
Müde Männer: Grünen-Chef Nouripour, Kanzler Scholz und FDP-Chef Lindner am Morgen danach.
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Die Bundesregierung hat mit langem Anlauf Maßnahmen vereinbart, die den Bürgern tatsächlich unter die Arme greifen im Umgang mit der Inflation. Vor allem Geringverdiener und Transferleistungsbezieher stehen im Fokus. Dennoch enthält das Paket eine Reihe von Schwächen.
Wären die Beteiligten nicht so sehr beschäftigt damit, ihre eigenen Erfolge herauszustreichen und die der anderen zu relativieren, wäre manches klarer. So aber hat das politische Berlin auch am Montag noch schwer damit zu tun, die Beschlüsse des Koalitionsgipfels vom Wochenende einzuordnen. Ein solches Beispiel ist die geplante Abschöpfung von Zufallsgewinnen bei Energieunternehmen. Während Vertreter von SPD und Grünen die Einigung als Erfolg ihres beharrlichen Werbens für eine Übergewinnsteuer anpreisen, korrigiert FDP-Chef Christian Lindner höchstpersönlich via Twitter mehrere Medienberichte, die die vereinbarte Abschöpfung als "Steuer" bezeichnen. Und Recht hat er ja: Die von SPD und Grünen geforderte Übergewinnsteuer sollte die Ölmultis adressieren. Die Zufallsgewinnabschöpfung im Strommarkt zielt dagegen vor allem auf mittelgroße Windkraftunternehmen.
Nach dem Koalitionsausschuss ist eben auch vor dem Kampf um die Deutungshoheit. Einen Gefallen tut sich die Ampel mit ihrem Ringen dennoch nicht, weil es für die Öffentlichkeit noch schwerer nachzuvollziehen ist, wie konkret und hilfreich die vielen Maßnahmen sind. Das verschleiert manchen Erfolg der Ampel. Vor allem kaschiert derartige Vielstimmigkeit, dass sich die aus unterschiedlichen politischen Richtungen kommenden Koalitionspartner unter dem Druck einer sich anbahnenden, historischen Wirtschaftskrise zur konstruktiven Zusammenarbeit fähig gezeigt haben. "Wuchtig", wie von Lindner versprochen, ist das Paket tatsächlich.
Die Kleinen bekommen relativ viel
Keine andere Einkommensgruppe wird das so sehr zu spüren bekommen wie Transfergeldbezieher - darunter die viel zu vielen Menschen, die trotz Arbeit staatliche Hilfen brauchen - und Geringverdiener. Dass der 450-Euro-Regelsatz von Hartz-IV durch ein 500 Euro hohes Bürgergeld ersetzt wird, dessen Erhöhung sich künftig vorab an der zu erwartenden Inflation orientiert, und der Kreis von Wohngeld-Berechtigten von 620.000 auf bis zu 2 Millionen Menschen steigt, geht in die richtige Richtung. Auch die reduzierten Sozialabgaben für Einkommen bis 2000 Euro, also die Ausweitung der Midi-Job-Grenze, verschafft kleinen Einkommen konkret mehr Geld im Portmonee.
Mittlere Einkommen profitieren von einem um 200 Euro höheren Arbeitnehmerpauschbetrag, davon, dass künftig Renteneinzahlungen zu 100 Prozent vom zu versteuernden Einkommen abgezogen werden können und Büroarbeiter von einer bis zu 600 Euro hohen Home-Office-Pauschale Gebrauch machen können. Die Erhöhung des Grundsteuerfreibetrags und die Anpassung der Einkommensteuersätze zur Bekämpfung der Kalten Progression helfen allen Einkommensschichten. Das höhere Kindergeld kommt Familien mit kleinem und mittleren Einkommen ebenfalls zugute. All das ist nicht wenig. Auch ein bundesweit gültiges 49- oder 69-Euro-Ticket, vorausgesetzt die Bundesländer ziehen mit, hilft zumindest den Normalverdienern in ÖPNV-starken Ballungsgebieten.
Geld für gutsituierte Rentner, "Inflationsprämie" eher Glückssache
Streitbar ist, ob der Staat wirklich allen Studierenden und Rentnern 200 beziehungsweise 300 Euro zuschieben muss. Beides wirkt ähnlich wie das in diesem Monat auszuzahlende "Energiegeld" nach dem Gießkannenprinzip, von dem die Ampel ja eigentlich weg wollte. In Deutschland kommen Studenten überproportional oft aus akademischen Haushalten und haben relativ oft finanzstarke Eltern im Rücken. Bezieher mittlerer und hoher Renten haben bereits von einem historisch hohen Inflationsausgleich profitiert. Aber Rentner haben eben auch ein starkes Gewicht an der Wahlurne.
Die bis zu 3000 Euro hohe Steuerfreiheit auf Inflationsprämien vom Arbeitgeber ist wiederum ungleich wirksam: Große Konzerne werden das Geld im Rahmen der "konzertierten Aktion" an ihre Arbeitnehmer ausschütten müssen. Der kleine Metallbaubetrieb, die Gärtnerei oder die Brauerei sind durch Mehrausgaben für Energie und absehbare Kundenzurückhaltung schon derart belastet, dass für Sonderzahlungen eher kein Spielraum ist. Die vielen Solo-Selbständigen im Land sind, wie schon bei den ersten beiden Entlastungspaketen, ohnehin weitgehend außen vor.
Nur vage Mittel gegen Energiepreise
De facto zeichnet sich auch für die kleinen und mittleren Unternehmen kaum wirksame Hilfe ab. Weder neue KfW-Überbrückungskredite, und seien sie noch so günstig, noch Zuschüsse für die Umstellung auf andere Energieträger helfen dem kleinen Pandemie-gebeutelten Betrieb in der Not. Wer keine Rücklagen, aber jede Menge Schulden hat, kann mit derartigen Liquiditätskrediten und Investitionshilfen wenig anfangen und wird auch nicht über gelockerte Insolvenzregeln jubeln. Das Einzige, was allen Verbrauchern und Unternehmen wirklich dauerhaft helfen würde, sind sinkende Energiepreise. Und ausgerechnet da bleibt die Koalition nach dem Wochenende vage.
Sicher ist, dass die EEG-Umlage dauerhaft wegfällt und die Regierung die Umsatzsteuer auf Gas von 19 auf 7 Prozent senkt. Die in Aussicht gestellte Grundversorgung der Verbraucher mit einem gedeckelten Strompreis und die zugesagte Prüfung, ob nicht doch ein Preisdeckel für die Grundwärmeversorgung machbar sind, haben dagegen keinen unmittelbar preisbremsenden Effekt.
Der Strompreisdeckel - und eine damit einhergehende Netzentgelte-Bremse - hängt davon ab, ob die EU-Kommission zeitnah einen Weg zur Zufallsgewinnabschöpfung erarbeitet. Nur wenn Brüssel zu langsam oder unwillig ist, soll eine nationale Regelung greifen. Das wird frühestens in ein paar Wochen der Fall sein. Ob die zur Gegenfinanzierung des Strompreisdeckels angedachte Zufallsgewinn-Abschöpfung überhaupt juristisch machbar ist, bleibt abzuwarten. Der Wärmegrundpreis, also ein gedeckelter Gas- und Ölpreis, ist womöglich erst etwas für den Winter 2023/2024, wenn Deutschland voraussichtlich nicht mit vollen Gasspeichern in die Kälteperiode geht.
Alle leisten ihren Beitrag, außer...
So bleiben einige Unwägbarkeiten und Unwuchten, wobei die größte Ungerechtigkeit auf Widerstand der FDP hin weiter nicht angegangen wird. Egal wie wirksam die Entlastungsmaßnahmen am Ende sind: Arme Menschen und Normalverdiener werden in den kommenden Monaten weniger Geld zu Verfügung haben und ihren Lebensstandard einschränken müssen. An Hochverdienern und Superreichen - etwa jenen 3100 Superreichen mit mehr als 100 Millionen Dollar Finanzvermögen - dagegen geht die Krise weitgehend vorbei, weil ein paar Tausend Euro mehr oder weniger im Jahr für sie keinen Unterschied machen. Sie müssen sich also nicht spürbar an den gesellschaftlichen Kosten des Energie- und Wirtschaftskrieges beteiligen, den Russland und Europa miteinander ausfechten.
Das ist unsolidarisch und wirft Fragen nach der (Lasten-)Verteilungsgerechtigkeit in Deutschland auf. Von der Einmalabgabe über eine Vermögenssteuer, eine reformierte Erbschaftssteuer und einen höheren Spitzensteuersatz liegen dazu von SPD und Grünen genügend Vorschläge auf dem Tisch. Dass keine dieser Ideen im Koalitionsausschuss am Wochenende auch nur diskutiert wurde, deutet darauf, dass diese Unwucht absehbar bestehen bleibt.
Quelle: ntv.de