Politik

UN-Appell verhallt Gaza-Krieg unvermindert

Ungeachtet der Forderung des Weltsicherheitsrates nach einer sofortigen Waffenruhe geht die israelische Offensive im Gazastreifen mit aller Macht weiter. Das israelische Sicherheitskabinett beschloss, die seit zwei Wochen andauernde Militäroffensive fortzusetzen. Israel gestatte niemandem, über sein Recht auf Verteidigung seiner Bürger zu entscheiden, heißt es in einer Erklärung des amtierenden Ministerpräsidenten Ehud Olmert; die UN-Resolution sei unpraktikabel. Zuvor lehnte auch die radikalislamische Hamas die Resolution des Weltsicherheitsrats ab. Sie teilte mit, sie fühle sich der Resolution nicht verpflichtet, weil sie nicht an den Diskussionen teilgenommen habe. Die UN kündigten unterdessen an, dass sie ihre nach dem israelischen Angriff auf einen Hilfskonvoi eingestellten Aktivitäten wieder aufnehmen werden.

Ausschreitungen in Norwegen

Die Weltorganisation habe von Israel "glaubwürdige Zusicherungen" erhalten, dass ihre humanitären Einsätze von den israelischen Streitkräften in vollem Umfang respektiert würden, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung des UN-Sonderkoordinators für den Nahost- Friedensprozess, Robert Serry, und der Generalkommissarin des UN-Hilfswerks UNRWA, Karen Abuzayd. Am Vortag hatten israelische Soldaten einen mit dem Militär koordinierten UNRWA-Konvoi beschossen. Dabei waren zwei Mitarbeiter des Hilfswerks getötet worden, worauf die Weltorganisation eine zeitweilige Einstellung der Aktivitäten ihrer Mitarbeiter im Gazastreifen verfügt hatte.

In den Palästinensergebieten, in vielen arabischen Ländern und in einigen europäischen Hauptstädten protestierten erneut Hunderttausende gegen das israelische Vorgehen im Gazastreifen. In Athen gingen 5000 überwiegend junge Menschen auf die Straße. In Jordanien, im Jemen und in Ägypten sowie in der norwegischen Hauptstadt Oslo kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei. In Oslo wurden 31 zumeist junge pro-palästinensische Demonstranten vorübergehend festgenommen. Vorausgegangen waren Zusammenstöße zwischen pro-israelischen und pro-palästinensischen Demonstranten; es soll sich dabei um die schwersten Ausschreitungen seit mehr als 20 Jahren handeln. Laut Polizei wurden dabei sechs Menschen verletzt, darunter fünf Polizisten.

790 Tote im Gazastreifen

Massive Kritik zog sich Israel wegen eines Angriffs auf ein Haus mit schutzsuchenden Palästinensern zu, bei dem nach UN-Angaben bereits am 4. Januar mindestens 30 Menschen getötet worden waren. Insgesamt starben seit Beginn der israelischen Offensive im Gazastreifen am 27. Dezember 790 Menschen, mehr als 3200 wurden verletzt. Allein am Freitag berichtete die palästinensische Gesundheitsbehörde von 29 Toten.

Pressezentrum getroffen

Nach Angaben des Fernsehsenders Al-Dschasira wurde das Hochhaus in Gaza-Stadt getroffen, das als Pressezentrum dient und einer der Standpunkte der Kameras ist, die Bilder aus Gaza in alle Welt senden. Wie n-tv.de Nahost-Korrespondent Ulrich W. Sahm berichtet, soll ein Journalist verletzt worden sein. Angeblich wurde das Gebäude von einer israelischen Rakete getroffen, die von einem Kampfflugzeug abgeschossen wurde.

Der iranische Fernseh-Sender Al-Alam, der bei dem Beschuss beschädigt wurde, teilte mit, dass zwei Menschen verletzt worden sind. Ein israelischer Armeesprecher erklärte, das Gebäude sei nicht Ziel eines Angriffs gewesen, möglicherweise habe es aber "Kollateralschäden" gegeben.

Hilfslieferungen kommen durch

Israel ließ ungeachtet der anhaltenden Kämpfe wieder Hilfslieferungen in den Gazastreifen passieren. Ursprünglich habe man wieder eine dreistündige Feuerpause einhalten wollen, aber dann seien die Angriffe von Palästinensern erwidert worden, sagte ein Sprecher im israelischen Verteidigungsministerium.

UNO fordert sofortige Waffenruhe

In der Nacht zum Freitag hatte der Weltsicherheitsrat Israel und die radikalislamische Hamas zu einer sofortigen und dauerhaften Waffenruhe im Gazastreifen aufgefordert. Der völkerrechtlich bindenden Resolution stimmten 14 Ratsmitglieder zu. Die USA enthielten sich der Stimme. US-Außenministerin Condoleezza Rice betonte nach der Abstimmung in New York, Washington unterstütze den Beschluss "vollständig", wolle jedoch zuerst abwarten, welches Ergebnis die französisch-ägyptische Friedensinitiative habe.

Die Resolution 1860 trat mit der Verabschiedung in Kraft. Die Waffenruhe müsse zum kompletten Rückzug der israelischen Truppen aus Gaza führen, heißt es darin. Eine Frist setzte der Sicherheitsrat dem israelischen Militär jedoch nicht. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon begrüßte die Entscheidung. Der Beschluss signalisiere den Willen der internationalen Gemeinschaft. "Er muss von allen Beteiligten dieses Konflikts eingehalten werden", forderte der UN-Chef. Der saudi-arabische Außenminister Prinz Saud al-Faisal sprach von einem "historischen Ereignis".

Unterdessen gehen die internationalen Vermittlungsbemühungen weiter. Das in Syrien ansässige Hamas-Politbüromitglied Mohammed Nassal sagte dem TV-Sender Al-Dschasira, die Hamas werde spätestens am Samstag erneut eine Delegation nach Kairo schicken, um mit der ägyptischen Führung über die verschiedenen internationalen Vorstöße für eine Waffenruhe zu sprechen. Eine erste Gesprächsrunde von Hamas-Mitgliedern aus dem Exil war in Kairo am Donnerstag ergebnislos zu Ende gegangen.

Steinmeier-Mission am Wochenende

Mit einer eigenen Vermittlungsmission will sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier in die Bemühungen um einen Waffenstillstand im Gazastreifen einschalten. Steinmeier flog am späten Freitagabend nach Kairo ab. Dort steht am Samstag zunächst ein Gespräch mit dem ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak auf dem Programm. Geplant ist auch ein Treffen mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. In Israel will Steinmeier mit Staatspräsident Schimon Peres und Außenministerin Zipi Livni zusammenkommen.

Hamas-Führer reisen nach Kairo

Drei hochrangige Funktionäre der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen sind unterdessen zu Gesprächen über eine mögliche Waffenruhe nach Kairo gereist. Die Hamas-Unterhändler Eiman Taha, Dschamal Abu Haschim und Salah al-Bardawil hätten über den Grenzübergang Rafah Ägypten erreicht, verlautete am Freitagabend aus Hamas-Quellen in Gaza. Die Spitzenfunktionäre Mohammed Nasser und Imad al-Alami, die in Damaskus im Exil leben, wurden gleichfalls in derselben Nacht in der ägyptischen Hauptstadt erwartet.

Die eigentliche Hamas-Führung im Gazastreifen um die Spitzenfunktionäre Ismail Hanija und Mahmud al-Sahar ist wegen der israelischen Angriffe untergetaucht.

Entsetzliche Augenzeugenberichte

Mitarbeitern des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) wurde nach UN-Angaben erst am Mittwoch gestattet, während einer dreistündigen Feuerpause die Opfer aus einem von Israel zum militärischem Sperrzone erklärten Gebiet zu bergen. Nach Augenzeugenberichten habe die israelische Armee die mehr als 100 Palästinenser - die Hälfte davon Kinder - in ein Haus gebracht und sie aufgefordert, dies nicht zu verlassen. 24 Stunden später sei das Haus mehrfach mit Panzergranaten beschossen worden. Verwundete und Tote hätten die ganze Zeit über zusammen unter den Trümmern gelegen, sagte die stellvertretende OCHA-Sprecherin Allegra Pacheco. Nach Augenzeugenberichten wurden mehrere Kleinkinder gefunden, die sich an ihre toten Mütter klammerten.

Proteste in der arabischen Welt

In der arabischen Welt und im israelisch besetzten Westjordanland demonstrierten am Freitag mehrere hunderttausend Menschen gegen die israelische Offensive im Gazastreifen. Einige Demonstranten riefen auch Slogans gegen die ägyptische Regierung, der sie vorwarfen, sie unterstütze Israel indirekt, indem sie ihre Grenze zum Gazastreifen geschlossen halte. Allein in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa gingen laut Augenzeugen rund 200.000 Demonstranten auf die Straße. Sie riefen: "Tod für Amerika und Israel, der Islam soll siegen". In der ägyptischen Mittelmeer-Metropole Alexandria schlossen sich rund 100.000 Menschen einem Protestzug an, den die oppositionelle Muslimbruderschaft organisiert hatte.

Quelle: ntv.de

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