Politik

Eine Geschichte ohne Helden Grau, grauer, Bergdahl

Irgendwo zwischen Angst, Hoffnung und Unglaube: Bergdahl kurz vor der Übergabe an das US-Speziakommando.

Irgendwo zwischen Angst, Hoffnung und Unglaube: Bergdahl kurz vor der Übergabe an das US-Speziakommando.

(Foto: AP)

Man nehme einen aus den Klauen fieser Terroristen befreiten US-Soldaten, einen stolzen Präsidenten sowie zwei überglückliche Eltern - fertig ist der geniale PR-Coup. Von wegen: Statt für eine Seifenoper bewerben sich die Hauptcharaktere der Bergdahl-Affäre direkt für die nächste "Homeland"-Staffel.

Bowe Bergdahl sitzt auf der Rückbank eines heruntergekommenen Pickups irgendwo im bergigen Norden Afghanistans. Die Taliban haben ihn hierhergefahren, gleich soll der US-Soldat nach fünf Jahren in Geiselhaft an eine amerikanische Spezialeinheit übergeben werden. Auf den Hügeln machen sich Kämpfer mit Raketenwerfern bereit: Falls etwas schiefgehen sollte, haben sie von oben freies Schussfeld auf die ungeschützten Rotoren der US-Hubschrauber, die hinunter in den Talkessel müssen, um den Gefangenen abzuholen.

Der Deal ist gut vorbereitet, trotzdem sind die Taliban nervös. Bergdahls Bewacher fummelt zuerst an der offenen Tür des Wagens herum, klopft dem Soldaten dann mehrmals aufgeregt auf die Brust und gibt ihm letzte Worte mit: "Komm nie mehr zurück nach Afghanistan. Wenn du jemals wieder einen Fuß in unser Land setzt, wirst du es nicht lebend verlassen." Klar, dass der Taliban im Angesicht der nahenden Special Forces zu Übersprungshandlungen neigt, auf Bergdahl machen sie aber verständlicherweise dennoch Eindruck. Der kahlgeschorene Gefangene kämpft mit den Tränen, seine Mimik changiert irgendwo zwischen nackter Angst, Hoffnung und Unglaube. Sieht so ein Verräter aus, der das alles von langer Hand geplant hat, um die US-Armee von innen zu unterwandern und fünf hochrangige Taliban freizupressen?

"Schwerwiegende Verbrechen, die geahndet werden müssen"

Ja, findet Allen West: "Obama hat die Führungsriege einer Terrororganisation freigelassen und was bekommen wir dafür? Einen Verräter, der nach eigener Aussage anti-amerikanische Ressentiments hegt." In seinem wutentbrannten Kommentar für die "Washington Post" ereifert sich der Republikaner nicht nur wie viele seiner Parteifreunde über die Unverhältnismäßigkeit des Austausches, er geht noch einen Schritt weiter – und will den Präsidenten der Vereinigten Staaten vor Gericht bringen. "Die einseitigen Verhandlungen mit Terroristen sowie die unabgesprochene Freilassung ebensolcher sind schwerwiegende Verbrechen, die geahndet werden müssen", schreibt West.

Allen West war früher Mitglied im Repräsentantenhaus und macht vor allem durch seine steilen Thesen immer wieder auf sich aufmerksam.

Allen West war früher Mitglied im Repräsentantenhaus und macht vor allem durch seine steilen Thesen immer wieder auf sich aufmerksam.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Genau hier trifft der Republikaner eine empfindliche Schwachstelle in Obamas Befreiungsaktion. Denn eigentlich muss der Präsident mindestens 30 Tage vor der Freilassung von Guantanamo-Häftlingen Rücksprache mit dem Kongress halten - übrigens ein Gesetz, das er selbst angeschoben hat. "Aus Angst vor Sicherheitslücken und weil unserer Einschätzung nach sein (Bergdahls, Anm. d. Red.) Leben und seine Gesundheit auf dem Spiel standen", habe diese Konsultation aber nicht stattgefunden, sagte Verteidigungsminister Chuck Hagel der BBC. Selbst wenn das stimmen sollte, liefert es den politischen Gegnern des Präsidenten genug Futter, um die glorreiche Selbstinszenierung Obamas als Retter amerikanischer Soldaten zu durchkreuzen und ihn als das darzustellen, was er ihrer Meinung nach ist: ein Mann, für den die Gesetze nur dann gelten, wenn sie ihm selbst in den Kram passen.

Es geht also schon längst nicht mehr um Wohl und Wehe eines einzelnen Soldaten, sondern nur noch darum, die Gegenseite so stark zu diskreditieren wie möglich. Dass Obamas Kritiker dabei in einem gewaltigen Glashaus sitzen, scheint sie nicht zu stören. Vor allem Allen West, dessen moralische Integrität alleine schon deshalb hinterfragt werden sollte, weil er als Oberstleutnant im Irak-Krieg einen Gefangenen hatte schlagen lassen und an ihm eine Scheinhinrichtung durchgeführt hatte, wechselt politische Positionen so häufig wie seine Unterwäsche: "Dann gibt es da den Fall von Sergeant Bowe Bergdahl, der immer noch von islamistischen Terroristen gefangen gehalten wird. Erst kürzlich hat der Verteidigungsminister seinen Schwur erneuert, den jungen Soldaten zu retten, und was ist passiert: Nichts!", sagte West im Dezember 2013 in einer US-Talkshow.

"Bergdahl hat kein Bier getrunken"

Im Kampf um die politische Bedeutungshoheit fallen die hintenüber, die am meisten unter der ganzen Angelegenheit zu leiden haben: Bergdahl und seine Kameraden. Bergdahl, weil er fünf Jahre gefangen gehalten wurde, klar. Und seine Kameraden? Die wurden nach eigener Aussage auf gefährliche Suchmissionen für jemanden geschickt, der erstens aus eigenem Antrieb desertierte und den sie zweitens ohnehin nicht leiden konnten. In Interviews machen die Soldaten ihrem Ärger Luft: "Er hat seinen Wachposten verlassen. (...) Er war da, um uns zu beschützen, doch stattdessen entschied er sich dafür, sich von Amerika zurückzuziehen, zu gehen, sein eigenes Ding zu machen. Ich weiß nicht, warum er das getan hat, aber wir haben so viele Ressourcen deshalb aufgebraucht. Und einige dieser Ressourcen waren die Leben von Soldaten", sagte etwa Jose Baggett der "New York Post".

Zwar bekommen die Interviews einen bitteren Beigeschmack, weil sie von republikanischen Beratern eingefädelt wurden - zwischen den Zeilen lässt sich aber sehr gut herauslesen, wo der Hund begraben liegt: "Bergdahl hat kein Bier getrunken oder an Grillfesten teilgenommen wie die anderen 20-Jährigen", gibt Cody Full zu Protokoll, der in derselben Einheit diente. Stattdessen habe Bergdahl lieber gelesen, Arabisch und Paschtu gelernt oder darüber sinniert, ob es wohl möglich wäre, von ihrer Basis im Osten Afghanistans bis nach Indien oder China zu wandern. Kein Wunder, dass so einer in der Armee den Status eines Sonderlings bekommt. Zudem habe Bergdahl immer wieder den Sinn ihrer Mission infrage gestellt, sagen ehemalige Kameraden. Derlei kritische Gedanken können schnell als Landesverrat ausgelegt werden.

Und dann verschwindet der Typ auch noch - einfach so, eines Nachts. Seine privaten Sachen hat Bergdahl schon vor Tagen in die Heimat zurückgeschickt, in der Unterkunft liegt neben seiner kompletten Ausrüstung ein Zettel, in dem er ankündigt, ein neues Leben beginnen zu wollen. Nur mit Taschenmesser, etwas Wasser und Schreibzeug macht sich Bergdahl auf den Weg, wird Stunden später von den Taliban aufgegriffen - und "schickt mich selbst und 29 andere Mitglieder meines Platoons für 90 Tage in die Hölle", sagt Joshua Cornelison, der in einem der Suchtrupps nach dem Verschollenen fahndete.

Ein weiterer Grauton in der anfangs so blütenweißen Geschichte

Vielleicht wird nie geklärt werden, warum Bergdahl damals desertierte. Geht man aber nach der heutigen Faktenlage, scheint es wahrscheinlicher, dass der Soldat eher aus einer romantischen Vorstellung heraus in Indien neu anfangen wollte, als mit den Taliban gemeinsame Sache zu machen. Dass Bergdahl mit seiner Einzelaktion billigend in Kauf nahm, das Leben von Kameraden zu gefährden, fügt der am Anfang so blütenweiß anmutenden Geschichte nur einen weiteren Grauton hinzu.

Am Ende, so scheint es, gibt es nicht nur keinen Sieger, schlimmer noch - irgendwie scheinen alle im gleichen Morast festzustecken: Bergdahl, der seine Ablehnung der amerikanischen Afghanistan-Politik nicht in sinnvollere Bahnen lenken konnte; Obama, der als strahlender Anführer punkten wollte und am Ende einmal mehr zeigte, dass ihn Gesetze nur so lange interessieren, wie sie ihm nutzen; und nicht zuletzt die Republikaner, die vor moralischen Tiefschlägen nicht zurückschrecken, um das Image des Präsidenten zu beschmutzen. Dabei leidet angesichts derartig unappetitlicher Grabenkämpfe wie so oft vor allem eines: das Image der USA im Rest der Welt.

Im Endeffekt, und das ist die eigentliche Ironie des Schicksals, könnten die Protagonisten der Bergdahl-Affäre auch locker bei "Homeland" mitspielen - der preisgekrönten Serie, die die Schattenseiten von Amerikas "Krieg gegen den Terror" nachzeichnet: Hier wie dort agieren gebrochene Charaktere, die sich bei der Verfolgung ihrer hehren Ziele in der eigenen Schuld verstricken und deutlich machen, was permanente Paranoia anrichten kann. Von daher erscheint es nur logisch, wenn jetzt auch Bergdahls Heimatgemeinde in Iowa die Jubelfeier anlässlich seiner Rückkehr abgeblasen hat - aus Sicherheitsgründen.

Quelle: ntv.de

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