
Ein Hauch von Korruption liegt über der WM in Katar - hier ein Bild von der Eröffnungsfeier am 20. November.
(Foto: picture alliance/dpa)
Bundeskanzler Olaf Scholz ist alarmiert, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen spricht von "sehr schwerwiegenden" Vorwürfen: Eine Vizepräsidentin des Europaparlaments soll sich vom Emirat Katar bestechen lassen haben. So lauten jedenfalls die Vorwürfe der Ermittler. Die Politikerin und drei weitere Verdächtige sitzen in U-Haft. Ein Überblick über den Korruptionsskandal, der die EU erschüttert.
Wie viele Personen sind in den Skandal verwickelt?
In Belgien wurden am Freitag sechs Personen festgenommen, darunter die griechische Sozialdemokratin Eva Kaili, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments und frühere Moderatorin des griechischen Fernsehsenders Mega. Vier Verdächtige sitzen seit Sonntag in Untersuchungshaft, ihnen werden Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche und Korruption vorgeworfen.
Medienberichten zufolge gehört neben der 44-jährigen Kaili ihr italienischer Lebensgefährte Francesco Giorgi, dazu, außerdem ein ehemaliger sozialdemokratischer Europaabgeordneter aus Italien, Pier Antonio Panzeri, Gründer und Präsident der Brüsseler Menschenrechtsorganisation "Fight Impunity". Nach Informationen der belgischen Zeitschrift "Knack" ist Panzeri der Kopf der Gruppe. Für "Fight Impunity" arbeitet auch Francesco Giorgi. Auf seinem Twitter-Account nennt er sich Berater des Europaparlaments in außen- und menschenrechtspolitischen Fragen.
In Haft sitzt auch ein weiterer Italiener, der von "Knack" als "Herr T." bezeichnet wird und im "NGO-Sektor" tätig sein soll. "Knack" und die belgische Zeitung "Le Soir" berichteten als erste über den Skandal.
Ebenfalls festgenommen wurde der Italiener Luca Visentini, seit kurzem Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes. Er und eine weitere festgenommene Person wurden unter Auflagen freigelassen. Nach einem Bericht der italienischen Zeitung "Corriere della Sera" wurden in Italien am Freitag auch Panzeris 68 Jahre alte Frau Maria Colleoni und seine 38-jährige Tochter Silvia Panzeri festgenommen.
Am Samstag wurde zudem das Haus des belgischen Europaabgeordneten Marc Tarabella durchsucht, auch er Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion. Dort beschlagnahmte die Polizei Computer und Handy des Politikers. Im Interview mit "Knack" sagt Tarabella, ihm seien aus Katar nie Geld oder Geschenke angeboten worden. Festgenommen wurde er nicht.
Um wie viel Geld geht es?
"Knack" zufolge fanden die Ermittler nach unterschiedlichen Angaben bei Panzeri 600.000 beziehungsweise fast 500.000 Euro. Zudem beschlagnahmten sie einen Koffer mit 600.000 Euro, mit dem der Vater von Kaili, Alexandros Kailis, ein Brüsseler Hotel verlassen wollte. Auch er wurde verhaftet. Im Haus seiner Tochter seien danach "in Handtaschen und luxuriösen Reisetaschen" noch einmal mindestens 150.000 Euro gefunden worden.
Wofür könnte das Geld geflossen sein?
Die belgischen Ermittler gehen davon aus, dass es sich bei der Gruppe um eine von Katar finanzierte Vereinigung handelt, die Entscheidungen des Europaparlaments im Sinne des Emirats zu beeinflussen versuchte - eine Art verdeckte Lobbygruppe also. Die katarische EU-Vertretung wies zurück, dass Katar etwas mit den Vorwürfen zu tun habe. Verbindungen zwischen Katar und "den berichteten Vorwürfen" seien "unbegründet und schwere Falschinformation", twitterte die Vertretung.
Gibt es Indizien für verdeckten Lobbyismus für Katar?
Derzeit wird auf EU-Ebene in Erwägung gezogen, die Visa-Regeln für Staatsbürger von Katar zu erleichtern. Berichterstatter für das Thema im Europaparlament ist der Grünen-Abgeordnete Erik Marquardt. Er sagte der Deutschen Presse-Agentur, dass Kaili in der Sache zuletzt den Kontakt zu ihm gesucht habe. Ihr sei wichtig gewesen, dass die Entscheidung zügig getroffen werde und nicht so viele Bedingungen an Katar gestellt würden.
Kaili hat Katar erst vor kurzem öffentlich für seine Arbeitnehmergesetze gelobt. Auch Luca Visentini, der Gewerkschafter, hat sich positiv über die Rechte für Arbeiter in Katar geäußert - das alles natürlich vor dem Hintergrund der Fußball-WM in Katar, mit der das Land am Golf seinen Ruf in der Welt und auch in Europa verbessern wollte.
Seine Meinung über Katar geändert hat auch Marc Tarabella, der belgische Sozialdemokrat, dessen Haus ebenfalls durchsucht wurde. Er gehörte ursprünglich zu den Kritikern der WM-Vergabe an Katar, hat seinen Tonfall allerdings zuletzt deutlich verändert. Im Interview mit "Knack" begründete Tarabella dies damit, dass sich "die Dinge in eine positive Richtung" verändert hätten.
Wie sind die belgischen Ermittlungsbehörden der Gruppe auf die Schliche bekommen?
Das ist derzeit noch unklar. Bekannt ist, dass die Ermittlungen, die am vergangenen Freitag zu den Festnahmen sowie insgesamt 16 Hausdurchsuchungen führten, seit mehreren Monaten laufen. Am heutigen Montag durchsuchte die belgische Polizei weitere Räumlichkeiten des EU-Parlaments in Brüssel. Dabei wurden Daten von Computern von zehn parlamentarischen Mitarbeitern beschlagnahmt. Die Computer seien demnach seit Freitag "eingefroren" worden, um zu verhindern, dass für die Ermittlung benötigte Daten verschwinden können. Es hätten auch Razzien am Sonntag in Italien stattgefunden, hieß es.
Wie hat das Europäische Parlament reagiert?
Kaili wurde bereits am Wochenende von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola von ihren Aufgaben entbunden. Diese Entscheidung dürfte in dieser Woche vom Parlament bestätigt werden; dass dies länger dauert, hat lediglich formale Gründe. Die sozialdemokratische Fraktion suspendierte Kailis Mitgliedschaft. Ihre Partei, die griechische Pasok, schloss sie aus. Die griechische Anti-Geldwäsche-Behörde ließ am Montag alle Vermögenswerte von Kaili einfrieren. Nun sollen ihre Konten, ihr Immobilienbesitz, Unternehmensbeteiligungen und ähnliche Vermögenswerte unter die Lupe genommen werden.
Nur einer freut sich: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban. Er twitterte ein mehr als vierzig Jahre altes Foto, auf dem die ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan und George Bush in einer Gruppe von Männern zu sehen sind, die alle lauthals lachen. "Guten Morgen dem Europäischen Parlament", schrieb Orban dazu. "Und dann sagten sie, das EP sei ernsthaft besorgt wegen Korruption in Ungarn", steht auf dem Foto. Die EU blockiert Gelder für Ungarn, weil das Land - unter anderem im Bereich Korruption - nicht die EU-Standards von Rechtsstaatlichkeit erfülle.
Welche Folgen hat der Skandal für das Verhältnis der EU zu Katar?
Aus Katars Sicht war die Investition in Panzeri, Kaili und Co., sofern es sie gegeben hat, ein schlechtes Geschäft. Die EU-Kommission hatte Anfang des Jahres empfohlen, Katar Visumfreiheit zu gewähren. Das ist nun kaum noch vorstellbar. Berichterstatter Erik Marquardt hat sich bereits dafür ausgesprochen, das Thema von der Tagesordnung zu nehmen. "Das ist ein ernstes Thema, und wir müssen zeigen, dass wir Berichte über Korruption ernst nehmen", sagte er der Nachrichtenseite Politico. "Daher denke ich, dass wir die Diskussionen über visumfreies Reisen [für Katarer] sofort einfrieren müssen."
Quelle: ntv.de, mit dpa