Mandat für Brüssel Große Mehrheit trotz Merkel
26.10.2011, 17:30 Uhr
Wieder eine Euro-Abstimmung überstanden: Die Kanzlerin kann aufatmen.
(Foto: dpa)
Mit großer Mehrheit verabschiedet der Bundestag Eckpunkte über die weitere Ausgestaltung des Euro-Rettungsschirms EFSF. Kanzlerin Merkel räumt ein, dass die "Maximierung" ein Risiko sei. Dies sei jedoch vertretbar. Bei den Abgeordneten bedankt sie sich für das klare Signal an ihre Verhandlungspartner in Brüssel. SPD-Fraktionschef Steinmeier macht deutlich, dass die Zustimmung Europa gilt, nicht der Kanzlerin.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die von der Koalition erhoffte breite Rückendeckung des Parlaments bekommen. Wenige Stunden vor Beginn eines Krisengipfels der Euro-Länder in Brüssel gab ihr der Bundestag mit großer Mehrheit ein Verhandlungsmandat, über die Stärkung des Euro-Rettungsfonds EFSF zu verhandeln.
Mit Ja stimmten 503 Abgeordnete, 89 Parlamentarier votierten mit Nein, 4 enthielten sich. Die schwarz-gelbe Koalition erreichte zudem die eigene Kanzlermehrheit. Von den 596 abgegebenen Stimmen kamen 311 aus den Reihen von CDU, CSU und FDP. Das ist genau die für eine absolute Mehrheit notwendige Stimmenzahl der insgesamt 620 Abgeordneten.
In der Bundestagsentschließung heißt es unter anderem, dass mit der Reform des EFSF die Notwendigkeit zur Fortführung der Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank entfällt. Die Regierung wird zudem aufgefordert, dafür zu sorgen, dass der EFSF nicht über Zentralbankgeld finanziert wird. Auch soll die Regierung die Bemühungen zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer in der EU forcieren.
Merkel hält Risiko für "vertretbar"
In einer Regierungserklärung hatte Merkel zuvor zugesichert, dass es trotz der geplanten Stärkung des EFSF bei der garantierten Obergrenze in Höhe von 211 Milliarden Euro für Deutschland bleiben werde. Zugleich betonte sie, dass es bei der "Maximierung" des Rettungsschirms Risiken gebe - den mittlerweile geläufigen Begriff der Hebelung verwendete sie nicht. "Ausschließen können wir es nicht", so Merkel. Die Risiken seien jedoch vertretbar - sie gehe sogar soweit zu sagen: "Es wäre nicht vertretbar, das Risiko nicht einzugehen." Nach intensiver Prüfung aller Vorschläge liege ihr eine "bessere, vernünftigere Alternative" nicht vor.
Vor allem über die Hebelung hatte es heftigen Streit gegeben. Aus Sicht der SPD gesteht die Koalition in der gemeinsamen Entschließung erstmals ein, dass durch eine Hebelung des EFSF das Verlustrisiko steigt.
Methode noch offen
Noch immer ist offen, wie der EFSF gehebelt werden soll. Im Gespräch sind eine Teilabsicherung neuer Staatspapiere einerseits und die Schaffung einer Beteiligungsmöglichkeit für private und öffentliche Investoren andererseits.
Im ersten Modell würde der EFSF mögliche Verluste privater Investoren beim Kauf neuer Staatsanleihen zum Teil absichern. Das zweite Modell sieht die Gründung einer oder mehrerer Zweckgesellschaften vor, in die Investoren einsteigen können. Im Visier dafür sind Staatsfonds oder Risikokapitalgeber. Beide Modelle sind kombinierbar. Eine Äußerung von FDP-Generalsekretär Christian Lindner legt nahe, dass die Bundesregierung sich auf eine Versicherungslösung festgelegt hat. Bei n-tv sagte er, er verwende den Begriff der Hebelung nicht, "weil es sich um eine Versicherung handelt".
Der vom Bundestag verabschiedete Entschließungsantrag, auf den Union, FDP, SPD und Grüne sich am Dienstag geeinigt haben, lässt beide derzeit diskutierten Möglichkeiten offen. Durch einen Hebel soll der insgesamt 440 Milliarden Euro starke EFSF effektiver gemacht werden.
"Nehme Botschaft mit nach Brüssel"
Ausdrücklich dankte Merkel den Abgeordneten für "kritische Begleitung" und lobte den gemeinsamen Entschließungsantrag. "Er sendet eine Botschaft, die weit über die finanzpolitischen Aussagen des Antrags hinausreicht." Deutschland schütze parteiübergreifend das europäische Einigungswerk und stehe für dieses Ziel zusammen. Diese Botschaft werde sie auch mit nach Brüssel nehmen zu den "nicht einfachen Verhandlungen" beim Gipfel.
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier betonte in seiner Erwiderung auf Merkel, wenn die SPD sich zu einer gemeinsamen Erklärung im Parlament mit der Koalition bereitfinde, tue sie das aus Verantwortung für Europa, nicht um die schwarz-gelbe Regierung zu stützen.
Der Koalition hielt Steinmeier vor, neuerdings Positionen der SPD zu vertreten, die sie selbst noch abgelehnt hatte. Dass Union und FDP zu Merkels Regierungserklärung Beifall geklatscht hätten, werde viele in Deutschland überraschen. "Frau Bundeskanzlerin, ich hätte viele dieser Sätze gerne vor einem Jahr gehört", sagte er. "Stattdessen haben Sie Ressentiments geweckt, mit denen Sie jetzt zu kämpfen haben."
Absage an Paris
In ihrer Regierungserklärung betonte Merkel, alle Modelle, die eine Beteiligung der Europäischen Zentralbank voraussetzen, seien vom Tisch. Sie widersprächen auch den europäischen Verträgen. Die Kanzlerin legte sich damit für die am Abend anstehenden Beratungen beim Euro-Gipfel in Brüssel fest. Vor allem Frankreich hatte eine Beteiligung der EZB gefordert.
Mit Blick auf die diskutierten Optionen für eine höhere Schlagkraft des EFSF stellte Merkel klar, dass die Euro-Länder am Abend beim Krisengipfel in Brüssel zunächst einen politischen Grundsatzbeschluss fassen werden. Sollten dann die entsprechenden Leitlinien mit dem Modell für eine höhere Effizienz des Fonds vorliegen, würden diese selbstverständlich im Bundestag beraten. Die verstärkte Beteiligung des Bundestags war eine Forderung von SPD und Grünen.
EU-Verträge sollen geändert werden
Zur Stärkung des Stabilitätsmechanismus' sprach sich die Kanzlerin für eine teilweise, aber nicht umfassende Änderung des Lissaboner EU-Vertrages aus. Ratspräsident Herman Van Rompuy solle prüfen "wie die Stabilitätskultur umfassend verankert werden kann". Erneut forderte die Kanzlerin ein Durchgriffsrecht der EU-Kommission gegen Schuldensünder. Es könne nicht sein, dass gemeinsame Verabredungen im Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht eingehalten werden.
Es sei gut, dass einzelne EU-Staaten Schuldenbremsen einführen. "Aber ich sage auch: Wir brauchen mehr." Deshalb müssten die europäischen Verträge geändert werden. Indirekt drohte Merkel mit einem Szenario, in dem EU-Staaten entsprechende Verträge untereinander schließen. Das wolle sie nicht, deshalb müssen die Verträge geändert werden.
Auch für die vor allem von der Opposition geforderte Finanzmarkttransaktionssteuer setzte Merkel sich in ihrer Rede ein. Die europäischen Finanzminister würden einen Vorschlag der EU-Kommission dazu Anfang November beraten, "und Deutschland wird alles dafür tun, dass dieser Vorschlag ein Erfolg wird".
Merkel wiederholte ihre umstrittene Formulierung, Europa werde scheitern, sollte der Euro scheitern. Europa stehe in der schwersten Stunde seit dem Zweiten Weltkrieg. "Niemand sollte glaube, dass ein weiteres halbes Jahrhundert in Deutschland und Europa selbstverständlich ist."
Quelle: ntv.de, mit dpa, rts