Merkel kämpft an allen Fronten Fiskalpakt braucht viele Freunde
24.05.2012, 19:24 Uhr
Angela Merkel muss sowohl im eigenen Land wie auch mit den europäischen Partnern einen Konsens finden.
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Der Fiskalpakt ist ein Mammut-Projekt. Um ihn durchzusetzen, kämpft Kanzlerin Merkel an verschiedenen Fronten: mit Widersachern in Europa, mit der Opposition im Bundestag und mit den Bundesländern. In Deutschland ist die Frage entscheidend, wer die Lasten der Einsparungen tragen muss. Die Länder haben noch Verhandlungsbedarf.

Im Kanzleramt trafen sich die Spitzen von Regierung und Opposition.
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Die in der Euro-Schuldenkrise zunehmend isolierte Kanzlerin Angela Merkel kommt zu Hause beim Kampf um den Fiskalpakt voran. Überraschend ist ein gemeinsames Ja von Regierung, SPD und Grünen in greifbare Nähe gerückt. Bei einem Spitzentreffen im Kanzleramt knüpfte Rot-Grün am Donnerstag seine Zustimmung zum Fiskalpakt und zum dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM noch vor der Sommerpause an Wachstums- und Investitionsimpulse für Euro-Krisenländer. Merkel verfolgt ein ähnliches Ziel. In Europas Hauptstädten werden gleichzeitig immer konkreter Vorkehrungen für ein Euro-Aus Griechenlands getroffen.
Ein weiterer Krisengipfel in Brüssel blieb dagegen ohne greifbare Ergebnisse. Die Sorge ist jedoch groß: Die EU-Staats- und Regierungschefs fürchten bei einem Wahlsieg radikaler Parteien in Griechenland um den Bestand des Euro. Gefährdet ist nicht nur die Stabilität Griechenlands, sondern auch die Zukunft der gesamten Währungsunion - das war Teilnehmern zufolge eine Schlussfolgerung des EU-Gipfels. In der offiziellen Abschlusserklärung war von diesem Szenario allerdings keine Rede.
Ob Deutschland den Fiskalpakt und ESM Ende Juni billigen kann, soll sich bei einem weiteren Gipfel im Kanzleramt am 13. Juni entscheiden. SPD-Chef Sigmar Gabriel meinte, Kanzlerin Angela Merkel habe sich bewegt: "Die Regierung hat ihre Blockade gegen einen zusätzlichen Wachstums- und Investitionspakt aufgegeben." Merkel müsse dies nun auf europäischer Ebene durchsetzen. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin forderte von Merkel, einen Konsens mit Frankreich, Spanien und Italien zu erreichen.
Die Ratifizierung in Irland und Griechenland steht noch in Frage
Der Anfang März unterzeichnete Pakt von 25 der 27 EU-Staaten schreibt strengere Haushaltsregeln und Schuldenabbau vor. Bis 2020 sollen alle Haushalte von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen ohne Neuverschuldung auskommen. Den Fiskalpakt haben 25 der 27 EU-Staaten miteinander geschlossen. Damit er wirksam wird, muss er zumindest in allen 17 Euro-Staaten in Kraft treten. In Irland wird es dazu am 31. Mai eine Volksabstimmung geben. Keine der großen politischen Parteien in Irland wirbt für eine Ablehnung des Paktes. In Griechenland wird am 17. Juni gewählt. Extreme Parteien drohen damit, das mit internationalen Geldgebern verhandelte Spar- und Reformprogramm aufzukündigen.
Mit dem am 2. März in Brüsselunterschriebenen Vertrag verpflichten sich die Unterzeichnerländer, striktere Haushaltsdisziplinzu befolgen als bisher vereinbart. So darf das strukturelle Defizit fortan die Grenzevon 0,5 Prozent des BIP nicht überschreiten - anstatt wie nach EU-Recht bislang1,0 Prozent.
Die Unterzeichner sollennach dem Vorbild Deutschlands eine verpflichtende Schuldenbremse im nationalen Rechtverankern.
Im Fall eines Verstoßesgegen die Regeln werden automatisch Strafverfahren ausgelöst, die nur durch ausdrücklichesMehrheitsvotum der Unterzeichnerstaaten gestoppt werden können. Verankert ein Landdie Schuldenbremse nicht im nationalen Recht, droht eine Klage vor dem EuropäischenGerichtshof und die Zahlung einer Geldbuße von bis zu 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung.
Nur wer den Fiskalpakt einhält,soll Hilfszahlungen aus dem ESM bekommen können. Kern der Unterzeichner-Länder sinddie 17 Euro-Staaten, hinzu kommen acht Nicht-Euro-Länder. Großbritannien und Tschechienbeteiligen sich bislang nicht.
Zur Umsetzung in Deutschland braucht die Koalition eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und im Bundesrat - und damit Stimmen der Opposition. Die Länderkammer kommt am 6. Juli zur letzten Sitzung vor dem Sommer zusammen. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) pochte darauf, dass über Fiskalpakt und ESM gemeinsam abgestimmt werden müsse. Bis zum 13. Juni würden unter anderem verfassungsrechtliche Probleme sowie die konkrete Ausgestaltung einer Wachstumsstrategie für Europa geklärt. Dann könnte der Bundestag noch in der letzten Sitzungswoche Ende Juni entscheiden. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier unterstrich, bei den europäischen Regeln für mehr Haushaltsdisziplin müssten die Rechte des Bundestages und der Länder gewahrt bleiben. Zudem müsse Merkel Fortschritte zur Einführung einer Börsensteuer zur Beteiligung der Banken an den Krisenkosten vorweisen.
Grünen-Chef Cem Özdemir sagte: "Es gibt keinen Blankoscheck." Die Grünen würden sich aber im Interesse Europas verantwortungsvoll verhalten. "Die EU braucht dringend eine politische Union neben einer gemeinsamen Währung." Sollte es eine Einigung mit Schwarz-Gelb noch vor der Sommerpause geben, würden die Grünen auf einen Sonderparteitag verzichten.
Auch die Bundesländer müssen zustimmen - und sind skeptisch
Vor den Beratungen mit der Opposition hatte die Regierung mit Vertretern der Länder verhandelt. Dabei geht es um die Frage, wie die Lasten der Einsparungen zwischen Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen aufgeteilt werden. Dabei zeichnet sich keine rasche Einigung ab. Während Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und unionsgeführte Länder Fortschritte sehen und eine Verständigung vor der Sommerpause erwarten, bleiben die SPD-Länder skeptisch. Der hessische Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) rechnet mit einer Bund-Länder-Einigung zur Ratifizierung des Fiskalpaktes noch bis zum 1. Juli. Dies sei "sehr, sehr gut möglich". Die Vorbereitungen seien sehr weit gediehen. Es gebe nur noch wenige offene Fragen. Schäfer warnte vor einer Überfrachtung der Verhandlungen.
Der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Norbert Walter-Borjans (SPD), bleibt zurückhaltender. Er habe eine gewisse Skepsis, dass die offenen Fragen in kurzer Zeit geklärt werden könnten. Es handele sich um eine höchst ambitionierte Regel, und es gebe noch zahlreiche Unwägbarkeiten. Es dürfe keine weiteren, unzumutbaren Verschärfungen über die nationale Schuldenbremse hinaus geben. Nötig sei etwa eine Zusage, dass Länder nicht zusätzlich zu Sanktionen gezwungen werden können. "Damit stellt sich die Frage: Wenn das passiert, wer zahlt?", sagte Walter-Borjans. Auch müsse die Frage beantwortet werden, wie nach 2020 mit Kommunal-Defiziten umgegangen werde.
Die Länder warnen, der Pakt greife weitreichend in die deutsche Finanzverfassung ein. Mit dem europäischen Fiskalpakt kommen auf die Länder schärfere Haushaltsvorgaben zu. Bund und Länder sollen verpflichtet werden, für die Haushaltsjahre ab 2014 Obergrenzen für die Kreditaufnahme sowie konkrete Pläne für den Abbau ihres "Strukturdefizits" in gleichmäßigen Jahres-Schritten vorzulegen.
Quelle: ntv.de, che/dpa