Gute Chancen auf Präsidentenamt Erdogan ist allgegenwärtig
01.07.2014, 16:17 Uhr
(Foto: REUTERS)
Der türkische Ministerpräsident verkündet in Ankara offiziell seine Kandidatur für das Amt des Staatspräsidenten. Er bietet seinen Anhängern mehr als eine gute Show.
Nicht nur als ein Mensch aus Fleisch, Blut und Knochen. Noch am Tag vor seiner offiziellen Kandidatur für das Präsidentenamt spekuliert die türkische Zeitung "Hürriyet", dass Recep Tayyip Erdogan bei diesem Termin auch als geisterhafte Erscheinung vor seine Anhänger treten könnte. Erdogan leibhaftig auf dem Podium und seine übergroße Erscheinung schwebend über dem Publikum. Erdogan allgegenwärtig. Moderne Hologram-Technik soll es möglich machen.
Erdogan hat schon einmal darauf gesetzt, um seine Anhänger zu begeistern, Anfang des Jahres auf einer Kundgebung in der Provinz Izmir. Da er nicht selbst vor Ort sein konnte, ließ er eine Botschaft von sich aufzeichnen. Die Gäste der Kundgebung bekamen sie von einer mehr als drei Meter großen Projektion des Ministerpräsidenten serviert. Und jetzt? In Ankara? Bei seiner langerwarteten Kandidatur?
Die Erwartungen an Erdogans Auftritt sind gewaltig. Ein Hologram verwendet er zwar nicht. Die Zuschauer müssen sich mit Videoclips mit 3D-Effekten zufrieden geben. Allgegenwärtig wirkt Erdogan trotzdem.
Unumstritten in der Partei
4000 Menschen sitzen im Kongresszentrum der Handelskammer in Ankara. Es wird dunkel im Saal und über gewaltige Leinwände flimmern Bilder, die nur eine Botschaft transportieren: Die Türkei liebt Erdogan. Zu sehen sind Kinder, die ihren Ministerpräsidenten umarmen, Männer und Frauen, die sich mit ihren Wünschen an ihn wenden. Zu sehen ist immer wieder der Ministerpräsident selbst, mal betend, mal trauernd, mal feiernd mit dem Volk. Alle paar Sekunden blitzt irgendwo die Nationalflagge auf. Dass der AKP-Politiker Mehmet Ali Şahin Erdogan nach diesem Einstieg überhaupt noch offiziell zum Kandidaten erklärt, erscheint nur noch als Formsache.
Für Außenstehende ist all das kaum zu glauben. Schließlich war es Erdogan, der mit seinem Umgang mit den Gezi-Protesten, einer beispiellosen Korruptionsaffäre und zuletzt seinem Krisenmanagement beim Grubenunbglück von Soma weltweit für Empörung gesorgt hat. In vielen Parteien wäre er wohl unhaltbar. In der AKP ist er unumstritten.
Es folgen weitere Videoclips. Ausführlich geht es um Erdogans Biografie. Die Stationen: Der kleine Recep, der Sohn des Seemannes Ahmet Erdogan. Der Fußballspieler Erdogan und der Jungpolitiker samt seiner ersten Erfolge im Kampf um das Amt des Bürgermeisters des Instanbuler Stadtteils Beyoglu. Am Ende stehen seine Treffen mit Spitzenpolitikern weltweit. Dazu Musik, die auch in einem Film mit Sylvester Stallone laufen könnte.
Beste Chancen auf das Amt
Als Erdogan endlich selbst zum Mikrofon greift, ist das Publikum längst eingestimmt. Doch dem Präsidentschaftskandidaten gelingt es, seine Gäste, es sind vor allem Parteimitglieder und Funktionäre, noch weiter anzufeuern. Er sagt Sätze wie: "Wenn Gott es erlaubt, öffnen wir die Tür zu einer neuen Ära." Erdogan erntet stehende Ovationen. In Sprechchören ertönt immer wieder der Satz: "Wir sind stolz auf dich." Türkische Fernsehsender übertragen die Parteiveranstaltung so, als wäre es eine Krönungsmesse - mehrere Stunden lang und live. Erdogan Superstar.
Angesichts der Ereignisse in der Türkei wirkt all das wie eine schräge Inszenierung. Doch es ist viel mehr als das. Denn der Ministerpräsident scheint aller Skandale zum Trotz nicht nur in seiner Partei unangefochten zu sein. Jüngsten Umfragen zufolge kann er bei den Präsidentschaftswahlen im August mit bis zu 55 Prozent Zustimmung rechnen. Die Frage ist nicht, ob er Präsident wird, sondern lediglich, ob er das neue Amt im ersten Wahlgang nehmen kann.
So oder so - unter Erdogan dürfte sich die Funktion des Staatspräsidenten drastisch ändern. In seiner Rede kündigt er an, dass eine neue Verfassung, die die Türkei in ein Präsidialsystem verwandelt, eine "Priorität" für ihn sei. Bisher hat der Präsident ähnlich wie in Deutschland vor allem eine repräsentative Funktion. Erdogan beharrt darauf, dass er das guten Gewissens ändern kann, wenn das Amt bekommt. Die Bürger der Türkei wählen ihren Präsidenten im August schließlich erstmals direkt.
Quelle: ntv.de, mit dpa