Merkel soll sich von Kohl distanzieren Gabriel reitet Angriff um Angriff
24.09.2009, 20:43 Uhr
Gabriel spricht am 06. Juni 2009 im Bundesamt für Strahlenschutz in Salzgitter vor Besuchern, im Hintergrund ein Gorleben-Protestplakat.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) befeuert seinen Anti-Atomwahlkampf im Endspurt erneut mit dem Thema Gorleben. Die Standort-Frage rund um den niedersächsischen Salzstock sei schon früh von der früheren Regierung unter CDU-Kanzler Helmut Kohl im Jahr 1983 politisch beeinflusst worden, stellte Gabriel im Dauerstreit mit Kanzleramtschef Thomas de Maizière (CDU) fest. Damit untermauerte er seine Forderung, anstelle von Gorleben nach alternativen Endlagern in Deutschland suchen zu lassen.
"Die Überprüfung der bislang durchgesehenen Akten ergibt ein klares Ergebnis. Die damalige Bundesregierung hat politisch Einfluss zur weiteren Erkundung des Standortes Gorleben genommen." Deshalb gebe es keinen Grund, den Bericht der Regierungs-Arbeitsgruppe "auf den Zeitpunkt nach der Bundestagswahl zu verschieben", erklärte er. Er veröffentlichte deshalb vorab einen eigenen Berichtsentwurf.
In dem Papier heißt es, das Kanzleramt und das für Atomkraft damals zuständige Innenministerium hätten am 11. Mai 1983 verlangt, "auf die Forderung nach Erkundung anderer Standorte zu verzichten". Gut zwei Monate später habe das Kabinett am 13. Juli beschlossen, entgegen den Gutachter-Vorschlägen "keine alternative Standorterkundung" in Deutschland vorzusehen. Der Vorsitzende der niedersächsischen Grünen-Fraktion, Stefan Wenzel, bekräftigte die Forderung, Gorleben aufzugeben. "Das Fundament für diesen Endlager-Standort wurde auf Lug und Betrug gebaut."
Kanzleramt wiegelt ab
Regierungssprecher Ulrich Wilhelm hatte im Unterschied zu Gabriel am Vortag erklärt, beim Aktenstudium seien damals unter der Regierung Kohl keine "unsachgemäßen" Entscheidungen in Sachen Gorleben aufgefallen. Die vom Kanzleramt eingesetzte und geführte interministerielle Arbeitsgruppe müsse aber die Vorgänge aus dem Jahr 1983 über den Wahltag am kommenden Sonntag hinaus unter die Lupe nehmen. Zur Begründung führte er dabei umfassende Akten aus alten Archiven und Verzögerungen durch das Umweltministerium an.
Das sei "an den Haaren herbeigezogen", antwortete Gabriel. "Erst konnte es dem Kanzleramt nicht schnell genug gehen, dann verlor es plötzlich sein Interesse an rascher Aufklärung. Offenbar hat man dort gemerkt, dass die Akten nicht das hergeben, was man sich davon versprochen hat." Kanzlerin Merkel sollte sich von Kohl und seinem Regierungshandeln in Sachen Gorleben distanzieren.
Brisanter Leitfaden aufgetaucht
Zum Schluss eines intensiven Atomwahlkampfes mit den Themen Gorleben und Asse sowie der Pannenserie im Kernkraftwerk Krümmel sorgt ein Strategiepapier der Berliner Politikberatung PRGS für weitere Aufregung. In dem 109-seitigen Leitfaden von PRGS - angeblich im Auftrag der Eon-Tochter Kraftwerke GmbH erstellt - wird wie in einem Drehbuch beschrieben, wie die Energiewirtschaft Politiker und Journalisten - einige werden namentlich parteipolitisch eingeordnet - auf Atomkraft-Linie bringen könnte.
Die Eon-Tochter dementierte: "Ein solches Konzept haben wir nicht in Auftrag gegeben. Wir wollten Ideen zur Öffentlichkeitsarbeit, aber kein komplettes Handlungskonzept", sagte Unternehmenssprecherin Petra Uhlmann. PRGS-Geschäftsführer Torsten Hofmann erklärte, es habe sich nur um eine Bewerbungsarbeit gehandelt. "Es ist ein übliches Verfahren, mit solchen Arbeiten weitere Aufträge zu bekommen."
"Das ist mehr als dreist", empörte sich die Vizevorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Bärbel Höhn. "Eon und andere Atomkonzerne müssen jetzt die Karten auf den Tisch legen, ob sie heimlich versuchen, die öffentliche Meinung zu manipulieren. Insgesamt lässt die Strategie den Schluss zu, dass Union und FDP in energiepolitischen Fragen von den Stromkonzernen ferngesteuert werden. Die vorgeschlagenen Formulierungen und Argumente finden sich häufig eins zu eins bei den entsprechenden Politikern wieder." Sie forderte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und FDP-Chef Guido Westerwelle auf, "sich umgehend von dieser Form der Wählertäuschung zu distanzieren".
Quelle: ntv.de, dpa