Reaktionen auf Entlastungspaket Ampel ist zufrieden, Union übt scharfe Kritik
05.09.2022, 11:04 Uhr
Das 9-Euro-Ticket soll einen (teureren) Nachfolger bekommen. Um die Finanzierung gibt es aber noch Diskussionen.
(Foto: imago images/Frank Sorge)
Das neue Entlastungspaket der Ampel-Koalition stellt Milliardenhilfen in Aussicht, lässt allerdings auch Fragen offen. Vor allem bei der Finanzierung fordern die Länder Klarheit. Die Union kritisiert die Maßnahmen derweil als "ungenügend" und "nicht zielgerichtet".
Nach der Ampel-Einigung auf ein milliardenschweres neues Entlastungspaket werben führende Koalitionspolitiker für die Pläne. Entscheidend sei das Ergebnis, "und ich denke, das überzeugt", sagte Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner der ARD mit Blick auf die langen Verhandlungen. Aus der Opposition kommt dagegen scharfe Kritik - und zwei große Bundesländer pochen auf Mitsprache: Die Regierungschefs von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, Hendrik Wüst und Winfried Kretschmann, forderten eine baldige Ministerpräsidentenkonferenz mit Kanzler Olaf Scholz.
Das Entlastungspaket habe massive Auswirkungen auf die Länderhaushalte, sagte Kretschmann am Sonntag. Deswegen müssten die Länder darüber dringend mit dem Bund sprechen. Wüst, aktuell Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, sagte den Zeitungen der Mediengruppe Bayern: "Wenn die Länder mit bezahlen sollen, müssen sie auch mit entscheiden können." Es gebe noch viele offene Fragen. "Darüber sollte sehr zeitnah bei einer Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Bundeskanzler beraten werden."
Die Ampel-Koalition hatte sich am Sonntag auf ein drittes Entlastungspaket verständigt, dessen Umfang die Regierung auf etwa 65 Milliarden Euro beziffert. Es umfasst unter anderem Direktzahlungen für Rentner und Studierende, Steuererleichterungen und eine Erhöhung der Regelsätze in der Grundsicherung sowie des Kindergelds. Geplant ist auch eine Strompreisbremse für einen gewissen Basisverbrauch. Zudem strebt die Ampel einen bundesweit gültigen Nachfolger für das 9-Euro-Ticket im Nahverkehr an, und zwar in der Preisspanne von 49 bis 69 Euro pro Monat. Der Bund will 1,5 Milliarden Euro dafür zuschießen, wenn die Länder mindestens ebenso viel zahlen.
Länder "müssen sich bewegen"
Der Deutsche Städtetag sowie der Städte- und Gemeindebund forderten Zusagen der Länder zur Finanzierung des bundesweiten Nahverkehrstickets. Der Städtetag befürworte das Ziel, ein Nachfolgemodell für das 9-Euro-Ticket zu konzipieren, sagte Präsident Markus Lewe der "Rheinischen Post". "Die dafür vorgesehenen Mittel des Bundes allein werden allerdings bei Weitem nicht reichen." Vor allem müssten die Länder in die Pflicht genommen werden. "Sie müssen sich jetzt bewegen", sagte der CDU-Politiker, der Oberbürgermeister der Stadt Münster ist. Die Finanzierung dürfe nicht an den Städten hängenbleiben.
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, die geplante Fortführung eines einheitlichen vergünstigten Nahverkehrstickets sei ein richtiger und konsequenter Schritt. Unverzichtbar bleibe in diesem Zusammenhang aber auch "die nachhaltige Verstärkung der Investitionen" in den öffentlichen Nahverkehr gerade im ländlichen Raum. "Gerade für die Menschen dort ist der Vorteil eines vergünstigten Tickets eher gering, weil die notwendigen Verbindungen bisher fehlen."
Dobrindt fehlt es an Klarheit
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kritisierte hingegen, der Ampel-Kompromiss sei "unkonkret, unvollständig und ungenügend". "Notwendige Maßnahmen gegen die Energiepreisexplosion bleiben ungelöst", sagte er: "keine Entscheidung zum Weiterbetrieb der Kernkraftwerke, keine Entscheidung zur Reduzierung der Gaspreise, keine Entscheidung zum Stopp der Gasumlage, keine Klarheit bei der Dämpfung der Energiekosten, weder an der Zapfsäule noch beim Gas, noch beim Strom".
Die Union bezeichnete das Entlastungspaket als zu wenig zielgerichtet. "Ich hätte lieber 1.000, 2.000 Euro für Menschen mit kleinem, mittlerem Einkommen als schon wieder 300 Euro für alle Rentnerinnen und Rentner", sagte der stellvertretende Unions-Vorsitzende Jens Spahn im ZDF. "Es ist also nicht besonders zielgerichtet." Eine vierköpfige Familie, die mit 2.500 Euro netto hinkomme und es gerade mit den hohen Energiepreisen sehr schwer habe, bekomme für die beiden Kinder 36 Euro im Monat. "Das ist die ganze Unterstützung."
Kritik an der geplanten Erhöhung des Kinderzuschlags für Familien mit niedrigem Einkommen kam vom Kinderschutzbund. Die Erhöhung des Zuschusses um 21 Euro monatlich "enttäuscht mich", sagte Vereinspräsident Heinz Hilgers dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die einkommensschwachen Empfänger dieses Zuschlags gäben einen Großteil ihrer Einnahmen für Lebensmittel aus. Bei diesen Produkten liege die Inflationsrate aber nicht bei rund sieben Prozent, sondern doppelt so hoch, merkte Hilgers an. Der Kinderzuschlag wird zusätzlich zum Kindergeld gezahlt.
Lindner will "Rendite-Autopiloten abschalten"
Lindner warb auch für die Pläne zum Abschöpfen sogenannter Zufallsgewinne von Stromproduzenten. "Ich bin sehr dafür, dass wir am Strommarkt (...) den Rendite-Autopiloten abschalten", sagte er in der ARD. "Konkret geht's ja darum, dass die Produzenten zum Beispiel von Windstrom so bezahlt werden, als hätten sie teures Gas eingekauft. Das muss abgeschaltet werden." Im ZDF betonte Lindner, es gehe nicht um eine Übergewinnsteuer. Eine solche Steuer für Energiekonzerne hatten SPD und Grüne gefordert, die FDP lehnte sie jedoch ab. "Es geht da um den Preis pro Kilowattstunde, es geht da nicht um den Gewinn eines Unternehmens", erläuterte der Finanzminister die Koalitionspläne in der ARD. "Eine Übergewinnsteuer hingegen, die hätte Willkür in unser Steuersystem gebracht."
Auch der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil stellte sich hinter die geplanten Eingriffe in den Strommarkt. "Das ist ein wichtiges Signal, zu sagen: Wir greifen in den Strommarkt ein und da, wo Gewinne durch Zufall passieren, werden wir diese Gewinne abschöpfen, und wir geben sie an die Verbraucherinnen und Verbraucher zurück", sagte Klingbeil am Montag im ZDF. Er gehe davon aus, dass der Eingriff rechtssicher sei.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sicherte derweil bei den Strommarkt-Plänen Tempo zu: "Das muss jetzt zackig gehen. Wir suchen kurzfristig eine gemeinsame Lösung auf europäischer Ebene, das läuft bereits", sagte er den Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft. "Wenn wir keinen europäischen Weg finden, was ich nicht glaube, dann setzen wir die Gewinnabschöpfung national um." So oder so könnten die Deutschen sich darauf verlassen, dass die Preisbremse komme.
Der Wirtschaftswissenschaftler Michael Hüther äußerte sich kritisch zu diesem Vorhaben. "Die Besteuerung der Zufallsgewinne bleibt ebenso unkalkulierbar wie die daraus folgende Entlastung der Stromkunden", sagte der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft der "Rheinischen Post". "Alles in allem: vage Lösung, deren Volumen und Wirkung unklar bleibt."
Quelle: ntv.de, mdi/dpa/AFP/DJ