
Einen Baum pflanzte Habeck in Belo Horizonte auch.
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Gemeinsam bereisen Wirtschaftsminister Habeck und Agrarminister Özdemir Brasilien. Sie wollen der Lula-Demokratie die Hand ausstrecken, Klimaschutz und Geschäfte sollen zueinander finden. Doch das Vorhaben ist alles andere als ein Selbstläufer.
Das freundliche Gesicht des Kapitalismus steigt an einem schwülwarmen Sonntagmorgen aus dem deutschen Regierungsflieger und betritt vierfüßig das Flugfeld von Belo Horizonte. Robert Habeck und Cem Özdemir sind in Brasilien gelandet zu einem ambitionierten Doppelbesuch in einem Schlüsselland der deutschen Regierungsstrategie. Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Habeck sowie sein Parteifreund, Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir, sind gekommen, um neue Partnerschaften zu schmieden - bei der globalen Energiewende hin zu grünem Wasserstoff, in der Landwirtschaft und der Ausbeutung von Bodenschätzen, aber auch in der Geopolitik, damit Deutschland nicht unter die Räder gerät, weil autoritäre Staaten wie China und andere immer mehr Boden gut machen aufs kleine Europa. Und dann wäre da noch der Amazonas-Regenwald: Den wollen Habeck und Özdemir natürlich auch retten.
Was die deutschen Minister im Gegenzug anzubieten haben? Handelsbeziehungen auf Augenhöhe, gemeinsame Interessen sowie ideelle Verbundenheit zwischen liberalen Demokratien nach der Rückkehr des brasilianischen Präsidenten Lula da Silva an die Macht. Geht es nach Habeck und der Ampel-Regierung, soll das möglichst schnell - vielleicht noch 2023 - in ein Handelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay münden.

Beim Treffen mit Romeu Zema, dem Gouverneur des Bundesstaats Minas Gerais, dessen Hauptstadt Belo Horizonte ist.
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Weil die lateinamerikanische Wirtschaftssupermacht Brasilien tonangebend ist in der mehr schlecht als recht funktionierenden Zollunion Mercosur, führt auch gar kein Weg vorbei am linken Staatschef Lula, der dem westeuropäischen Konzept liberaler Demokratien unendlich viel näher steht als sein rechtsradikaler Vorgänger Jair Bolsonaro. Die Bundesregierung sieht in seiner Wahl ein Gelegenheitsfenster, weshalb vor den beiden Grünen-Ministern auch schon Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Umweltministerin Steffi Lemke hier waren.
Brasilien öffnet sich, aber langsam
Lula habe signalisiert, dass er das Mercosur-Abkommen mit der Europäischen Union wolle, sagte Habeck vor dem Abflug in Berlin, und zwar am liebsten noch im ersten Halbjahr 2023. "Das scheint mir sehr ambitioniert." Brasilien schreibt zum Schutz der eigenen Wirtschaft Protektionismus seit jeher groß: Auch die neue linke Regierung will Einfuhrzölle, strenge Anforderungen an ausländische Unternehmen, Teile lokal zu produzieren, und andere Marktzugangshürden nicht vollständig schleifen. Im Gegenteil: Lulas Regierung will vor einer Ratifizierung des Vertrags mit der EU noch Zusatzvereinbarungen hinzufügen.
Sogenannte level-playing-field-Vorschriften, die Unternehmen beider Vertragsseiten vollen Marktzugang gewähren, sind traditionell das Herzstück von Freihandelsabkommen. Ausgerechnet die will die Regierung in Brasilia für europäische Unternehmen einschränken. Habeck ist dafür offen: "Ich glaube, dass es eine kluge Idee ist, nicht die reine marktwirtschaftliche Lehre durchzuziehen, sondern - wie das Cem Özdemir gesagt hat - quasi der freundlichere Handelspartner zu sein." Das ist die Grundformel, mit der die Ampel-Minister Deutschland und Europa Zugang verschaffen wollen zu den riesigen Rohstoffvorkommen und landwirtschaftlichen Potenzialen Brasiliens. In Chile, so Habeck, habe die EU auf deutsche Initiative auch auf eine europäische Beteiligung an der Lithium-Ausbeutung verzichtet. Im Gegenzug sei das Freihandelsabkommen zustande gekommen und die EU habe Zugriff erhalten auf den für die Batterieproduktion so wichtigen Rohstoff.
Protest von Umweltschützern und Bauern
Das Handelsabkommen genauer abzustecken, ist auch in deutschem Interesse: Im Gegenzug könnte die EU verbindliche Zusagen von Brasilien zur Durchsetzung seiner Regenwaldschutz-Gesetze erhalten. Ohne hohe Umwelt- und Klimaschutzstandards wird es insbesondere den grünen Ministern schwerfallen, das Abkommen mit den Mercosur-Staaten in Deutschland durchzubekommen. Längst formiert sich entschiedener Widerstand bei den einst so wichtigen Verbündeten der Grünen: Umweltschutzorganisationen und die ökologischen Landwirtschaftsverbände laufen Sturm gegen das Abkommen.
"Wir möchten keine Abholzung mehr im Amazonas", sagt Lulas Vize-Präsident Gerardo Alckmin. Trotzdem scheint die Bereitschaft, sich von Deutschland Vorgaben zum Regenwaldschutz machen zu lassen, begrenzt. "Wir glauben, dass es nur noch um kleine Punkte geht in dem Abkommen", sagt Alckmin.
"Das geplante EU-Mercosur-Abkommen trieft vor Doppelmoral: In Berlin spricht die Bundesregierung viel davon, die Klima- und Artenkrise zu bekämpfen. In Südamerika aber will sie ein Handelsabkommen abschließen, das klima- und naturschädliche Produkte wie Rindfleisch, Pestizide und Verbrenner fördert. Das passt nicht zusammen", befindet etwa Lis Cunha, Handelsexpertin von Greenpeace. Brasilianische Greenpeace-Aktivisten begrüßten die deutschen Regierungsvertreter am Montag zur Eröffnung der 39. deutsch-brasilianischen Wirtschaftstage mit einem Banner: "Habeck und Özdemir, stoppt den neokolonialen Giftvertrag!"
Kritik kommt aber auch von ganz anderer Seite: den konventionellen deutschen Landwirten. Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, sieht in den Abkommen "eine große Bedrohung für die deutsche und europäische Landwirtschaft". Die Sorge ist groß, dass brasilianische Agrarprodukte den europäischen Markt fluten, weil die von weniger Tier- und Umweltschutzauflagen belasteten Landwirte Brasiliens schlicht günstiger produzieren.
Wie groß diese Gefahr wirklich ist, ist umstritten. Das unabhängige Thünen-Institut kam Ende 2020 in einer Studie zu dem Schluss, "dass das Handelsabkommen zwischen der EU und den Ländern des Mercosur nicht zu einer 'Überschwemmung' der Agrar- und Ernährungsmärkte in der EU führen wird". Die erlaubten Einfuhrquoten für Fleisch- und Milchprodukte, auf die ein deutlich reduzierter Zoll anfällt, seien schlicht zu gering.
Exporteur grünen Wasserstoffs
Den Spagat wird insbesondere Cem Özdemir gehen müssen: dem grünen Lager und den Landwirten vermitteln, dass der Effekt des Handelsabkommens zu gering ist, um der brasilianischen Umwelt und Europas Landwirten zu schaden, das Abkommen aber dennoch kommen muss. Der Agrarminister verweist aufs große Ganze: "Es liegt auch im Interesse der deutschen Landwirtschaft, dass auf diesem Planeten die Regierungen gestärkt werden, die an Nachhaltigkeit glauben, die daran glauben, dass man alles tun muss, um die Klimakrise halbwegs beherrschbar zu machen, die daran glauben, dass liberale Demokratien gestärkt werden müssen."
Gerade bei der Energiewende ist Brasilien interessant: Das Land setzt auf Erneuerbare Energien, versorgt sich jetzt schon überwiegend über Wasserkraft und rasant wachsenden Solar- und Windstrom. Ethanol als Nebenprodukt der Zuckerproduktion werden ebenfalls große Aussichten zugeschrieben, damit Brasilien absehbar zu einem großen Exporteur von grünem Wasserstoff aufsteigen kann. Schon jetzt zieht das Land europäische Schwerindustrie wie Stahlhersteller an, weil in Brasilien absehbar günstig grün produziert werden kann. Das Mercosur-Abkommen könnte diese Entwicklung beschleunigen.
Präsident Lula machte Ende Januar deutlich, dass er schnellstmöglich eine Einigung mit der EU will, bevor Mercosur sich einem Abkommen mit China zuwenden soll. Peking steht längst bereit, in Lateinamerika zu übernehmen. Das Land ist wichtigster Handelspartner Brasiliens, und der Appetit auf brasilianische Rohstoffe Aluminium, Eisen, Kupfer, Gold, Mangan, Nickel und andere Mineralien ist ebenso groß wie auf die landwirtschaftlichen Potenziale. Das Land, in dem in manchen Regionen bis zu drei Mal im Jahr geerntet werden kann, erwirtschaftet 40 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts im Agrarsektor.
Am Dienstag in den Regenwald
Europa täte in diesem Sinne gut daran, China zuvorzukommen, auch um die von der Ampel forcierte Diversifizierung der deutschen Wirtschaftsbeziehungen voranzubringen. Doch das zu bohrende Brett ist dick: In Ländern wie Frankreich und Österreich haben die Interessenverbände der Landwirtschaft ihre Bedenken an höchster Stelle platziert. Hinzukommt, dass der von Berlin vorgeschlagene Ansatz freundlicherer Freihandelsabkommen, die den Schwächeren nicht benachteiligen, so noch nicht von der EU-Kommission übernommen wurde.
Es sei "eine Chance, aber auch eine Verpflichtung", das Freihandelsabkommen endlich umzusetzen, sagt Habeck zur Eröffnung der deutsch-brasilianischen Wirtschaftstage. "Der Sinn von Wirtschaftswachstum ist ja nicht, dass die Unternehmen reicher werden, sondern dass die Menschen reicher werden, und das schließt soziale und ökologische Fragen mit ein", erläutert Habeck seine Vorstellung vom fairen Freihandel. Er will diese Vorstellungen auch in der Hauptstadt Brasilia platzieren, wo er am Montag noch hintereinander Außenminister Mauro Vieira, Umwelt- und Klimaministerin Marina Silva und Energieminister Alexandre Silveira trifft.
Am Dienstagmorgen dann fahren Habeck und Özdemir in den Regenwald, um ein Entwicklungsprojekt zu besichtigen. Außenhandel und Klimaschutz Hand in Hand: Diese Bilder sollen ausgehen von der Reise beider Minister. Weil aber der Regenwald seinen Namen nicht zufällig hat, könnte ausgerechnet dieser Termin laut Wettervorhersagen ins Wasser fallen. Es ist eben eine Reise voller Risiken.
Quelle: ntv.de