffassung, Joe Biden habe Trump die Präsidentschaft gestohlen und den Sturm aufs Kapitol habe in Wahrheit das FBI inszeniert. Carlson hielt das Coronavirus für eine Verschwörung der Pharmaindustrie und warnt vor einer geplanten Verdrängung der weißen Amerikaner durch Einwanderer aus lateinamerikanischen und muslimischen Staaten. Der lange so einflussreiche Fernsehmoderator bedient sämtliche Verschwörungserzählungen des internationalen Rechtspopulismus, voller Verachtung für den Sozialstaat, Minderheitenrechte und Klimaschutzpolitik.
Trump und Carlsons Verbindung ist dennoch nicht unbelastet: Carlson hatte so vehement die Lüge von einer angeblich manipulierten Präsidentschaftswahl 2020 verbreitet, dass der Wahlmaschinenhersteller Dominion klagte. Das kostete den Sender Fox News 733 Millionen Euro Schadensersatz und Carlson seinen Job. Nicht unbedingt, weil sein Sender ein Problem mit der Lüge hatte, sondern weil die Unterlagen der Kläger auch private Textnachrichten von Carlson enthielten, in denen er über das Fox-Führungspersonal und Trump ("Ich hasse ihn") herzog. Sein Verhalten war letztlich geschäftsschädigend.
Wie Musk ins Bild passt
Was den Ex-Präsidenten und den Ex-Fox-Moderator nachher weiter vereinte, war: ihr Kampf gegen liberale Medien. Auch ihre Offenheit für die Argumente des russischen Staatschefs haben beide gemein: Trump hatte sich in seiner Amtszeit persönlich mit Putin getroffen, inhaltlich zwar nichts bewegt, dafür aber Bilder einer persönlichen Nähe zum starken Mann Russlands produziert. Ein halbes Jahr vor der US-Präsidentschaftswahl zittern deshalb die Ukraine und ihre westlichen Unterstützerländer gleichermaßen vor Trumps Wiederwahl: Sie dürfte das Ende der US-Militärhilfen für Kiew bedeuten. Schon jetzt blockieren die Republikaner weitere Hilfen für das angegriffene Land.
Das Interesse, die Glaubwürdigkeit und Reichweite klassischer Nachrichtenformate zu untergraben, teilten Trump und Carlson sich wiederum mit Musk und Putin. Musk hat wiederholt verkündet, dass seine Plattform X nicht weniger als die Befreiung der Menschheit von den großen Medienkonzernen bringe. Dass der X-Algorithmus nicht neutral ist, dass er genauso wie Tiktok und die Meta-Netzwerke radikale Inhalte bevorzugt, dass Inhalte nicht kontextualisiert oder auf Wahrheit überprüft werden: geschenkt aus Sicht des Tesla-Chefs, der Twitter zu X ummodellierte.
In diesem Sinne passt das Putin-Interview perfekt ins Bild: X bietet mit dem Putin-Interview nun vermeintlich die Nachrichten, die westliche Medien und die demokratisch gewählten Regierungen angeblich nicht zulassen wollten. Paradoxerweise liefern sie damit eben jenen Medien ein Gespräch mit dem russischen Staatschef frei Haus, aus dem diese ausführlich zitieren werden. Vorausgesetzt, Carlson kann dem Präsidenten tatsächlich etwas Neues entlocken. Putins vorgebliche Gründe, den zerstörerischsten Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg loszutreten, fallen nicht in diese Kategorie. Sie sind in Europa wie in den USA schließlich schon hinlänglich dargestellt worden.
Quelle: ntv.de