Politik

Interview zur Niederlande-Wahl "Erdogan hat Rutte ein Geschenk gemacht"

Überraschend deutlich hinter Mark Ruttes VVD landete Geert Wilders' PVV.

Überraschend deutlich hinter Mark Ruttes VVD landete Geert Wilders' PVV.

(Foto: dpa)

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hat einen Wahlkampf gemacht, wie Wolfgang Schäuble oder Jens Spahn ihn in Deutschland gut finden würden, sagt der Politologe Timo Lochocki. Aber kann Angela Merkel diese Strategie übernehmen?

n-tv.de: Die niederländische Regierung hat Wahlkampfauftritte türkischer Minister in den Niederlanden verboten. Wie wichtig war die Konfrontation mit dem türkischen Präsidenten Erdogan für den Wahlausgang?

Timo Lochocki ist Experte für rechtspopulistische Parteien in Europa und arbeitet für die Denkfabrik German Marshall Fund.

Timo Lochocki ist Experte für rechtspopulistische Parteien in Europa und arbeitet für die Denkfabrik German Marshall Fund.

Timo Lochocki: Es war aus zwei Gründen wichtig. Zum einen konnte der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte damit konservative und sehr konservative Wähler ansprechen. Und zweitens konnte Rutte so belegen, dass es – wie er gesagt hat – einen Unterschied macht, ob man über Politik twittert oder Politik implementieren muss. Wer regiert, kann Einfluss nehmen. Das kann Wilders aus der Opposition heraus nicht.

Hat Rutte gewonnen, weil er Wilders imitiert hat? Oder wurde seine Politik als eigenständiges Angebot wahrgenommen?

Die Konfrontation mit der Türkei war für Rutte das größte Geschenk, das er sich hätte vorstellen können. Er konnte bei diesem Thema aus sich selbst heraus agieren, er konnte sagen: Ich positioniere mich aggressiv gegen einen anderen Nationalstaat, aber nicht aus nationalistischen Gründen, sondern im Sinne von Humanismus, Liberalismus und der westlichen Demokratie. Damit hat er zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Er konnte die konservativen Wähler gewinnen, und er konnte den Liberalen signalisieren, dass er für die Werte der liberalen Niederlande einsteht. Etwas Besseres hätte Rutte nicht passieren können.

Das Gesamtbild bei der niederländischen Wahl ist ein bisschen diffus: Die sozialdemokratische PvdA ist abgestürzt, die Grünen sind deutlich stärker geworden, Wilders' PVV hat zugelegt, Ruttes liberal-konservative VVD hat leicht verloren. Gibt es trotzdem das eine Signal, das von dieser Wahl ausgeht?

Einige Kommentatoren haben gesagt, das Signal sei, dass Europa Kurs nehme auf eine politische Fragmentierung. Das scheint mir ein Schnellschuss zu sein. Die politische Landschaft in den Niederlanden ist schon seit Jahren sehr fragmentiert. Zudem finden die Wählerwanderungen jeweils innerhalb der politischen Lager statt. Der Absturz der PvdA hat zum Aufstieg der linksliberalen D66 und von Groenlinks geführt. Auf der anderen Seite hat die VVD verloren und der CDA gewonnen – der CDA ist eine Art niederländische CDU ohne CSU. Zwischen den Lagern gibt es keine großen Verschiebungen.

Es ist also eine politische Fragmentierung, bei der die politischen Lager relativ stabil bleiben. Damit steht das Wahlergebnis in krassem Gegensatz zu dem, wie vorher berichtet wurde. Es ist eher ein Indikator der Stabilität. In der Praxis folgt daraus, dass die Niederlande auch in den nächsten fünf Jahren einen pro-europäischen Kurs fahren werden. Die Niederlande sind weiterhin einer der wichtigsten Verbündeten der Bundesregierung – unabhängig davon, welche Farben diese Bundesregierung haben wird.

Für eine rein konservative Koalition reicht es nicht, dafür sind die Mitte-Rechts-Parteien zu schwach. Wird Wilders langfristig davon profitieren, dass die niederländische Regierung sich nie auf einen klar linksliberalen oder eindeutig konservativen Kurs festlegen kann?

Entscheidend ist weniger, wer in die Koalition eingebunden wird, sondern wer nicht mitregiert. Wahrscheinlich wird der CDA in die Regierung eintreten, so dass es keine bürgerliche Opposition mehr gibt. Das bedeutet: Jeder Konservative, der mit der Regierung nicht zufrieden ist, wird zu Wilders tendieren.

Eines muss man aber betonen: Die Konstellation für Rechtspopulisten ist in den Niederlanden so gut wie sonst nirgends – das ist ein Land, dass sich vor allem über Migrations- und Europadebatten definiert und eine hoch fragmentierte politische Landschaft hat. Besser kann es für Rechtspopulisten eigentlich nicht laufen. In diesem Setting hat es Geert Wilders in den letzten fünf bis zehn Jahren nicht vermocht, über 15 bis 20 Prozent hinauszukommen.

Gibt es etwas, dass Angela Merkel von der niederländischen Wahl lernen kann?

Rutte hat enorm davon profitiert, den niederländischen Diskurs zu polarisieren. Mit seinem wirtschaftsliberalen Programm hat er dazu beigetragen, dass ökonomische Themen im Fokus stehen, was gegen Rechtspopulisten immer ein gutes Mittel ist; da hat weder Wilders noch die AfD viel zu sagen. Und zweitens hat er, wie gesagt, durch die Konfrontation mit der Türkei konservative Wähler mobilisiert.

Die Frage ist, ob Angela Merkel das so übernehmen kann. Rutte hat faktisch einen Wahlkampf gemacht, wie Wolfgang Schäuble oder Jens Spahn ihn in Deutschland gut finden würden: Konfrontation bei ökonomischen Themen und klare Kante bei kulturellen Thematiken. Das ist eine Linie, die Merkel bislang nicht entspricht. Und man muss natürlich bedenken, dass Deutschland in Europa eine andere Rolle spielt als die Niederlande. Wenn die wichtigste europäische Zentralmacht im Wahlkampf die offene Konfrontation mit der Türkei, mit Griechenland oder mit Russland suchen würde, um konservative Wähler zu mobilisieren, dann ist das etwas anderes, als wenn ein kleiner Staat wie die Niederlande das macht.

Mit Timo Lochocki sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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