Philosophieren über die Energiewende Gauck warnt vor Planwirtschaft
05.06.2012, 17:52 Uhr
Der Netzausbau ist eine der größten Herausforderungen der Energiewende.
(Foto: picture alliance / dpa)
Deutschland soll sich in ein Sonnen- und Windstromland verwandeln und dabei wirtschaftlich wachsen. Nur wie, ist noch nicht ganz klar. Die "Woche der Umwelt" des Bundespräsidenten soll nun Wege aufzeigen. Vorerst sorgt das Thema Energiewende aber erst einmal wieder für Streit.
Die Energiewende ist nur ein Ansatz auf dem Weg zu einer Abkehr vom Leben auf Pump, auf Kosten von Natur und Rohstoffen. "Grünes Wachstum" lautet das Zauberwort. Deutschland könnte hier ganz vorne mitspielen. Bis Mittwoch ist im Park von Schloss Bellevue auf Einladung von Bundespräsident Joachim Gauck bei der "Woche der Umwelt" die ganze kreative Palette der Umweltpolitik zu sehen.

Der neue Umweltminister Altmeier soll die Energiewende voranbringen. Bundespräsident warnt dabei vor zu viel staatlicher Einflussnahme.
(Foto: dapd)
Während Deutschland zum Sonnen- und Windstromland werden will und schon fast 65 Prozent seines Hausmülls wiederverwertet, wird in vielen Staaten hemmungslos weiter auf Kosten von Ressourcen und Umwelt gelebt. Martin Faulstich, Vorsitzender des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU), zeigt eine Übersicht an Grafiken: Der Verbrauch fossiler Rohstoffe wie Öl, Gas und Kohle, der CO2-Ausstoß, der Güter-, Luft- und Schiffsverkehr: Alle Kurven zeigen steil nach oben. "Ein Absinken ist leider fast nirgends auszumachen." Die vom Club of Rome einst beschworenen Grenzen des Wachstums rücken näher.
Der SRU hat zu seinem 40-jährigen Bestehen ein 716 Seiten dickes Werk vorgelegt, in dem Vorschläge zum Umsteuern gemacht werden. "In einer begrenzten Welt kann es kein unbegrenztes Wachstum geben", sagt Faulstich. Das Beratergremium der Bundesregierung betont, es müsse künftig um eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch gehen. Bereits in den 70er Jahren machte der SRU Vorschläge zum Recycling von Dosen - einige ihrer neuesten Ideen muten aber auch etwas utopisch an. Etwa eine Elektrifizierung von Autobahnen für Lkw, um deren hohen Co2-Ausstoß massiv zu senken.
Deutsche werfen im Schnitt 80 Kilo Lebensmittel weg
In den Fokus nimmt der SRU aber auch die Folgen des Konsums. Laut einer Studie wirft jeder Bundesbürger im Schnitt knapp 82 Kilo Lebensmittel im Jahr weg. "Der hohe Konsum tierischer Produkte in Deutschland, welche je "Kalorie" deutlich mehr Fläche als pflanzliche Produkte beanspruchen, ist im Hinblick auf die wachsende Weltbevölkerung und die gravierenden Umweltfolgen einer intensiven Landwirtschaft nicht global verallgemeinerungsfähig", wird vom SRU betont. Um den Fleischkonsum zu drosseln, wird ein Aus für den reduzierten Mehrwertsteuersatzes von sieben Prozent gefordert.
Faulstich will den Eindruck vermeiden, er wettere gegen Wachstum. Aber dieses müsse nachhaltiger sein. Die Energiewende kann zum Exportschlager werden, sicherlich. Aber besonders deutlich zeigt sich das Potenzial grünen Wachstums beim Recycling von Rohstoffen, der Zweig macht in Deutschland schon 50 Milliarden Euro Umsatz. Der SRU fordert ein Handy- und Computerpfand, damit wertvolle Metalle in kaputten Geräten nicht mehr verbrannt oder verschrottet, sondern recycelt werden. Unternehmen könnten so Geld für Rohstoffe sparen. "Jede siebte in Deutschland verbrauchte Tonne Rohstoffe kommt schon heute aus der Recyclingwirtschaft", skizziert Peter Kurth, Chef des Bundesverbands der Entsorgungswirtschaft, das große Potenzial.
Die Fragen, wie die Energiewende gelingen, wie Deutschland grün wachsen kann, brennen auch Gauck auf den Nägeln, er fragt in seiner Eröffnungsrede: "Wie können wir in Zukunft gut leben und wirtschaften, ohne dafür große Mengen an fossilen Bodenschätzen zu verbrauchen? Wie vermeiden wir es, Böden, Atmosphäre und Meere zu vergiften? Wie kann es uns gelingen, für heute sieben, später acht oder gar neun Milliarden Menschen Bedingungen für ein menschenwürdiges Leben zu schaffen?" Es sei unverantwortlich, den Enkelkindern die heute entstehenden Umweltprobleme aufzubürden.
Gauck mahnte aber angesichts der Milliardenausgaben für die Förderung erneuerbarer Energien davor, die Energiewende per Planwirtschaft umzusetzen. "Es wird uns nicht gelingen, allein mit planwirtschaftlichen Verordnungen. Schon gar nicht mit einem Übermaß an Subventionen", sagte er.
Laut dem Bundespräsidenten gibt es keinen besseren Nährboden für Problemlösungen als eine Gesellschaft mit offenen Märkten und freiem Wettbewerb. Es sei dringlich, einen verlässlichen politischen Rahmen zu setzen und zwar so, dass Schädliches vermieden und Gewünschtes erreicht werde.
EEG-Gesetz war nur gut gemeint
Einen konkreten schädlichen Aspekt der Energiewende glaubt die FDP derweil schon ausgemacht zu haben: das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Wirtschaftsminister Philipp Rösler sprach sich mit Blick auf drohende Strompreiserhöhungen für eine Reform der Ökostromförderung aus. Deren Kosten zahlen die Bürger per Umlage über den Strompreis.
"Da müssen wir uns tief in die Augen gucken: Wollen wir das bezahlen oder wollen wir das eine oder andere im System ändern". Bisher sei das EEG ein reines Subventionsgesetz, sagte Rösler. Der Einspeisevorrang für Ökostrom führe zudem dazu, dass bei viel Wind und Sonne konventionelle Kraftwerke heruntergefahren werden müssten und sich Investitionen in neue Gas- und Kohlekraftwerke daher derzeit kaum rechneten.
Allein 2011 zahlten Bürger und Unternehmen rund 13 Milliarden Euro an EEG-Umlage. Wegen unterschiedlicher Effekte - etwa mehr Wind- und Sonnenstrom, Ausnahmen für energieeintensive Betriebe und steigende Netzengelte - könnte die Energiewende den Strompreis deutlich steigen lassen. Der südwestdeutsche Energiekonzern EnBW erhöht zum 1. August seine Strompreise im Durchschnitt um mehr als zwei Prozent. Besonders aber Anfang 2013 droht eine Erhöhungswelle auf breiter Front. Im Oktober wird die neue EEG-Umlage für das nächste Jahr bekanntgegeben.
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sagte: "Das Erneuerbare-Energien-Gesetz war gut gemeint. Wenn es weiter so läuft, schadet es unserem Land. Es führt zur Überförderung, lähmt Innovationen, treibt Kosten, riskiert die Versorgungssicherheit und gefährdet die Energiewende." Als Alternative biete sich ein marktwirtschaftliches Mengenmodell an, das die Energieversorger verpflichte, einen bestimmten Anteil ihres Stroms aus erneuerbaren Quellen zu liefern.
Aus der SPD kam derweil scharfe Kritik an Röslers und Brüderles Vorstoß. "Es ist eine zwischen Kräften aus Wirtschaft und schwarz-gelber Koalition abgestimmte Attacke gegen die erneuerbaren Energien, um von den Versäumnissen in der Energiepolitik und den Geschäftsinteressen der Energiekonzerne abzulenken", sagte Fraktionsvize Ulrich Kelber.
Quelle: ntv.de, dpa, Georg Ismar