Politik

Wenn Krieg zum Event wird Gruppenfoto mit Kalaschnikow

Und manchmal explodiert sogar was: Touristen blicken auf Kuneitra hinab.

Und manchmal explodiert sogar was: Touristen blicken auf Kuneitra hinab.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Auf dem Berg lutschen sie Wassereis, unten im Tal sterben die Menschen: Ein Besuch auf Israels Mount Bental in unmittelbarer Nähe zur syrischen Grenze ist an Surrealität kaum zu überbieten.

"Takatak, takatak, takatak." Es ist ein merkwürdig vertrautes Geräusch, das da irgendwo an der Grenze zum Nichthörbaren durch die Gegend flirrt. Ein bisschen wie Autos, die mit hoher Geschwindigkeit eine Straßenbahntrasse kreuzen - nur, dass hier oben weit und breit keine Tram fährt. Dafür hat der Mount Bental auf den von Israel annektierten Golanhöhen aber sonst alles, was eine echte Touristenattraktion so braucht: eine großartige Aussicht, einen reich ausgestatteten Souvenirshop und ein paar verfallende Bunkeranlagen aus vergangenen Zeiten. Ach so, und dann ist da ja noch, nur etwas mehr als einen Steinwurf entfernt, die Grenze zu Syrien.

Verfallende Bunkeranlagen aus vergangenen Zeiten: Willkommen auf dem Mount Bental.

Verfallende Bunkeranlagen aus vergangenen Zeiten: Willkommen auf dem Mount Bental.

(Foto: Julian Vetten)

"Seid doch mal leise, dann können wir den Krieg hören", sagt ein Touristenführer mit einem Strohhut auf dem Kopf in breitem Amerikanisch. Seine vielleicht zehnköpfige Gruppe gehorcht, und tatsächlich: Da ist es wieder, das Straßenbahngeknattere der Kalaschnikows im Tal, immer wieder durchsetzt von einem schwereren Kaliber - vielleicht einem Pickup mit aufgepflanztem Maschinengewehr, wie ihn die Rebellen verwenden. Zu sehen ist davon: nichts. Nur ganz am Rand des Tals in der Nähe des Grenzzauns zu Israel steigt eine kleine Rauchwolke empor. Dass Krieg so unspektakulär sein kann, wer hätte das gedacht?

Die amerikanischen Touristen jedenfalls nicht. Nach einer knappen halben Minute wird die Gruppe unruhig, aus Tuscheln wird Quatschen, und schon ist der Krieg zum akustischen Hintergrundrauschen verkommen. Es gibt ja noch so viele andere Dinge hier oben zu erledigen: Zum Beispiel ein Gruppenfoto vor dem "Café in den Wolken" schießen, dessen hebräische Bedeutung "Coffee Anan" so hübsch zweideutig an den ehemaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen erinnert. Oder sich im Shop mit einem der witzigen Mottoshirts à la "Guns n Moses" eindecken. Oder ein Wassereis lutschen. Urlaubsalltag eben. Und das alles, während ein paar Kilometer weiter der Soundtrack des Todes dudelt.

"Takatak, takatak, takatak", rattern die Kalaschnikows

Drüben, auf der anderen Seite der stark befestigten Grenzanlagen und der kilometerbreiten Minenfelder, können die Menschen den Krieg nicht einfach so ausblenden. Seit drei Jahren bekämpft Baschar al-Assad sein eigenes Volk, dem Diktator steht mittlerweile eine völlig unübersichtliche Zahl von Rebellengruppen gegenüber. Die moderate Freie Syrische Armee (FSA) wurde in den meisten Regionen von radikaleren und besser organisierten Gruppierungen verdrängt - so auch hier im Südwesten des Landes, wo die Al-Nusra-Front das Sagen hat.

Oder zumindest meistens. Denn der syrische Al-Kaida-Ableger liefert sich seit Anfang 2013 einen erbitterten Schlagabtausch mit den Assad-Truppen um den syrischen Teil der strategisch so wichtigen Golanhöhen, deren Großteil bereits 1981 von Israel annektiert wurde. Die Rebellen versuchen, eine Art Belagerungsring um die Hauptstadt Damaskus im Norden zu legen und sich im Zuge dessen mit verbündeten Truppen im südlichen Daraa zusammenzuschließen. Das Regime will das auf keinen Fall zulassen und schickt immer neue Truppenverbände, um eine Vereinigung der Rebellen zu verhindern. "Die Entfernung nach Damaskus ist von hier aus viel kürzer als von den nördlichen Rebellenhochburgen", bestätigt Ehud Yaari vom Washington Institute, einem führenden amerikanischen Think Tank und führt aus: "Entgegen sämtlicher früherer Einschätzungen könnte die südliche Front also tatsächlich die entscheidende sein."

Die Gegend rund um Kuneitra ist dabei der Schlüssel, hier prallen die Konfliktparteien immer wieder aufeinander. Die Frontlinien in der Region verschieben sich so häufig, dass es schwer fällt, auf dem neuesten Stand zu bleiben: Erst Ende Mai  brüstete sich Al-Nusra mit der Eroberung von Tel Ahmar, einem Hügel nur zwei Kilometer vor der israelischen Grenze. "Der Blick erinnert uns an den Löwen der Mudschaheddin, Osama bin Laden, in seiner Festung in den Bergen von Tora Bora", sagte einer der Anführer mit stolzgeschwellter Brust in einer Videobotschaft. Nur Tage später, pünktlich zu den syrischen "Präsidentschaftswahlen" eroberten dann Elitetruppen des Assad-Regimes die direkt an der Grenze gelegene Stadt Kuneitra mit dem einzigen Übergang nach Israel zurück. Angeblich wechselte die Stadt in der Zwischenzeit erneut den Besitzer, auch wenn die Regierung das bestreitet.

Überprüfen lassen sich diese Angaben nur sehr schwer bis gar nicht - obwohl man mit einem guten Fernglas vom Mount Bental locker bis nach Kuneitra hinuntersehen kann. Aber oben auf dem Berg, auf den sich die Reisebusse im Minutentakt hinaufquälen und ihre Ladung auf den überdimensionierten Parkplatz spucken, ist das ohnehin nur von untergeordneter Bedeutung. Hier zählt vor allem, dass die Soundkulisse passt - und das können die Reiseveranstalter im Moment fast schon garantieren.

"Takatak, takatak, takatak", rattern die Kalaschnikows im Tal. Die amerikanische Reisegruppe ist längst weitergezogen: Der Urlaub hat ja gerade erst begonnen.

Quelle: ntv.de

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