Wagt sich Machado nach Oslo?Friedensnobelpreisträgerin trifft "politische Entscheidung ihres Lebens"
Von Roland Peters, New York
Venezuelas Oppositionsführerin María Corina Machado hält sich versteckt. Reist sie dennoch nach Oslo, um den Friedensnobelpreis zu empfangen? Nicht nur ihr Leben könnte sich drastisch ändern - auch der Kurs ihres von Donald Trump bedrohten Landes.
Seit Januar ist Friedensnobelpreisträgerin María Corina Machado untergetaucht. Der nächste Schritt der venezolanischen Oppositionspolitikerin könnte eine Kettenreaktion auslösen. Verlässt sie tatsächlich Venezuela, reist nach Oslo zur Verleihungszeremonie am Mittwoch und nimmt die Auszeichnung persönlich entgegen? Welche möglichen Folgen hat das für sie selbst? Und welche für ihre Heimat und deren Präsidenten Nicolás Maduro, in deren Nähe die USA seit Monaten mit dem Säbel rasseln?
Venezuela ist neben dem Ukraine-Krieg das offensichtlichste Beispiel für die neue nationale Sicherheitsstrategie der USA, wie sie das Weiße Haus bereits seit Monaten praktiziert: Die Außenpolitik von Donald Trumps Regierung ist in dessen erstem Amtsjahr deutlich fokussierter auf das geografisch nähere Lateinamerika als auf Europa. Venezuela besitzt eine der größten Ölreserven der Welt, ist aber ein Verbündeter Kubas und liegt politisch mit den Vereinigten Staaten schon lange über Kreuz.
Präsident Trump möchte in Venezuela einen Regime-Change erzwingen. Dazu haben die Vereinigten Staaten in der Karibik in den vergangenen Monaten die größte Marine-Streitmacht seit Jahrzehnten zusammengezogen; etwa 15.000 Soldaten könnten sofort eingreifen. Trump erklärte, der Luftraum über Venezuela solle als geschlossen angesehen werden. Er hat CIA-Einsätze genehmigt und einen Landeinsatz für möglich erklärt. Seine Regierung verspricht 50 Millionen Dollar Belohnung für Hilfe zur Festnahme Maduros. Den forderte Trump zuletzt in einem Telefonat zum Rücktritt und Rückzug ins ausländische Exil auf. Maduro lehnte ab.
Machado mit Trump auf umstrittener Linie
Die Oppositionsführerin Machado behauptet, der venezolanische Staatschef sei der Anführer von zwei Drogenkartellen: das "Cartel de los Soles" sowie "Tren de Aragua". Beide sollen zudem die US-Wahl zu Trumps Nachteil manipuliert haben, beide wurden von den USA zu Terrororganisationen erklärt. Mit ihren Behauptungen liegt Machado auf einer Linie mit Trumps Äußerungen. Die aber sind nur sehr bedingt faktenbasiert.
Das "Cartel de los Soles", was Maduro leiten soll, ist laut Experten höchstwahrscheinlich nur ein Sammelbegriff für die Abmachung der Machthaber mit kriminellen Gruppen, sich im Austausch für den Machterhalt nicht in deren Geschäfte einzumischen. Zudem ist Maduro laut Trumps eigenen Geheimdiensten weder der Chef des "Tren de Aragua"-Kartells, noch ist die Organisation in Aktivitäten verwickelt, die sich direkt gegen die Vereinigten Staaten richten.
Die Entscheidung des Nobelpreiskomitees für Maduros Widersacherin Machado ist wegen ihrer Äußerungen umstritten. Sie könnte so helfen, eine gewaltsame Intervention zu rechtfertigen - sei es ein Sturz Maduros durch US-Einsatzkräfte oder gar ein offener Krieg der USA gegen Venezuela. Seit September schießt Washington der Regierung in Caracas praktisch vor den Bug, indem die US-Armee mit Raketen und Drohnen Schnellboote aus Venezuela zerstört und dabei deren Besatzung tötet, weil diese angeblich Drogen in Richtung Norden transportieren.
Das Weiße Haus argumentiert, die Luftschläge seien wegen der Aktivitäten der Kartelle berechtigt. Die Vereinten Nationen bezeichnen sämtliche Angriffe als "außergerichtliche Tötungen". Nur ein Bruchteil der in Südamerika produzierten Drogen wurde in den vergangenen Jahren über Venezuela geschmuggelt. Das die USA verheerende Fentanyl war nicht darunter.
Caracas warnt Machado
Laut Kristian Berg Harpviken, Direktor des Nobelpreiskomitees, hat sich Machado bereits entschieden: Sie werde bei der Zeremonie in der norwegischen Hauptstadt anwesend sein: "Aufgrund der Sicherheitslage können wir nicht mehr darüber sagen, wann und wie sie kommt." Ein Sprecher Machados bestätigte, ihr Team arbeite daran, dass sie dabei sein könne. Doch wenige Stunden vor der für Dienstagmittag angekündigten Pressekonferenz in Oslo mit Machado wird die Veranstaltung auf unbestimmte Zeit verschoben - ohne weitere Erklärung.
Sie tue alles, was sie könne, um für die größte Ehrung ihres Lebens nach Norwegen zu kommen, sagte Machado zuletzt dem norwegischen Rundfunksender NRK. Die venezolanische Regierung hat sie jedoch gewarnt: Sollte sie das Land verlassen, werde sie als flüchtig gelten. Falls sie auf regulärem Reiseweg zurückkehrt, könnte ihr entweder die Wiedereinreise verweigert oder sie festgenommen werden. Die venezolanischen Behörden werfen Machado Anstachelung zum Hass, Verschwörung und Terrorismus vor.
Die Oppositionelle hat sich in den vergangenen Jahren zur zentralen Figur im demokratischen Widerstand gegen Maduros Regierung entwickelt. Machado ist bereits seit mehr als 20 Jahren politisch aktiv. Die Familie der 58-Jährigen besitzt Sivensa, den größten privaten Stahlproduzenten des Landes; ein Teil ihres Konzerns wurde unter Maduros Vorgänger Hugo Chávez enteignet und verstaatlicht. Machado hatte auch versucht, den populären Chávez abzusetzen.
Das Nobelpreiskomitee hat ihr nun den Preis für ihren politischen Widerstand gegen den autokratisch regierenden Maduro verliehen. Chávez' Nachfolger klammert sich mit Hilfe des Militärs seit Jahren an die Macht. Bei den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr gewann Maduro laut offiziellen Ergebnissen ein Mandat für weitere sechs Jahre im Regierungspalast von Miraflores. Die verantwortliche Wahlbehörde wird von seinen Verbündeten gesteuert. Laut Experten und Beobachtern erhielt die Opposition um Machado und ihrem Kandidaten Edmundo González etwa doppelt so viele Stimmen wie Maduro.
Machado selbst hatte nicht antreten dürfen, die venezolanischen Behörden hatten dies bereits 2023 wegen angeblicher Verbrechen und Kooperation mit Juan Guaidó, den früheren Vorsitzenden der Nationalversammlung, für 15 Jahre untersagt. Bereits bei der vorherigen Wahl 2018 hatte die Wahlbehörde Maduro zum Sieger erklärt, was internationale Beobachter anzweifelten. Guaidó erklärte sich daraufhin Anfang 2019 zum Interimspräsidenten. Mehr als 50 Ländern weltweit erkannten ihn als Staatschef an, zunächst die USA unter Trump, mehrere südamerikanische Regierungen und auch Deutschland folgten.
Die Strategie scheiterte, Maduro blieb an der Macht. Ein Militärputsch gegen ihn wurde in der Folge ebenso vereitelt wie der Versuch von Offizieren, gemeinsam mit mehreren Söldnern Maduro. Unter Trumps Nachfolger Joe Biden entspannte sich die Situation zwischen den USA und Venezuela etwas. Nach der Wahl im vergangenen Sommer floh González, der verhinderte Präsident von 2024, nach Spanien. Machado versteckte sich vor den Behörden, um nicht verhaftet zu werden, blieb aber im Land. Bei Protesten auf den Straßen des Landes wurden mehr als 2000 Personen festgenommen.
Mehrere Wege möglich
In Oslo hätte die Oppositionsführerin die Möglichkeit, vor aller Welt für die Absetzung Maduros zu werben, wie auch immer dies geschehen soll. Reisen nach und aus Venezuela sind jedoch komplizierter geworden, mehrere internationale Fluglinien setzten zuletzt ihre Routen aus. In einem Interview versicherte Machado, nach einer Reise nach Norwegen wieder nach Venezuela zurückkehren zu wollen. Wann und wo, ist jedoch unklar. Zudem muss sie es zuerst nach Oslo schaffen. Schon dies sei "die politische Entscheidung ihres Lebens", schreibt das "Wall Street Journal".
Sollte sie tatsächlich in Norwegen auftauchen, hat die Oppositionsführerin mehrere Optionen. Sie kann zeitnah zurückkehren oder im Ausland bleiben; oder sie könnte für den Medienrummel darauf spekulieren, dass sie beim Einreiseversuch nach Venezuela nicht festgenommen, sondern einfach abgewiesen wird. Würde Machado den Machthabern in Miraflores im Ausland weniger Schaden zufügen als im eigenen Land? So war es bei Guaidó, der im Exil letztendlich seinen Einfluss verlor. Machado könnte aus dem Ausland aber auch in aller Öffentlichkeit Trump und dessen Konfrontationskurs gegen Maduro unterstützen. Und darauf hoffen, dass der Maduro diesmal entmachtet.