Rückwirkend ab Juli 1997 "Ghetto-Arbeiter" erhalten Rente
02.06.2009, 11:45 UhrFür Arbeit im Ghetto während des Zweiten Weltkriegs steht NS-Opfern grundsätzlich eine Rente zu. Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts stehen den Betroffenen auch dann Zahlungen aus der Deutschen Rentenversicherung zu, wenn im Ghetto Arbeitspflicht bestand und die Entlohnung ausschließlich in Naturalien erfolgte.

Rund 500.000 Juden wurden allein im Warschauer Ghetto zusammengepfercht.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Der 13. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel tritt für die Anerkennung der Arbeit von Juden in früheren NS-Ghettos bei der Rentenversicherung ein. Nach drei verkündeten Urteilen könnten wohl die meisten der bislang 70.000 Antragsteller Rentenzahlungen beanspruchen. Allerdings befasst sich am Mittwoch auch der 5. Senat mit dieser Frage; bei Meinungsverschiedenheiten entscheidet der Große Senat des BSG. (Az: B 13 R 81/08 R, 85/08 R und 139/08 R)
Nach dem so genannten Ghetto-Renten-Gesetz aus dem Jahr 2002 können Juden Beitragszeiten zur Rentenversicherung geltend machen, die unter deutscher NS-Besatzung in einem Ghetto gearbeitet haben. Voraussetzung ist, dass sie "aus eigenem Willensentschluss" und "gegen Entgelt" tätig waren. Dadurch sollte die Ghetto-Arbeit von der gesondert entschädigten Zwangsarbeit abgegrenzt werden. 70.000 Juden aus aller Welt hatten danach einen Antrag gestellt, davon 30. 000 aus Israel. Die Ansprüche von monatlich meist 100 bis über 200 Euro gelten rückwirkend ab Juli 1997; inzwischen sind daher zwischen 10.000 und 30.000 Euro je Ghetto-Arbeitnehmer aufgelaufen.
Kein Mindestalter
Die Rententräger hatten die Voraussetzungen jedoch bislang meist nicht als erfüllt angesehen und mehr als 90 Prozent der Anträge abgelehnt. Auch vor dem BSG machten sie geltend, die Gewährung von Nahrung und Unterhalt könne nicht als "Entgelt" angesehen werden. Zudem habe in den Ghettos meist Arbeitspflicht bestanden, so dass nicht von einem "eigenen Willensentschluss" auszugehen sei. Dabei ging es um die Ghettos in Krakau, Minsk und Starachowice in Polen.
Wie nun der 13. BSG-Senat in seinen Grundsatzurteilen entschied, steht eine Arbeitspflicht im Ghetto den Rentenzahlungen nicht entgegen; es reicht aus, wenn der Antragsteller Einfluss auf seinen Arbeitsort hatte und nicht einer bestimmten Stelle zugewiesen wurde. Als "Entgelt" gilt auch eine Bezahlung mit Lebensmitteln oder Lebensmittelkarten. Auch wenn Lohn nicht an den Arbeiter selbst, sondern an den in mehreren Ghettos gebildeten "Judenrat" ausgezahlt wurde, der dann für alle Juden gemeinsam Lebensmittel kaufte, ist darin ein "Entgelt" zu sehen, urteilte das BSG. Ein Mindestalter besteht nicht.
Quelle: ntv.de, dpa /AFP