Politik

Der Kriegstag im Überblick Geschützdonner in Luhansk - NATO verspricht schwere Waffen

Ein Zivilist kreuzt den Weg eines russischen Panzers im Südosten der Ukraine.

Ein Zivilist kreuzt den Weg eines russischen Panzers im Südosten der Ukraine.

(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)

Im Osten der Ukraine nehmen russische Truppen die Krankenhäuser unter Beschuss. Das Pentagon erwartet eine große Schlacht um den Donbass, sieht aber noch keine Anzeichen für eine Truppenverlegung dorthin. Bei der NATO bahnt sich ein Kurswechsel an, Kiew schwere Waffen zu liefern. Der 43. Kriegstag im Überblick.

Russen bombardieren alle Krankenhäuser

Ukrainische Einheiten und russische Truppen liefern sich im Gebiet Luhansk schwere Gefechte. Heftige Kämpfe meldet Kiew etwa aus der Gegend um die Stadt Rubischne. Der Gouverneur von Luhansk, Serhij Hajdaj, teilte mit, es gebe in der Region keine funktionierenden Krankenhäuser mehr. "Seit Beginn des Krieges zwischen Russland und der Ukraine wurde jede medizinische Einrichtung in unserer Region beschossen", schrieb er bei Facebook. Die russischen Truppen würden das Gebiet vorsätzlich aller Gesundheitseinrichtungen berauben, "damit die Verwundeten keine Chance haben zu überleben".

Die russische Armeeführung hatte angekündigt, sich auf die Einnahme der ostukrainischen Gebiete Luhansk und Donezk zu konzentrieren, die von den moskautreuen Separatisten beansprucht werden. Truppen aus Kiew wurden abgezogen, für die kommenden Wochen werden heftige Gefechte um den Donbass erwartet, das wichtigste ukrainische Industriegebiet, zu dem die Gebiete Luhans und Donezk gehören.

NATO öffnet sich für Lieferung schwerer Waffen

Die russische Armee stelle sich derzeit im Osten der Ukraine neu auf, "und wir erwarten eine große Schlacht im Donbass", sagte auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Er sicherte der Ukraine weitere Waffenlieferungen zu. Dieser Krieg könne Wochen, aber auch Monate oder sogar Jahre dauern. "Und deshalb müssen wir uns auf noch viel mehr vorbereiten."

Beim Außenministertreffen der NATO-Staaten in Brüssel deutete sich damit ein radikaler Kurswechsel in der Frage der Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine an. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba drang auf Tempo. "Entweder Sie helfen uns jetzt, und ich spreche von Tagen, nicht von Wochen, oder Ihre Hilfe wird zu spät kommen."

Pentagon: Noch keine Truppenverlegung in den Osten

Das US-Militär erwartet nach dem Rückzug der russischen Truppen aus Kiew ebenfalls eine größere Schlacht im Südosten der Ukraine. "Wie das ausgeht, ist im Moment offen, glaube ich", sagte General Mark Milley, Vorsitzender des Generalstabs, in einer Anhörung vor dem Kongress.

Bisher sei allerdings noch keine Verlegung dieser Truppen in die umkämpfte Ostukraine erkennbar, erläuterte ein hochrangiger Pentagon-Vertreter in einem Hintergrundgespräch mit Pressevertretern. Nach Angaben der militärischen Denkfabrik "Institute for the Study of War" ist es unwahrscheinlich, dass die russischen Verbände nach den schweren Verlusten, die sie im Norden erlitten haben, zeitnah wieder einsatzbereit sind.

"Große Tragödie": Kreml räumt schwere Verluste ein

Erstmals räumte auch Moskau "bedeutende Verluste" russischer Truppen in der Ukraine ein. Dies sei "eine große Tragödie für uns", sagte Dmitri Peskow, Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin dem britischen Fernsehsender Sky News. Zahlen nannte er nicht. Zuletzt hatte Russland von 1351 getöteten Soldaten gesprochen. Kiew und westliche Beobachter rechnen mit bis zu 15.000 toten russischen Soldaten.

Für den Fall eines Beitritts von Finnland und Schweden zur NATO kündigte Peskow eine "neue Ausbalancierung der Lage" mit eigenen Maßnahmen an. "Wir müssten unsere Westflanke im Hinblick auf die Gewährleistung unserer Sicherheit" aufwändiger gestalten." Sein Land würde den Beitritt jedoch nicht als Bedrohung der eigenen Existenz sehen. Zuletzt hatte Russland immer wieder betont, zum Atomwaffenarsenal greife es nur bei einer "Bedrohung der Existenz".

"Tötet sie alle": Geheimdienste fangen Funksprüche ab

Im Kiewer Vorort Butscha werden immer mehr Tote entdeckt. "Die Zahl der entdeckten Leichen steigt mit jedem Tag", sagte Bürgermeister Anatolij Fedoruk der Deutschen Welle.

Zugleich verdichten sich die Hinweise auf ein russisches Kriegsverbrechen. Etwa 90 Prozent der getöteten Zivilisten wiesen Schusswunden auf, so Fedoruk. Dem Bundesnachrichtendienst (BND) liegen abgefangene Funksprüche russischer Militärs vor, die an der ukrainischen Zivilbevölkerung verübte Gräueltaten unweit von Kiew belegen. Wie der "Spiegel" am Donnerstag zuerst berichtete, informierte der Auslandsgeheimdienst am Mittwoch Parlamentarier über den Inhalt der Funksprüche. Diese zeigen, dass außerhalb von Kiew im März auch paramilitärische Einheiten im Auftrag der russischen Armee eingesetzt waren.

Russische Soldaten sollen auch in Mariupol zur gezielten Ermordung von Zivilisten aufgefordert worden sein. Laut einem vom ukrainischen Geheimdienst SBU abgefangenen Funkspruch soll ein Kommandeur seinen Einheiten befohlen haben: "Tötet sie alle, verdammt! Zivilisten, jeden, tötet sie alle!", hieß es demnach in einer Audioaufnahme.

Ukrainische Truppen kämpfen weiter in Mariupol

Die seit Wochen andauernde Belagerung von Mariupol geht derweil weiter. Ein Vertreter der Streitkräfte der pro-russischen Separatisten aus der Ostukraine sagte, er gehe von 3000 bis 3500 ukrainischen Kämpfern aus, welche die Stadt noch verteidigten. "Man muss auch berücksichtigen, dass unter den Bewohnern von Mariupol einige zu den Waffen gegriffen haben, so dass die Zahl viel höher sein kann", sagte er laut mehreren russischen Staatsmedien.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beschuldigte Russland, Hilfsorganisationen den Zugang zu Mariupol zu blockieren, um die "Tausenden" Opfer in der Stadt zu verschleiern. "Ich denke, dass sie Angst haben, dass die Welt sieht, was dort vor sich geht, solange nicht alles von russischen Soldaten 'gesäubert' wurde", sagte Selenskyj dem türkischen Fernsehsender Habertürk.

UN-Vollversammlung wirft Russland aus Menschenrechtsrat

Als Reaktion auf Berichte über russische Kriegsverbrechen setzte die UN-Vollversammlung die Mitgliedschaft Russlands im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen aus. Eine unter anderem von Großbritannien und den USA eingebrachte entsprechende Resolution wurde in New York von der Vollversammlung verabschiedet. 93 Mitglieder stimmten dafür, darunter auch Deutschland. 58 Mitglieder enthielten sich, 24 Mitglieder stimmten dagegen, darunter neben Russland unter anderem noch Algerien, Bolivien, China, Kuba, Nordkorea, Eritrea, Äthiopien, der Iran und Syrien. Insgesamt kam die notwendige Zweidrittelmehrheit zusammen.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO bereitet sich auf eine weitere Eskalation des Krieges vor - von der Behandlung massenhafter Verletzter bis hin zu chemischen Angriffen. "Es gibt keine Sicherheiten, dass der Krieg nicht noch schlimmer werden kann", erklärte der WHO-Chef für Europa, Hans Kluge.

Weitere Artikel zum Ukraine-Krieg

Alle weiteren Entwicklungen des Tages können Sie in unserem Liveticker zum Ukraine-Krieg nachlesen.

Quelle: ntv.de, mau/AFP/dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen