Elmar Brok über die Hoffnungen in der Ukraine "Es ist noch nie Gold vom Himmel gefallen"
23.02.2014, 12:08 Uhr
Vor der verlassenen Residenz des gestürzten Präsidenten schwenkt ein Mann die Fahne der EU. Häufiger ist in Kiew derzeit allerdings die blau-gelbe Flagge der Ukraine zu sehen - und die schwarz-rote der Vaterlandspartei von Julia Timoschenko.
(Foto: AP)
Elmar Brok war bereits von Mittwoch bis Freitag in Kiew - der Europaabgeordnete gehörte zur Verhandlungsdelegation der drei europäischen Außenminister, die dort die Einigung zwischen Präsident Janukowitsch und der Opposition aushandelten. An diesem Sonntag fliegt er wieder in die Ukraine, er leitet eine Delegation des Europäischen Parlaments. Kurz vor seiner Abreise haben wir mit dem CDU-Politiker gesprochen.
n-tv.de: Welche Botschaft bringen Sie nach Kiew mit?

Elmar Brok (2.v.r.) war bereits von Mittwoch bis Freitag in Kiew - das Bild zeigt ihn mit Außenminister Steinmeier und den Oppositionspolitikern Vitali Klitschko (l.) und Arseni Jazenjuk (M.).
(Foto: REUTERS)
Elmar Brok: Wir werden zum Ausdruck bringen, dass wir einen demokratischen Wandel unterstützen und gleichzeitig darauf achten, dass dies ein Prozess ist, der einen versöhnenden Charakter hat.
Könnten auch Teile der alten Regierung weiter eine Rolle spielen?
Nicht so sehr der alten Regierung, aber doch die Abgeordneten, die jetzt zusammen mit der Opposition den Wandel über das Parlament zuwege gebracht haben. Diesen inklusiven Prozess sollte man weiter fortsetzen und nicht in den alten Fehler verfallen, den politischen Gegner zu bestrafen, sobald man selbst an der Regierung ist.
Wie wichtig war das Abkommen vom Freitag, das ja schon keine 24 Stunden nach der Unterzeichnung Makulatur war?
Ist das schon Makulatur? Es ist doch einiges davon umgesetzt worden, wenn auch ein bisschen schneller. Nach 48 Stunden sollte die Ukraine zur Verfassung von 2004 zurückkehren, das ist schneller passiert. Präsidentschaftswahlen sollten spätestens bis Ende Dezember stattfinden, die können aber auch früher stattfinden.
Das Parlament hat Präsidentschaftswahlen für den 25. Mai ausgerufen.
Das ist der Tag der Europawahl.
Sehen Sie die Wahl des Termins als Signal?

Die Freude über den Sieg der Opposition mischt sich mit Wut und Trauer über die vielen Toten.
(Foto: REUTERS)
Ich sehe darin zunächst ein schönes Symbol dafür, dass der Blick nach Europa für die Ukraine wichtig ist.
Wird Ihnen etwas mulmig, wenn Sie daran denken, welche Erwartungen die Menschen auf dem Maidan an die Zukunft, konkret auch an Europa haben?
Ja, das ist wahr. Noch mulmiger wird es, wenn man bedenkt, dass man jetzt versuchen muss, einen friedvollen Prozess in Gang zu halten. Denn die Menschen sind natürlich furchtbar verbittert. Sie haben zusehen müssen, wie ihre Freunde auf brutalste Art und Weise abgeschossen wurden, wie sie zielgerichtet abgeschossen wurden. Diese Menschen muss man jetzt davon überzeugen, in einen versöhnenden Prozess zu gehen. Das ist menschlich sehr, sehr schwer.
Jetzt ist viel von einer drohenden Spaltung der Ukraine die Rede. Ist das tatsächlich ein drohendes Szenario?
Ich kann mir vorstellen, dass einige Kräfte das versuchen. Aus diesem Grunde ist es wichtig, dass man jetzt den Versöhnungsweg geht und nicht in die alten Konfrontationen zurückfällt.
Auf der Halbinsel Krim wird offenbar schon diskutiert, die Ukraine zu verlassen und zu Russland zurückzukehren.
Da denken sicherlich einige daran, aber es gibt natürlich auch auf der Krim viele, gerade junge Leute, die Krimtataren und andere, die nicht wieder russisch werden möchten. Das ist eine brenzlige Angelegenheit - auch historisch gesehen und aufgrund der russischen Schwarzmeerkriegsflotte in Sewastopol (die Stadt auf der Krim ist der Hauptstützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte; der Stützpunkt wurde von Russland gepachtet, d. Red.). Auch deswegen sollte man jetzt nichts überstürzen und vernünftig für die Einheit des Landes arbeiten.
Wie kann Europa jetzt helfen? Wird der Internationale Währungsfonds auch eine Rolle spielen?
Natürlich wird der IWF eine Rolle spielen. Und wir werden natürlich mit einer neuen Regierung zusammenarbeiten, damit die entsprechenden Bedingungen erfüllt sind - die Strukturreformen, die notwendig sind, damit dieses Land wettbewerbsfähig wird.
Das klingt nicht so, als würde es sofort Wohlstand und Glück für die Ukraine geben.
Es sind noch nie die Goldtaler vom Himmel gefallen, außer im Märchen. Aber man kann Voraussetzungen schaffen. Auf einem Weg nach Europa hat die Ukraine die besten Chancen, auch wenn es am Anfang schwierig sein wird. Ich rede jetzt nicht unbedingt über die Vollmitgliedschaft, aber die Entwicklung in den baltischen Staaten, die ja auch sowjetisch waren, zeigt, dass soziale Marktwirtschaft, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit auch sozial- und wirtschaftspolitisch zu den besten Ergebnissen führen.
Julia Timoschenko hat gestern Abend auf dem Maidan gesagt, in ein paar Jahren werde die Ukraine Mitglied der EU sein.
Da muss man langsam vorangehen, die Ukraine erfüllt derzeit nicht einmal die Bedingungen für einen Kandidatenstatus. Wir gehen jetzt auf einen Assoziierungsvertrag zu und auf eine Freihandelszone. Die kann die Ukraine in einem weiteren Schritt in den Europäischen Wirtschaftsraum führen. Dann werden wir im Laufe der Jahre sehen, wie die Entwicklung ist - sowohl innerhalb der Europäischen Union als auch in der Ukraine. Zu einer unmittelbaren Erweiterung wäre weder die Ukraine noch die Europäische Union in der Lage. Aber der Weg nach Europa muss für die Ukraine geöffnet sein.
Was sind eigentlich die europäischen Interessen in und an der Ukraine?
An erster Stelle steht, dass wir uns immer einsetzen müssen für die europäischen Werte, für Freiheit und Demokratie, und solche Nationen unterstützen müssen, die diesen Weg gehen. Der zweite Punkt ist: Eine freie und unabhängige Ukraine an unseren Grenzen ist besser als eine Ukraine, die nicht freiheitlich und nicht unabhängig ist.
Hat Europa auch einen ökonomischen Vorteil von einer freien Ukraine?
Ich glaube, dass Freihandel und offene Grenze auf Dauer für beide Seiten immer positiv sind, weil dies Wettbewerb erzeugt und neue Märkte erschließt.
Ist es angesichts der sehr großen russischen Minderheit aus Sicht der Ukraine überhaupt sinnvoll, sich eng an die EU zu binden?
Die Mehrheit in der Ukraine will den Weg Richtung Europa gehen. Diese Frage wird nicht in Brüssel entschieden, auch Russland darf das nicht entscheiden - die Menschen in der Ukraine müssen das selbst entscheiden.
Die EU hat sich immer stark für die Freilassung von Julia Timoschenko eingesetzt. Jetzt ist sie frei, und sie will bei den Präsidentschaftswahlen kandidieren. Aber eigentlich ist Frau Timoschenko doch eine Figur von gestern. Welche Rolle kann sie künftig spielen?
Jeder spielt die Rolle, zu der er in der Lage ist. Die Frau ist 53 Jahre alt, da sollte man nicht von "gestern" sprechen.
Sie ist Oligarchin, sie gehört dem Establishment von gestern an.
Es ist das Establishment, das ins Gefängnis gesteckt wurde. Sie wurde in den 90er Jahren Oligarchin, aber es gibt keinen Vorwurf gegen sie, der rechtsstaatlich haltbar wäre. Ob sie mal eine falsche Politik betrieben hat, ist eine andere Frage. Sie hat sich aber stets auf der Seite der Freiheit engagiert, und das ist, glaube ich, entscheidend. Jeder muss bewertet werden nach dem Programm, das er jetzt anbietet. Das ist eine Entscheidung der ukrainischen Bevölkerung.
Mit Elmar Brok sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de