Politik

"Freilichtgefängnis" Erdogan verärgert Israel

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat die von Israel kontrollierten Palästinensergebiete als Freilichtgefängnis bezeichnet. In einem von der "Washington Post" veröffentlichten Interview stellte er zugleich die politische Isolierung der radikal-islamischen Hamas infrage.

"Hamas ist als politische Partei bei den Wahlen angetreten. Hätte die ganze Welt ihnen die Chance gegeben ein politischer Akteur zu werden, wären sie nach dem Wahlsieg vielleicht nicht in diese Situation gekommen. Die Welt hat den politischen Willen des palästinensischen Volkes nicht respektiert", sagte Erdogan. Fast alle westlichen Regierungen unterhalten keine offiziellen Kontakte zur Hamas, weil diese eine formale Anerkennung Israels verweigert hat.

"Palästina ist heute ein Freilichtgefängnis. Die Hamas konnte diese Situation nicht ändern, so sehr sie es versucht hat. Stellen Sie sich vor, Sie verhaften den Parlamentspräsidenten eines Landes und auch einige Minister und Parlamentsabgeordnete. Und dann wird erwartet, dass sie sich fügen", sagte Erdogan.

Das Interview wurde offensichtlich vor dem Eklat auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos wegen der Militärschläge im Gazastreifen geführt. Erdogan hatte am Donnerstag eine Podiumsdiskussion mit dem israelischen Präsidenten Schimon Peres zum Thema des jüngsten israelischen Militäreinsatzes im Gazastreifen wutentbrannt abgebrochen. "Wenn es ums Töten geht, mit dem Töten kennt ihr euch sehr gut aus", sagte er dabei an die Adresse der Israelis.

Zweifelhafter Dank aus Iran

Für seinen umstrittenen Auftritt in Davos erntete der türkische Ministerpräsident unterdessen Lob von Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad. "Er hat das ausgesprochen, was die Türken, die Menschen in der Region und in aller Welt denken. Ich danke Herrn Erdogan für diesen Schritt", wurde Ahmadinedschad von der iranischen Nachrichtenagentur IRNA zitiert.

Deutsche Politiker kritisieren Erdogan

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Mißfelder sieht im Israel-kritischen Kurs Erdogans eine Belastung für die EU-Beitrittverhandlungen mit der Türkei. "Solange Erdogan in der Türkei eine derart Israel-feindliche Linie verfolgt, müssen wir prüfen, ob die Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei ausgesetzt oder abgebrochen werden müssen", sagte das CDU-Präsidiumsmitglied der "Bild"-Zeitung.

Der Vorsitzende der deutsch-israelischen Parlamentarier-Gruppe, der Grünen-Politiker Jerzy Montag, verwies auf die Rolle Ankaras im Nahost-Friedensprozess. "Die Türkei ist ein wichtiger Vermittler im Nahost-Konflikt. Es wäre schlimm, wenn Erdogan mit seinen Äußerungen die Türkei aus dieser Position herausdrängen würde", sagte er der Zeitung. "Worte, wie sie Erdogan in Davos gewählt hat, passen nicht zu einer verantwortlichen, vermittelnden Politik."

Türkei und Israel wollen keine Eskalation

Erdogan selbst bemühte sich unterdessen darum, die Wogen zu glätten. Seine Kritik habe sich allein gegen die israelische Regierung und sonst gegen niemanden gerichtet, sagte er. Auch die israelische Seite wiegelte ab. Tausende Anhänger in der Türkei, der Libanon sowie die radikalislamische Hamas begrüßten Erdogans Verhalten. Nach seiner Rückkehr in die Türkei war Erdogan von einigen tausend Anhängern bejubelt worden, auch anti-israelische Sprechchöre waren zu hören.

Erdogan verbat sich die Sprechchöre. Es sei ihm bei dem Streit mit Peres allein um den israelischen Militäreinsatz im Gazastreifen und die vielen zivilen Opfer gegangen. "Wir sind gegen Antisemitismus", sagte er. In Davos habe er seine "menschlichen Gefühle" über das israelische Vorgehen zum Ausdruck gebracht: "Der Tod von Zivilisten darf nicht als ein Arbeitsunfall betrachtet werden". Bei ihrem Engagement im Nahen Osten gehe es der Türkei allein darum, zum Frieden in der Region beizutragen.

Peres habe den Vorfall in einem Telefongespräch bedauert, sagte Erdogan. Die israelische Präsidentschaft dementierte allerdings Berichte, wonach Peres sich entschuldigt habe. Sie sprach von einem "freundschaftlichen Gespräch". Auch der israelische Botschafter in Ankara, Gaby Levy, spielte die Konsequenzen herunter. Es liege im Interesse beider Seiten, "sich zu beruhigen und nach vorne zu blicken".

Quelle: ntv.de

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