Korrupte Ärzte Flecken auf der weißen Weste
15.08.2012, 11:49 Uhr
Nicht sauber und nicht rein: Wenn das liebe Geld lockt, geraten berufsrechtliche Verbote oft ins Hintertreffen.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Bestechung und Betrug, Fangprämien und Falschabrechnung: Immer mehr Skandale überschatten den deutschen Gesundheitssektor. Kann ein System, das sich selbst kontrolliert, Korruption ausmerzen? Nein, sagt Transparency International und fordert, Ärztefunktionäre zu entmachten, um Staat und Krankenkassen mehr Kontrolle zu ermöglichen.
Man stelle sich folgenden Fall vor: Eine Patientin sucht wegen Rückenschmerzen ihren Hausarzt auf, der kann die Symptome nur mit Schmerzmitteln lindern, deshalb überweist er die Kranke an einen Orthopäden. Eigentlich sollte er den geeignetsten Spezialisten im Umkreis empfehlen. Doch medizinische Argumente sind für den Hausarzt zweitrangig. Er entscheidet sich für jenen Kollegen, der ihm dafür einen Bonus aufs Konto überweist.
Was gebrechliche alte Damen dem Arzt ihres Vertrauens nie unterstellen würden, ist gängige Praxis. Fangprämien oder kleine Gefälligkeiten sind zumindest bei niedergelassenen Ärzten keine Seltenheit. Im Gegenteil, sie werden sogar als normal erachtet. Welches Ausmaß die Kungelei zwischen Medizinern, Pharmaberatern oder Kliniken annimmt, belegte jüngst wieder eine Studie der gesetzlichen Krankenkassen: Der GKV-Spitzenverband, das oberste Beschlussgremium aller Krankenkassen, befragte rund 1100 niedergelassene Ärzte, ihre leitenden Angestellten sowie nichtärztliche Leistungserbringer zu dem Thema. Das Ergebnis schockiert: Fast 50 Prozent der Befragten finden nichts Verwerfliches daran, wenn Weiterempfehlungen mit wirtschaftlichen Vorteilen einhergehen.
Die Selbsteinschätzung der Branche zeigt, dass jeder fünfte Arzt die berufsrechtlichen Verbote nicht kennt und zugleich Zuweisungen gegen Geld als selbstverständlich erachtet. "Das ist das ein Skandal", sagt Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbands. Hochgerechnet hieße das, dass über 27.000 niedergelassene Vertragsärzte schon heute gegen das Berufsrecht verstoßen. Fände hier das Strafrecht Anwendung, wäre klar, welches Korruptionspotenzial im deutschen Gesundheitswesen besteht.
Lücken im System
Folgen hat die Kungelei auf dem Gesundheitsmarkt nicht, auch nicht wenn die Prämien aus der Industrie kommen. Ein Exempel statuierte vor wenigen Wochen erst wieder der Bundesgerichtshof (BGH). Im konkreten Fall kassierte ein Kassenarzt eine stattliche Prämie von einer Pharmareferentin, weil er Medikamente eines bestimmten Unternehmens verschrieb.
Der BGH urteilte in seiner Grundsatzentscheidung, dass der Mediziner strafrechtlich nicht verfolgt werden könne. Bestechungsparagraf 299 des Strafgesetzbuchs ist auf freiberufliche Ärzte nicht anwendbar. Bestochen werden können demnach nur Angestellte oder Beauftragte eines geschäftlichen Betriebes. Der Arzt kam mit einer Verwarnung davon – viele Mediziner sahen sich in ihrer Einstellung bestätigt.
Lücken wie diese gibt es im System zuhauf. Der Geburtsfehler liegt bei Bismarck: Seinerzeit wurde das Gesundheitswesen auf öffentlich-rechtliche Körperschaften übertragen. Beim Bund liegt zwar heute die Rechtsaufsicht. Fachlich überprüft wird die Branche aber von Ärztefunktionären, den Bundes- und Landesärztekammern.
"Aus dem Ruder gelaufen"
Die Demokratiewächter von Transparency International (TI) prangern das seit Jahren an. "Das System ist aus dem Ruder gelaufen, es entzieht sich der Kontrolle", sagt TI-Gesundheitsexpertin Anke Martiny. Ärztekammern, die das Ethos und die Fortbildung vertreten sollten, machen vor allem Standesrecht. Dabei ist die Bundesärztekammer nur ein Verein, den die Politik eigentlich locker kontrollieren und anweisen könnte. Die kassenärztlichen Vereinigungen machen laut Martiny keinen Gebrauch von den Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten. Es findet vor allem Klientelpolitik statt, von der Funktionäre und Mediziner profitieren. Die Patienten aber bleiben oft auf der Strecke.
Belege dafür sind derzeit zahlreich zu finden: In der Diskussion um den Organspendeskandal gehen Experten davon aus, dass die angeklagten Transplanteure aus Regensburg und Göttingen nicht die einzigen schwarzen Schafe sind. Die Ärzte hatten Patientenakten offenbar systematisch und mutmaßlich gefälscht, um schneller an Spendernieren zu gelangen – allein am Uniklinikum Göttingen soll dies in über zwanzig Fällen geschehen sein. Ob und in welcher Höhe Bestechungsgelder geflossen sind, wird noch geprüft.
Betrug auch in der Forschung
Auch in der medizinischen Forschung häufen sich die Betrugsfälle. Aktuell beschäftigt die Wissenschaft der Fall des früheren Chefarztes vom Klinikum Ludwigshafen. In mindestens zehn wissenschaftlichen Arbeiten des Narkosearztes wurden falsche Angaben entdeckt. Ebenfalls kein Einzelfall. Auch an der Charité mehrten sich in den letzten Jahren Verdachtsfälle auf Wissenschaftsbetrug. Vergangenen Sommer wurde bekannt, dass ein Doktorand Daten zur potenziellen Schädlichkeit von Handystrahlung manipuliert haben soll.
Dass das deutsche Gesundheitssystem außer Kontrolle geraten ist, liegt vor allem an seiner Ökonomisierung. "Es findet eher ein Ausbau des Gesundheitsmarktes als die Reform eines sozialen Systems statt", sagt Martiny. In Krankenhäusern rückt der Profit immer mehr in den Fokus. Medizinische Versorgungszentren fungieren als Portalkliniken von Aktiengesellschaften. Private Kliniken zahlen Prämien an leitende Oberärzte, wenn sie ein Mindestsoll an Operationen schaffen. Die Zahl der verordneten Medikamente ist in den letzten Jahren stark angewachsen - ebenso wie die abgerechneten Leistungen bei Krankenkassen.
"Patienten und Versicherte, die das Ganze mit Beiträgen finanzieren, können nicht mehr sicher sein, dass das, was mit ihnen geschieht, zu ihrem Besten ist", sagt Martiny. "Sie müssen befürchten, dass Ärzte, Kliniken oder Apotheken davon profitieren."
Ein Abrechnungsskandal jagt den anderen
Zahlreiche von Ärzten unterstützte Abrechnungsskandale konnten in den vergangenen Monaten nachgewiesen werden. Neben Kliniken gerieten erstaunlich oft Mediziner von Versorgungszentren in Verdacht, systematisch betrogen zu haben, um mehr Geld von den Kassen abzuzwacken. Nach Schätzungen des Bundesrechnungshofs entsteht den Beitragszahlern dadurch ein Schaden von rund 875 Millionen Euro aus. Der GKV-Spitzenverband schätzt die Ausfälle sogar auf 1,5 Milliarden Euro.
"Wir brauchen hier einen Datenabgleich, damit die Krankenkassen Korruption schneller aufdecken können", sagt Martiny. Kassen müssten dies viel stärker prüfen, zumal sie ein Interesse daran haben, Kosten zu sparen. Dies funktioniere in der Praxis aber selten so wie es sollte, weil Prüfer schwer an Informationen kommen. "Man redet sich mit Datenschutz heraus", sagt Martiny. Sie fordert mehr Transparenz.
Bereits seit 2004 ist die stärkere Kontrolle gesetzlich geregelt. Seither verfügen auch alle großen Kassen über Missbrauchsbekämpfungsstellen. Unter anderem untersuchen sie in Kliniken und Praxen – mit dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MdK) – ob fehlerhaft abgerechnet wurde. 2011 war jede zweite geprüfte Abrechnung falsch. Dass hier trotzdem David gegen Goliath kämpft, zeigen Details der gesetzlichen Bestimmungen. Wenn die Fahnder Betrug nicht nachweisen können, müssen sie der Klinik eine Entschädigung zahlen. Die Kassen aber bekommen umgekehrt keine Entschädigung. Der Anreiz zum Betrügen bleibt.
Quelle: ntv.de