Politik

"Das könnte das Land destabilisieren" Gorbatschow fordert Neuwahlen

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(Foto: dpa)

Die russische Regierung gerät nach den Parlamentswahlen unter Druck. Die Polizei geht rigoros gegen Demonstranten vor, Hunderte Menschen werden verhaftet. Auch der letzte sowjetische Staatschef Gorbatschow moniert zahlreiche Unregelmäßigkeiten und fordert eine neue Abstimmung. Ansonsten fürchtet er um die Stabilität Russlands.

Nach den Fälschungsvorwürfen bei der russischen Parlamentswahl und der Massenfestnahme von Kremlgegnern hat Ex-Sowjetpräsident eine Neuabstimmung gefordert. "Die Führung des Landes muss anerkennen, dass es zahlreiche Verstöße und Manipulationen gegeben hat, und dass die veröffentlichten Ergebnisse nicht den Willen der Wähler wiedergeben", sagte der Friedensnobelpreisträger der Agentur Interfax in Moskau. Am Dienstagabend waren landesweit mehr als 800 Demonstranten vorübergehend festgenommen worden.

Bei neuen Protesten wurden nun mehr als 125 Menschen vorübergehend festgenommen. Allein in St. Petersburg führten Sicherheitskräfte mindestens 100 Regierungsgegner sowie Reporter und Menschenrechtler ab, wie die Behörden nach Angaben der Agentur Interfax bestätigten. In Moskau sprach die Polizei von rund 20 Festnahmen, die nicht zugelassene Partei Anderes Russland dagegen von mehr als 70 Demonstranten, die grob in Mannschaftsbusse gestoßen worden seien.

In Eilverfahren wurden derweil Dutzende Gegner von Regierungschef Wladimir Putin zu Geld- und Arreststrafen verurteilt, nachdem sie gegen Wahlfälschungen demonstriert hatten. "Eine Lüge tötet die Glaubwürdigkeit einer Regierung", sagte der 80-jährige Gorbatschow. "Das könnte das Land destabilisieren." Gorbatschow hatte Putin mehrfach autoritäre Machtstrukturen vorgeworfen.

Rentiere in den Medien

In den staatlichen russischen Medien wurden die Kundgebungen der Opposition vom Dienstag totgeschwiegen. Der Nachrichtensender Rossija 24 berichtete über die Registrierung von Rentieren, die Hauptnachrichten über eine russische Frau, die im Ausland mit einem gefälschten 100-Dollar-Schein erwischt wurde. "Ich kann mich nicht an einen ähnlichen Nachrichten-Blackout in jüngster Zeit erinnern", sagte die Medienkritikerin Arina Borodina. In den liberalen Tageszeitungen hingegen wurden die jüngsten Proteste beschrieben und zum Teil ausdrücklich befürwortet.

Wladimir Putin zeigt sich ungerührt von den Protesten.

Wladimir Putin zeigt sich ungerührt von den Protesten.

(Foto: REUTERS)

Ungeachtet des ungewöhnlich starken Drucks von der Straße reichte Putin derweil demonstrativ seine Kandidatur für die Präsidentenwahl am 4. März bei der Wahlkommission in Moskau ein. Moskauer Medien debattierten unterdessen immer intensiver, wie eine Zukunft mit oder ohne Putin aussehen könne. Laut Umfragen galt der 59-Jährige aber weiter als der mit Abstand populärste Politiker.

Das Machtlager hatte zuletzt versichert, dass es einen "neuen Putin mit neuen Ideen und Initiativen" geben werde. Der Regierungschef will im nächsten Jahr sein Amt mit Präsident Dmitri Medwedew tauschen. Diese Abmachung des Machttandems unter Ausschluss der russischen Öffentlichkeit sorgt seit Wochen für Unmut in der Bevölkerung.

Berlin fordert Rechtssicherheit

Die Bundesregierung mahnte die in der russischen Verfassung garantierte Versammlungsfreiheit an. Deutschland erwarte, dass Russland als Mitglied im Europarat seinen demokratischen Verpflichtungen nachkomme, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Dazu gehörten auch Chancengleichheit für die politische Opposition und rechtsstaatliche Behandlung.

Polizisten setzen einen Demonstranten fest.

Polizisten setzen einen Demonstranten fest.

(Foto: REUTERS)

Fragen, die sich an den Ablauf der Parlamentswahl richten, müssten "klipp und klar beantwortet und aufgeklärt" werden, betonte Seibert. Hinweisen auf Unregelmäßigkeiten müsse nachgegangen werden. Auch bei der russischen Präsidentschaftswahl im März sollten Vorbereitung und Durchführung sehr genau beobachtet werden.

Oppositionspolitiker forderten die sofortige Freilassung der am Vorabend abgeführten Putin-Kritiker. Allein in Moskau waren bei Protesten gegen den Wahlsieg der Putin-Partei Geeintes Russland von den geschätzten 2000 Teilnehmern mehr als 560 vorläufig in Polizeigewahrsam gekommen. Auch Menschenrechtler und Journalisten wurden für mehrere Stunden festgehalten.

In der zweitgrößten Stadt St. Petersburg nahm die Polizei am Dienstagabend mindestens 250 Demonstranten fest. Auch aus dem südrussischen Rostow am Don und der Wolga-Stadt Samara wurden Festnahmen gemeldet. Der Menschenrechtsbeauftragte des Kremls, Michail Fedotow, kritisierte das harte Durchgreifen von Polizei und Justiz. Dass die Polizei den Festgenommenen über Stunden Wasser und Nahrung verwehrt habe, sei "absolut inakzeptabel", sagte Fedotow.

"Sie sind ja fast ein Zauberer"

"Das Wahlergebnis entspricht nicht dem Wählerwillen", sagte der Chef der liberalen Partei Jabloko, Sergej Mitrochin. Jabloko hatte bei der Parlamentswahl am Sonntag den Einzug in die Staatsduma nach offiziellen Angaben klar verpasst. Mitrochin kündigte an, gegen Wahlfälschungen in allen Instanzen zu klagen. "Wir wollen keine Revolution, sondern Demokratie nach europäischem Vorbild. Das ist ein langer Weg", sagte Jabloko-Gründer Grigori Jawlinski.

Für den kommenden Samstag rief die außerparlamentarische Opposition im Internet zu einer genehmigten Demonstration in der Nähe des Kremls auf. Mehr als 15.000 Menschen haben sich bereits über soziale Netzwerke dazu angemeldet. An einer erlaubten Kundgebung in Moskau am Montagabend hatten sich Schätzungen zufolge weit mehr als 6000 Putin-Gegner beteiligt. Auch danach hatte es mehr als 300 Festnahmen gegeben.

Der kremltreue russische Wahlleiter Wladimir Tschurow hatte die von Putin geführte Regierungspartei Geeintes Russland mit fast 50 Prozent der Stimmen zum Sieger der Duma-Wahl erklärt. Kremlchef Medwedew lobte die Wahl als demokratisch. "Sie sind ja fast ein Zauberer", hatte Medwedew im Gespräch mit Tschurow über die Ergebnisse gesagt. Die Bundesregierung, die USA und Wahlbeobachter haben massive Zweifel geäußert, dass die Abstimmung frei und fair abgelaufen sei.

Quelle: ntv.de, dpa

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