Politik

Sieg auf ganzer Linie Gysi trimmt Linke auf regierungsfähig

Die Linken-Parteivorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping applaudieren dem mächtigstem Mann ihrer Partei: Gregor Gysi.

Die Linken-Parteivorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping applaudieren dem mächtigstem Mann ihrer Partei: Gregor Gysi.

(Foto: dpa)

Auf dem Linken-Parteitag in Hamburg wird gegen die EU gepöbelt, als wäre sie der Klassenfeind. Bei den Wahlen setzen sich dann aber die Pragmatiker durch, die sich zum Beispiel auch vorstellen können, im Bundestag mit der SPD zu koalieren. An Wortführer Gysi kommt niemand vorbei.

In den 90er Jahren wurden Spielesendungen im Fernsehen oft per Applaus-o-Meter entschieden. Wem das Publikum lauter zujubelte, gewann die Show. Würden die Abstimmungen beim Parteitag der Linken per Applaus entschieden, die Linke wäre nun eine europafeindliche Partei. Nicht nur, dass sie die EU als "militaristisch" und "undemokratisch" bezeichnen würde. Sie würde über Platz zwei ihrer Liste auch einen Mann ins Europaparlament schicken, der sagt, die Bundesregierung würde mit EU und Nato "deutsche Großmachtsambitionen" verfolgen. Die aussichtsreichen Listenplätze wären von den Ultralinken dominiert, die das ganze Staatenbündnis als Lobbyistenclub ablehnen. Als ein Vertreter des gemäßigt linken Flügels romantisch von grenzenlosen Interrailreisen erzählte, musste er sich nachher anhören, er würde die Nöte von arbeitslosen Jugendlichen nicht ernst nehmen.

Es kam anders. So sehr der Linksaußen-Flügel rund um Sahra Wagenknecht auch dagegen anbrüllte: Die wichtigen Abstimmungen gewannen die Gemäßigten, deren Strippenzieher Gregor Gysi ist. Die Linken geben damit auch eine Antwort auf die Avancen, die von der SPD kommen. Spätestens seitdem die Sozialdemokraten angekündigt haben, es nach der nächsten Wahl auch mit den Linken zu versuchen, haben die eine realistische Chance auf Ministerämter. Der SPD war klargeworden, dass sie es auf absehbare Zeit ohne die Linke nicht mehr schaffen wird, einen Kanzler zu stellen. Damit eine Koalition möglich wird, so die SPD, müsse die Linke aber ihre radikale Außenpolitik ablegen. Bisher fordert die einen kompletten Verzicht auf Auslandseinsätze der Bundeswehr und einen Austritt aus der Nato. Die Realos in der Linken scheinen bereit zu sein, auch über solche Punkte zu verhandeln. Die Ultralinken sähen darin einen Bruch mit den Grundprinzipien der Partei.

Ziel: Zustimmung vom CDU-Wähler

Es gibt einen zweiten Faktor, der die Linke auf eine gemäßigtere Linie zwingt: Weil sie bei der Bundestagswahl einige Stimmen mehr als die Grünen bekam, hat sie nun die größte Oppositionsfraktion und muss als solche immer eine gangbare Politikalternative zur Großen Koalition anbieten können, findet zumindest Oppositionsführer Gysi: "Unsere Alternativen müssen in jeder Hinsicht glaubwürdig sein", sagte er beim Parteitag in Hamburg. "Auch der CDU-Wähler muss sagen: So ginge es auch. Das ist nicht so einfach." Applaus bekommt er dafür nicht, im Saal wird es sehr still. Laut wird es wieder, als ihm ein Ultralinker antwortet: "Wenn wir so werden sollen, wie Gabriel ist, dann pfeife ich auf die Regierungsteilhabe", ruft der Abgeordnete Wolfgang Gehrke und löst zustimmendes Gejohle aus.

Die Radikalen mussten sich letztlich geschlagen geben und zogen sogar ihren Antrag zurück: Mit diesem hatten sie erreichen wollen, dass sich im Europawahlprogramm doch noch die populistischen Sätze finden, um die zuvor so viel gerungen worden war. Darin wurde die EU nicht nur als neoliberal, militaristisch und weithin undemokratisch bezeichnet. Es hieß dort auch: "Viele verbanden mit der EU: mehr internationale Solidarität. Heraus gekommen sind mehr faschistische Parteien, rechtspopulistische Hetzer und mehr Menschenjagd in und an den Grenzen der EU." Auch Sahra Wagenknecht gab diese Formulierungen nur unter Protest auf und legte neuen Populismus nach: Die EU sei eine "Fassadendemokratie" schimpfte sie. Kann man sich ernsthaft an Wahlen beteiligen, die man für eine Showveranstaltung hält?

"Debatten, bei denen es knallt und funkt"

Bei den Wahlen zur Kandidatenliste für die Europawahl zeigte sich das Kräfteverhältnis in der Partei dann sehr deutlich. Die Pragmatiker stellten sich gegen eine Liste, die zuvor vom Bundesausschuss ausgearbeitet worden war. Die Wahlergebnisse waren oft sehr knapp, fielen dann aber zugunsten der gemäßigten Kandidaten aus. Der pragmatische Flügel konnte so auf den Plätzen zwei, sieben und acht Kandidaten platzieren, die keine Empfehlung des Bundesausschusses hatten. Damit werden sie die Linken-Gruppe im Europaparlament dominieren. Die Ultralinken wurden niedergestimmt. Möglich ist, dass nur einer von ihnen nach Brüssel darf.

Gegen Gysis Leute fanden die Ultralinken kein Mittel. Die Pragmatiker dominierten die Abstimmungen dieses Parteitags, obwohl sie nur eine knappe Mehrheit in der Partei haben. Für den Bundestagsabgeordneten Stefan Liebich ist das kein Problem. Er organisierte gemeinsam mit Gysi hinter den Kulissen viele Entscheidungen. "Wir müssen manchmal Debatten führen, bei denen es knallt und funkt", sagte er n-tv.de "Am Ende entscheiden Mehrheiten. Man kann es nicht immer allen recht machen."

Quelle: ntv.de

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