Merkel und Hollande sind empört Europa rebelliert gegen NSA-Spitzeleien
01.07.2013, 15:40 Uhr
"Big brother is listening": Die USA zieht den Zorn vieler Regierungen auf sich.
(Foto: REUTERS)
In der "alten Welt" sind die Regierungen wütend auf die USA: Dass nun auch Regierungen, Botschaften und EU-Institutionen von der NSA ausgespäht worden sein sollen, ist zu viel. Für Kanzlerin Merkel "geht das gar nicht". Und Frankreichs Präsident Hollande springt ihr mit ebenso deutlichen Worten bei.
In Washington muss sich die US-Regierung heftige Kritik aus Europa an den Abhörmethoden des Geheimdiensts NSA anhören. Nachdem bekannt wurde, dass auch diplomatische Vertretungen, EU-Einrichtungen und die Regierungen einzelner europäische Länder bespitzelt worden sind, lesen sowohl Kanzlerin Angela Merkel als auch Frankreichs Staatspräsident François Hollande dem transatlantischen Partner die Leviten. Hollande stellte sich mit deutlichen Worten gegen die Spionageaktivitäten: "Wir fordern, dass das sofort aufhört", sagte er. "Wir können ein solches Verhalten zwischen Partnern und Alliierten nicht akzeptieren." Die USA müssten Erklärungen abgeben.
Der Franzose stellte sich damit an die Seite der deutschen Regierungschefin, die bereits zuvor mit scharfer Kritik auf die neuesten Enthüllungen von Whistleblower Edward Snowden reagiert hatte. Über Regierungssprecher Steffen Seibert ließ sie ausrichten: "Abhören von Freunden, das ist inakzeptabel, das geht gar nicht, wir sind nicht mehr im Kalten Krieg." Die Bundesregierung habe der US-Regierung daher bereits am Wochenende ihr Befremden übermittelt und um Aufklärung der Vorwürfe gebeten. Die Kanzlerin und US-Präsident Barack Obama würden in absehbarer Zukunft über die Angelegenheit sprechen, sagte Seibert.
Das Auswärtige Amt lud nach Angaben eines Sprechers den US-Botschafter Philip Murphy in Berlin ein, um über das Thema zu sprechen. Bundesaußenminister Guido Westerwelle telefonierte mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton. Beide seien sich einig gewesen, "dass ein solches Vorgehen unter engen Partnern und Freunden nicht akzeptabel wäre", teilte das Amt mit.
Aus dem Umfeld Westerwelles verlautete, sollten sich die Berichte über die Ausspähung als korrekt herausstellen, sei die klare Erwartung, dass diese "umgehend eingestellt" werde. Innenminister Friedrich sagte "Focus Online", "wenn sich die Berichte als Tatsache herausstellen, ist das Vertrauensverhältnis zwischen der Europäischen Union und den USA belastet".
SPD sieht Souveränität verletzt
Auch SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück mischte sich in die Debatte ein. Er forderte von Merkel, der Öffentlichkeit deutlich zu sagen, was sie über den Umfang des Ausspähprogramms wusste. Ihr bisher defensiver Umgang mit den Informationen verursache einen schalen Beigeschmack, sagte Steinbrück. "Es könnte den Eindruck nähren, dass sie mehr weiß, als bisher bekannt geworden ist." Notfalls müsse der Beginn der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA verschoben werden. Er könne sich nicht vorstellen, zu verhandeln, wenn parallel wichtige EU-Gebäude abgehört würden, sagte Steinbrück.
Die SPD forderte zudem Konsequenzen für den Bundesnachrichtendienst. "Unsere Spionageabwehr muss auf ihre Effektivität überprüft werden, wenn es ausländischen Geheimdiensten ohne Mühe möglich ist, die Telefonate und E-Mails deutscher Bürger millionenfach abzufangen und auszuwerten", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, der "Frankfurter Rundschau". Offenbar gebe es auch in den USA "eine Geringschätzung der deutschen Nachrichtendienste". Dass sich die NSA deshalb quasi an deren Stelle gesetzt habe, um "eine Art Oberkontrolle in Deutschland einzuführen", widerspreche jedoch dem Grundsatz der Souveränität.
Ströbele: "Das ist ein unfreundlicher Akt"
Auch von den Grünen kommen empörte Stimmen. Hans-Christian Ströbele, Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums, sagte n-tv: "Das ist ein unfreundlicher Akt gegenüber Deutschland, das ist extrem rechtswidrig und möglicherweise sogar strafbar." Mit den neuen Informationen werden zudem widerlegt, dass es um den Kampf gegen die islamistischen Terroristen gehe, ergänzte Ströbele. "Es ist ja wohl nicht vorstellbar, dass man die im Kanzleramt sucht oder in EU-Vertretungen."
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin forderte unterdessen einen sicheren Aufenthaltsort für Snowden in Deutschland. Zugleich sprach er sich in der ARD dafür aus, die existierenden Abkommen mit den USA über den Austausch von Bankdaten sowie von Fluggastdaten seitens der Europäischen Union aufzukündigen. Auch über Freihandel werde man nur sprechen können, wenn klar sei, dass die Regeln eingehalten würden. So müsse das Betriebsgeheimnis gewahrt werden und dürfe nicht ausspioniert werden. "Die Amerikaner führen sich genauso auf, wie sie es den Chinesen vorwerfen", sagte Trittin.
Bosbach: "Grenze überschritten"
Die Linksfraktion fordert eine Sondersitzung des Bundestages gefordert. Fraktionschef Gregor Gysi schrieb an Bundestagspräsident Norbert Lammert, eine solche Sitzung solle noch in dieser Woche stattfinden. Die Bundesregierung müsse dann darlegen, in welchem Umfang ihr diese "einzigartige und umfassende Spionage gegenüber unserer gesamten Bevölkerung und unserer Wirtschaft bekannt war".
Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach sagte bei n-tv: "Dass die Amerikaner ein überragendes Interesse an der Terrorabwehr haben, das ist ja legitim, dabei unterstützen wir sie auch gerne. Aber wenn die ganze Kommunikation komplett abgefangen und gespeichert wird, ob sie sicherheitsrelevant ist oder nicht, dann wird genau die Grenze überschritten." Auch Bosbach forderte, dass die Abhörpraktiken eine Rolle in den Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen spielen müssen.
USA wollen beschwichtigen
"Das geht weiter als die Vorratsdatenspeicherung und ist ein schwerwiegender Eingriff in unsere Grundrechte", sagte der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Peter Schaar, den "Ruhr Nachrichten". "Die USA muss restlos aufklären." Es müsse genau geprüft werden, ob die Meldungen stimmten. "Es ist beunruhigend, dass die US-Seite die Meldung nicht von sich gewiesen hat, sondern sich gar nicht äußert."
Die USA boten inzwischen an, auf diplomatischem Weg zu den Berichten Stellung zu nehmen. Der oberste Chef der US-Geheimdienste, James Clapper, ließ über sein Büro erklären, die US-Regierung werde der Europäischen Union "angemessen über unsere diplomatischen Kanäle antworten". Klärung werde es auch in dem beidseitigen Experten-Dialog über die Geheimdienste geben, den die USA vor Wochen angekündigt haben.
"Wir werden diese Themen auch bilateral mit EU-Mitgliedsstaaten besprechen", so die Erklärung. "Während wir grundsätzlich bestimmte, mutmaßliche Geheimdienstaktivitäten nicht öffentlich kommentieren, haben wir klar gemacht, dass die USA ausländische Geheimdienstinformationen in der Weise sammeln, wie es alle Nationen tun."
Quelle: ntv.de, jog/AFP/dpa/rts/DJ