"Erst mal sacken lassen" Ex-Geiseln wieder daheim
21.07.2008, 17:36 UhrEinen Tag nach ihrer Freilassung aus der PKK-Geiselhaft sind die drei bayerischen Bergsteiger am Montagabend wohlbehalten zurück in Deutschland eingetroffen. Die vor knapp zwei Wochen verschleppten Männer landeten mit einer Lufthansa-Maschine aus Ankara kommend auf dem Münchner Flughafen, wo sie von ihren Familien und dem bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU) in Empfang genommen wurden. Einer der Verschleppten, der 33-jährige Lars Holger Reime, sagte in einer improvisierten Pressekonferenz am Flughafen, den Freigelassenen gehe es körperlich "relativ gut", psychisch müssten sie sich aber in den nächsten Tagen zunächst erholen. Deshalb wolle er keine Fragen beantworten. Die Zurückgekehrten müssten "das Ganze erst einmal ein bisschen sacken lassen".
"Wir haben die schwierige Zeit relativ gut überstanden", sagte Reime, der müde, aber in guter Verfassung wirkte. Er dankte den türkischen Behörden dafür, dass es zu keiner militärischen Konfrontation mit den Kidnappern gekommen sei. Es sei die größte Sorge der Verschleppten gewesen, in militärische Gefechte verwickelt zu werden. Angehörige der drei Verschleppten warteten bereits im Bus, der sie auf dem Rollfeld an der Maschine abholte. Die Begegnung mit ihren Familien im Flughafen-Terminal fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Leichte Missstimmung zwischen München und Berlin
Herrmann betonte die Rolle des Auswärtigen Amtes bei der Lösung der Krise und deutete erneut Spannungen mit der türkischen Seite an. Im schwierigen Spannungsfeld zwischen Entführern und türkischen Behörden habe das Ministerium ausgezeichnete Arbeit geleistet und durch direkten Kontakt in den Entführerkreis eine Lösung herbeigeführt. Erst auf Nachfrage dankte der CSU-Politiker auch der türkischen Seite.
Im Berliner Auswärtigen Amt war der von der bayerischen Regierung initiierte Empfang der Geiseln zuvor auf dem Flughafen auf Kritik gestoßen. Eigentlich sei es "gute Übung", den Opfern zunächst die Möglichkeit zu geben, die psychisch belastenden Ereignisse zu verarbeiten, sagte Sprecher Jens Plötner. Ziel sei es, sie "ein bisschen ruhiger in den Lebensalltag" einsteigen zu lassen. "Ich weiß nicht, ob und warum das aus anderer Warte jetzt anders praktiziert wird", fügte er hinzu. Das Auswärtige Amt dankte den türkischen Behörden für die vertrauensvolle Zusammenarbeit. Die türkischen Stellen hätten einen wichtigen Anteil am guten Ende der Geiselnahme, sagte Plötner.
BND zog offenbar die Fäden
Nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" ist die Freilassung der Geiseln offenbar nur durch den Einsatz des Bundesnachrichtendienstes (BND) erreicht worden. Da sich Türken und Kurden lange nicht auf einen Vermittler hätten einigen können, baute der BND dem Bericht zufolge eigene Kommunikationskanäle zu den Entführern auf. Eine BND-Delegation, die auf dem Weg zum Berg Ararat war, sei zwar von den türkischen Behörden gestoppt worden. Sie habe aber nach einer Intervention des Bundesaußenministeriums ihre Mission fortsetzen dürfen. Von Lösegeld sei während der gesamten Verhandlungen keine Rede gewesen.
Gäste der Regierung
Die Bergsteiger waren am 8. Juli von bewaffneten Rebellen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK auf dem Berg Ararat verschleppt und am Sonntag überraschend zurückgelassen worden. Die Männer verbrachten die Nacht nach ihrer Freilassung in einem Gästehaus der türkischen Regierung in Agri, wo sie von der deutschen Botschaft betreut wurden. Der Provinzgouverneur von Agri, Mehmet Cetin, ließ die Bergsteiger per Bus zum nächstgelegenen Flughafen in der Stadt Erzurum bringen, von wo aus sie nach Ankara flogen. Am Flughafen in Ankara wurden sie vom deutschen Botschafter Eckart Cuntz begrüßt.
Von Versteck zu Versteck
Fünf bewaffnete PKK-Angehörige hatten die Bergsteiger aus einem Camp am Berg Ararat in 3200 Metern Höhe verschleppt. Die insgesamt 13 Männer und Frauen der Gruppe wurden in der Nacht vor der Gipfelbesteigung des 5165 Meter hohen Berges überfallen. Nach Angaben der türkischen Zeitung "Sabah" mussten die drei Bayern mit ihren Entführern ständig das Versteck wechseln. Die PKK-Kämpfer hätten ihre Geiseln - aus Angst, von Sicherheitskräften entdeckt zu werden - gezwungen, mit ihnen immer wieder durch das Gebirge zu marschieren. Freigelassen worden seien sie am Sonntag schließlich auf einer Höhe von 2200 Metern, inmitten von Felsen.
Deutschland lehnt "Erpressung" ab
Die PKK hatte als Gegenleistung für eine Freilassung gefordert, dass Berlin seine "feindliche Politik" gegenüber der Bewegung und dem kurdischen Volk beenden müsse. Die Bundesregierung hatte erklärt, sie lasse sich nicht erpressen. Die PKK, die auch Militärlager im Nordirak unterhält, kämpft für einen eigenen Staat der Kurden oder zumindest ein Autonomiegebiet im Südosten der Türkei. Gouverneur Cetin beschrieb die deutsch-türkische Zusammenarbeit während der Geiselkrise in der Zeitung "Radikal" als "sehr gut". Die Zeitung "Vatan" mutmaßte, die Geiselnehmer hätten schließlich aufgegeben, weil die Armee das Gebiet erfolgreich umzingelt habe.
Allgemeines Aufatmen
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatten sich am Sonntag hoch erfreut über die Freilassung der Bergsteiger geäußert. Auf die Frage, ob Lösegeld oder ein politischer Preis gezahlt worden sei, sagte die Kanzlerin in der ARD lediglich: "Sie wissen, dass wir alles tun, um die Geiseln frei zu bekommen." Mehr gebe es nicht zu sagen. SPD-Chef Kurt Beck sagte, die Heimkehr der Männer sei "die erlösende Botschaft, auf die wir alle gehofft und gewartet haben". Die türkischen Behörden hatten erklärt, der Druck des Militärs habe die PKK gezwungen, die Geiseln auf freiem Feld zurückzulassen.
Quelle: ntv.de